Junge Menschen im Strafverfahren: ,,Fokus ist Erziehung, nicht Strafe"
Bild: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
Gabriele Beyersdorf und Olaf Stürzebecher arbeiten im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg im Fachbereich Jugendhilfe im Strafverfahren. Dabei begleiten und beraten sie alle junge Menschen, die einer Straftat beschuldigt werden und zum Tatzeitpunkt mindestens 14 aber noch nicht 21 Jahre alt sind. Sie nehmen eine „Dolmetscherfunktion“ ein zwischen Jugendlichen und der Justiz, klären im Gespräch über Rechte und Pflichten im Strafverfahren auf, erforschen die Lebensumstände der jungen Menschen und beraten das Gericht bezüglich der Notwendigkeit und Form der zu ergreifenden Maßnahmen als Antwort auf die jeweilige Tat.
Dabei vertreten sie die vom Gesetzgeber geforderte pädagogische Perspektive, wie Olaf Stürzebecher erklärt: „Jugendliche fragen uns oft, ob wir denn auf ihrer Seite seien. Darauf antworte ich immer, dass wir auch dann noch auf ihrer Seite sind, wenn sie selbst es nicht mehr sind. Ich muss im Ernstfall auch vorschlagen, dass jemand eine Jugendhaftstrafe absitzen sollte, wenn es meiner fachlichen Einschätzung nach das geeignetste Mittel ist, um Schaden von dem jungen Menschen abzuwenden“.
Gabriele Beyersdorf betont: „Der Fokus ist Erziehung, nicht Strafe. Wir verteidigen nicht im juristischen Sinn, unser Fokus liegt darauf, eine geeignete sozialpädagogische Maßnahme zu finden. Jugendliche müssen sich uns gegenüber nicht erklären und es ist für uns erst einmal nicht wichtig, ob ein Tatvorwurf stimmt oder nicht. Unser Vorschlag ist erzieherisch ausgerichtet und soll helfen, junge Menschen wieder auf einen guten Weg zu bringen“.
Nicht bei jedem Strafverfahren kommt es zu einer gerichtlichen Hauptverhandlung, zum Beispiel, wenn ein Täter-Opfer-Ausgleich zu Stande kommt. „Immer wenn wir merken, dass ein junger Mensch seine Tat wirklich bereut, können wir zum Täter-Opfer-Ausgleich vermitteln. Wenn beide Seiten damit einverstanden sind, wird vereinbart, wie eine mögliche Schadenswiedergutmachung aussehen kann. Das kann vieles sein, von einer Geldleistung über gemeinnützige Arbeit bis zu einer Entschuldigung“, so Gabriele Beyersdorf.
Ein Großteil der begangenen Straftaten sind jugendtypisch und betreffen unter anderem Körperverletzung, Sachbeschädigung, Raub oder Diebstahl. Der überwiegende Anteil der jungen Menschen in Strafverfahren sind männlich, nur etwa 10 Prozent sind weiblich. „Gründe für Straftaten sind sehr vielfältig und stehen beispielsweise im Zusammenhang mit Problemen in der Schule, dem sozialen und familiären Umfeld, Todesfällen, Trennungserfahrungen, ökonomischen Einbrüchen oder Ähnlichem. Positive Faktoren, wie eine neue Beziehung oder ein Schulwechsel, können Vieles wieder kitten, ohne dass wir als Jugendhilfe viel dazu beitragen“, sagt Olaf Stürzebecher.
Um im Fachbereich Jugendhilfe im Strafverfahren zu arbeiten, sind ein Studium in sozialer Arbeit und eine staatliche Anerkennung Voraussetzung. Die ältesten Täter*innen sind jedoch mit 21 Jahren so alt wie die jüngsten Studienabsolvent*innen. Deshalb raten Gabriele Beyersdorf und Olaf Stürzebecher dazu, nach dem Studium ein paar Jahre Berufserfahrung zu sammeln, bevor man in diesem Bereich tätig wird.
Gabriele Beyersdorf ist seit 1994 in der Jugendhilfe. In den 1980er Jahren studierte sie Soziologie, anschließend war sie in der offenen Jugendarbeit tätig. Über mehrere Jahre hat sie in Jugendfreizeiteinrichtungen gearbeitet, auch in leitender Funktion. Um ihren Beruf besser mit ihren eigenen Kindern vereinbaren zu können, war sie in Friedrichshain zuerst in der Jugendförderung tätig, bevor sie in die Jugendgerichtshilfe wechselte.
Olaf Stürzebecher kommt aus der kirchlichen Jugendarbeit und war dort in der offenen Jugendarbeit tätig. Auch er hat sich aus familiären Gründen für einen Berufswechsel entschieden, zuerst in administrativer Tätigkeit, wobei ihm der direkte Kontakt zu Jugendlichen fehlte. Im Fachbereich Jugendhilfe im Strafverfahren hat er das ideale Umfeld gefunden, um Beziehungsarbeit mit jungen Menschen leisten zu können, ohne dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darunter leidet.
Auch Abwechslung im Berufsalltag ist gegeben. „Wir sind im Büro, können weitestgehend selbst entscheiden, wo wir Beratungen durchführen, führen Hausbesuche durch, sind mehrmals in der Woche bei Gericht, besuchen Jugendliche in Haftanstalten und wenn nicht gerade Pandemie ist, haben wir auch viel Kontakt zu unterschiedlichen Trägern und Kooperationspartner*innen“, so Olaf Stürzebecher.