Gespräch mit Thomas Lang

Thomas Lang

Architekt Thomas Lang

Seit Anfang April 2019 ist eine Fotoinstallation am Eingang des Dragonerareals zwischen Finanzamt am Mehringdamm und dem LPG-Supermarkt an der Obentrautstraße zu sehen.

Eine Bildpostkarte aus dem Revolutionsmonat November 1918 auf 2 × 3 m projiziert wird weit sichtbar zwischen zwei Werbemasten ausgestellt: Das Foto zeigt Menschen am Eingang der Garde-Ulanen-Kaserne in Berlin Moabit. Sie stehen beieinander, ein Plakat wird hochgehalten mit der Aufschrift „Brüder!? Nicht schiessen!“. Das Fragezeichen ist zusätzlich eingefügt, das „nicht“ mit einem HASHTAG sichtbar durchgestrichen. Thomas Lang hat diese Intervention geplant und in Abstimmung mit der AG Geschichte des Ortes umgesetzt. Im Interview berichtet er, wie es dazu kam und was er sich für die Zukunft des Dragonerareals wünscht.

Intervention am Dragonerareal

  • Momentaufnahme im November 1918
  • Fotoinstallation am Eingang Mehringdamm
  • Fotoinstallation neben dem Finanzamt
  • Aufbau der Intervention

Herr Lang, wie sind Sie eigentlich zum Rathausblock gekommen?

Ich bin seit 1987 Architekt. Mein Diplomprojekt hatte das Upstall-Areal zum Thema. Mit zwei Kommilitonen haben wir einen städtebaulichen Entwurf für das Gebiet erarbeitet, damit verbindet man natürlich viel Idealismus. Aber auch damals ging es schon recht kontrovers zu. Schließlich bewegte uns schon vor 32 Jahren die Frage, wie man die Stadt hier in Kreuzberg weiterbauen kann. Vor dem Mauerfall haben wir uns auch mit so spannenden Dingen wie der AGB-Erweiterung (der heutigen Zentral- und Landesbibliothek am Blücherplatz, Anm. der Redaktion) beschäftigt. Außerdem habe ich 12 Jahre in Kreuzberg gewohnt, zeitweilig am Mehringdamm und dann in der Zimmerstraße direkt an der Mauer, das war hier also mein Quartier. Den Begriff „Kiez“ versuche ich bewusst zu vermeiden. Denn bei allem nachbarschaftlichen Engagement finde ich es auch wichtig zu sehen, dass wir hier Großstadtthemen verhandeln. Gerade auch mit Blick auf die AGB, der größten und attraktivsten Präsenzbibliothek in ganz Berlin. Die ist in Sichtweite des ehemaligen Kasernengebäudes und eben auch ein Ort für die ganze Stadt.

Was gab den Anstoß, sich nach einigen Jahren Pause wieder verstärkt mit dem Dragonerareal zu beschäftigen?

Zum einen habe ich seit 2014 in der Presse verfolgt, wie sich die Initiativen gegen die Privatisierung engagiert haben. Zum anderen bin ich dann auf das Symposium zur Geschichte des Ortes gestoßen, das im Rahmen des Sanierungsprozesses im Frühjahr 2018 stattfand. Ich bin als Besucher gekommen, habe mir zwei ganze Tag lang frei genommen. Seitdem bin ich im Prozess aktiv, vor allem in der AG Geschichte, aber auch im Rahmen der Bau- und Nutzungsanforderungen.

Nun haben Sie Anfang April eine „Zwischenintervention“ am Eingang des Dragonerareals platziert, um auf die Ereignisse des Januaraufstands und der Revolution hinzuweisen. Wie kamen Sie dazu?

Baugeschichtliche Studien sind ein wichtiger Bestandteil hier im Verfahren. Aber bauhistorische Aspekte verweisen auch immer auf größere gesellschaftliche Fragen. In der ganzen Stadt ist das Revolutionsjahr 1918/19 präsent gewesen. In Berlin wurde mit dem Projekt „100 Orte“ an vielen Stellen auf wichtige Ereignisse hingewiesen. Ich musste allerdings feststellen, dass das Dragonerareal zwar mitaufgeführt war, aber es nicht gelang, die Ereignisse hier sichtbar für alle im Raum zu markieren. Das hat mich doch sehr überrascht. Über den Jahreswechsel habe ich dann überlegt, was denn passend, was wichtig wäre. Dann bin ich auf die Idee mit der „Zwischenintervention“ gekommen.

