Das Theater der Erfahrungen – eine Bühne für die Integration

Das Theater der Erfahrungen steht auch mal vor der Kamera, hier für den Film „Theater ist meine Heimat“

Ein ganz besonderes Theater

Musik ertönt, der Vorhang hebt sich, Scheinwerferlicht erhellt die Bühne. Was die kommenden zwei Stunden das Publikum unterhält, ist einstudiertes Laientheater – mit einer Besonderheit: Die Darstellenden sind mindestens 55 Jahre alt und befinden sich zum größten Teil bereits in Rente. Mit ihnen steht und fällt jedoch nicht nur die Aufführung; die theaterbegeisterten Seniorinnen und Senioren haben alle ihre Inszenierungen von der ersten Konzeptidee bis zur Verbeugung selbst produziert und aktiv begleitet.

Theater der Erfahrungen heißt das Projekt, das seit 2016 vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und kofinanziert wird. Und der Titel ist Programm: Viele Jahre Lebenserfahrung stecken in den Werken, die allesamt Geschichten erzählen, die nicht nur ältere Generationen, sondern die ganze Gesellschaft berühren.

Impressionen aus dem Stück „Berliner Pflanzen – Berlinli Bitkiler“

Eine Bühne für das Leben

So lockt das Theater der Erfahrungen seit drei Jahrzehnten ein vielschichtiges Publikum an den Aufführungsort und zahlreiche spielbegeisterte Seniorinnen und Senioren auf die Bühne. Die Bühnen können sich klassisch im Theatersaal aber auch mal in einem Krankenhaus oder in einer Schulaula befinden. „Ältere Menschen haben so viel erlebt und darum auch Vieles zu erzählen“, sagt Eva Bittner, Gründerin des Theaters der Erfahrungen und Leiterin der Spätzünder, einer der Schauspielgruppen. „Ihre Erfahrungen und den reichen Wissensschatz möchten wir in den Theaterstücken verarbeiten und mit den jüngeren Generationen teilen.“

Die Projektleiterinnen Prof. Johanna Kaiser (li.) und Eva Bittner (r.)

Drei Säulen stützen das Projekt

Im Zuge des Projekts werden unterschiedliche Kurse und Workshops veranstaltet, um zum einen für Interessierte die Möglichkeit zum Hineinschnuppern zu bieten, zum anderen bei regelmäßigen Treffen aufwändigere Theaterproduktionen zu planen.
Alle Angebote basieren auf dem Drei-Säulen-Konzept, welches theatralische Grundlagenarbeit mit intergenerativen wie auch interkulturellen Perspektiven kombiniert: „Uns ist bei allen Übungen und Spielen, in welchen wir das theoretische Wissen zu Theater und Schauspiel in die Praxis umsetzen, wichtig, intergenerative und interkulturelle Aspekte aufzudecken und zu klären“, erläutert Bittner die grundlegende Methode des Theaters der Erfahrungen, „so fragen wir beispielsweise nach Konfliktpotenzialen zwischen Jung und Alt oder suchen nach Möglichkeiten, die Wahrnehmungen und Erlebnisse von Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer in das Spiel zu integrieren.“

Eine Szene aus dem Stück „Schlaflos in Berlin“

Ein breites Themenspektrum auf den Bühnen

Die Inhalte der Stücke reichen daher von nächtlicher Schlaflosigkeit im Alter über die Hilflosigkeit eines verletzten Migranten ohne Krankenversicherung bis hin zum Pflegenotstand in deutschen Kranken- und Seniorenheimen. Den durchaus ernsten Themen fehlt jedoch nie das humorvolle Augenzwinkern, um diese alltäglichen Probleme dem Publikum schmackhaft zu machen und nahezubringen. „Das Theater erhebt nicht den tadelnden Zeigefinger, sondern möchte schlichtweg aufmerksam auf die Notstände machen, die jede und jeden in irgendeiner Weise betreffen oder betreffen werden“, sagt Bittner, „und damit erzielen wir sozusagen einen doppelten Gewinn.“

Ein Bild des Stücks "Bertha, stirb endlich!"

Ein Gewinn für alle Beteiligten

Das Theater der Erfahrungen zeigt somit nicht nur älteren Menschen einen Weg, sich auszudrücken, die zahlreichen Erfahrungen zu verarbeiten und ihr in Jahrzehnten angeeignetes Wissen an die jüngeren Generationen weiterzugeben, sondern macht zugleich die noch auszubildende und arbeitende Gesellschaft auf die Älteren aufmerksam. „Rentner und Pensionäre fühlen sich oftmals ausgeschlossen, da sich kaum jemand für sie interessiert“, beanstandet Bittner ein gesamtgesellschaftliches Problem, „dabei profitieren doch alle von einem engeren Kontakt.“

So kann mit Aufführungen in Schulen für den Pflegeberuf begeistert, oder mit Vorurteilen über das Alter aufgeräumt werden. Außerdem bietet das Theater der Erfahrungen eine neue Herausforderung, wenn der Alltag zum Trott wird. Insbesondere die integrative Leistung des sozialen Projekts, welches vom Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. getragen wird, befürwortet auch der ESF, der darum das Theater der Erfahrungen seit 2016 kofinanziert. „Ohne den ESF könnten wir nicht das Angebot in seinem jetzigen Umfang stemmen, geschweige denn so viele tolle Aufführungen auf die Bühne bringen“, so die Gründerin. Sie ist dankbar für die Förderung, mit welcher sowohl Sachkosten und Personal als auch die Öffentlichkeitsarbeit bezahlt werden – denn: „Wir möchten das Projekt noch viel bekannter machen“. Zu Recht! Schließlich bereichert das Theater der Erfahrungen doch alle, die daran beteiligt sind!

Überblick

  • Begünstigter
    Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.

    Ansprechpartnerin
    Eva Bittner
    Tel.: 030 85542 06
    E-Mail: theater-der-erfahrungen@nbhs.de

    Internetauftritt
    theater-der-erfahrungen.nbhs.de

    Projektlaufzeit
    01.01.2018-31.12.2019

    Prioritätsachse
    B: Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung von Armut und Diskriminierung

    Investitionspriorität
    Aktive Inklusion, nicht zuletzt durch die Förderung der Chancengleichheit und aktiver Beteiligung

    Spezifisches Ziel
    Integration von besonders arbeitsmarktfernen und von sozialer Ausgrenzung betroffenen Personen durch lokale Initiativen

    Förderinstrument 12
    Bürgerschaftliches Engagement (BE)

    Finanzierung
    Gesamte öffentliche Mittel:
    368.378 EUR
    Davon EU-Mittel:
    184.189 € EUR

    EU-Programm
    Europäischer Sozialfonds (ESF)

    Online
    www.berlin.de/esf

  • Reportage Theater der Erfahrungen

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