Sie verwenden ein Bild, das eine Szene aus eben dieser Revolutionszeit zeigt, nämlich aus dem November 1918. Wieso haben Sie genau dieses Foto ausgewählt?

Ich habe ein Bild aus der Garde-Ulanen-Kaserne unweit des heutigen Hauptbahnhofs verwendet und sichtbar am Eingang des Dragonerareals neben der alten Tankstelle, also auf dem Areal einer anderen alten Kaserne platziert. Es ist klar, dass das historische Foto nicht an der Garde-Dragoner-Kaserne aufgenommen wurde. Aber Authentizität kann hier auch im übertragenen Sinne eine wichtige Rolle spielen. Ich wollte schließlich die Zusammenhänge zwischen den beiden Orten deutlich machen. Von November 1918 bis März 1919 ist viel passiert. Dass sich der zunächst friedliche Protest dann so gewalttätig entwickelte, lässt sich über das verfremdete Plakat „Brüder, nicht schießen“ eindrucksvoll zeigen. Tags drauf war das Foto als Revolutionssouvenir Unter den Linden zu kaufen – die Schnelllebigkeit der Ereignisse in der Großstadt fand damals schon ihren Ausdruck. Ein Foto zeigt diese Szene und ist auf der Informationstafel zur Installation abgebildet.

Wer wird hier genau gezeigt?

Mir ist die Anonymität der Protagonisten auf dem Foto sehr wichtig. Hier sehen wir namenlose Zivilisten und Soldaten. Brüder und Schwestern sprechen andere Brüder und Schwestern an. Zu jenem Zeitpunkt ist noch unklar, wer als Held in den Vitrinen der Zeitgeschichte landet und wer doch nur wieder als Kanonenfutter. Das gilt gewissermaßen auch heute – damals in den Arbeiter – und Soldatenräten, heute im Gründungs- und Zukunftsrat.

Wie lange wird das Foto zu sehen sein?

Bis 31.7. wird die Intervention zu sehen sein. Und das ist mehr als eine Zahlenspielerei! Das Foto wurde aufgenommen im November 1918, im Januar 1919 wurden die sieben Parlamentäre hier auf dem Dragonerareal ermordet. Im März war mit dem Lichtenberger Schießbefehl die Revolution quasi beendet. Wir sprechen hier also über einen Zeitraum von vier Monaten! Wir sind am 3. April gestartet – und dieser Zeitraum von vier Monaten war mir wichtig, auch um auf den Ort aufmerksam zu machen.

Eben dieser vier Revolutionsmonate soll – neben vielen anderen prägenden Epochen – gedacht werden. Wie könnte ein Erinnerungsort auf dem Dragonerareal konkret aussehen?

Es soll ein Areal für Demokratie und Frieden werden. Die partizipatorischen Prozesse, die hier jetzt probiert werden, könnten die Richtung zeigen. Wie können wir Bauprojekte im demokratischen Zusammenhang entwickeln? Das ist dann im übertragenen Sinne vergleichbar mit dem, was vor 100 Jahren in den Anfängen der parlamentarischen Demokratie versucht wurde. Das wäre auch eine Ehrschätzung dessen, was damals in den Arbeiter- und Soldatenräten gedacht wurde. Diese Bewegung war nie so militant, wie es heute noch in einigen Kreisen gesehen wird.

Stellen Sie sich vor, wir schreiben das Jahr 2035. Sie stehen am Eingang des Dragonerareals und blicken auf dieses Stück Stadt. Was sehen Sie? Und was gefällt Ihnen dort besonders gut?

Vor 30 Jahren war das Dragonerareal bereits für mich ein Thema. In 15 Jahren wird mein Berufsleben dem Ende entgehen gehen. Kreuzberg kann größer werden, sich öffnen. Wir können hier sogar ein typisches Stück Kreuzberg schaffen. Die Weichen wurden dafür gestellt. Ich bin überzeugt, dass Kreuzberg hier weitergebaut werden kann. Mir ist wichtig, dass wir nicht nur auf die Kasernen-Zeit zurückschauen, sondern uns der Zukunft widmen. Es soll gelebt, gewohnt, gearbeitet werden. Lassen Sie uns das Dragonerareal zu einem kulturellen Treffpunkt im Herzen der Stadt entwickeln!

Herr Lang, Danke für das Gespräch!

Das Gespräch führte Jan Korte.

  • Infotafel der Zwischenintervention

    PDF-Dokument (3.1 MB)

  • Infotafel: Historische Ereignisse im Kontext

    PDF-Dokument (2.1 MB)