Helga Joppek ist Lokalkolorit, Freundlichkeit und Nächstenliebe.
Unser Gespräch beginnt zurückhaltend, fast schüchtern, aber kommt in Fahrt als wir über Schulzeit, Noten und ihr geliebtes Staaken reden. Doch merkt man das sie ungern zu viel über sich Preis gibt und sehr bedacht und gewählt ant-wortet.
Unaufgeregt spricht sie über Toleranz und über die Küche ihrer geliebten Kir-chengemeinde Heerstraße Nord, die man als Schaltzentrale und Ideenschmiede
verstehen kann, auch wenn sie sie eher als „soziale Hängematte“ bezeichnet.
Schwer zu fassen ist, dass Helga über ihr Tun spricht, als allseits wiederkehren-de Routine, die in ihren Tagesablauf übergegangen ist ,die fast keiner Ausführung bedarf – eine Art die Bewunderung hervorruft. Es spiegelt sich, dass ein Umgang auf Augenhöhe, egal mit welcher gesellschaftlichen Sparte, ein nachahmenswertes Verhalten ist, das heutzutage ja nicht überall gepflegt und gelebt wird.
Helga Joppek vermittelt, das ärmliche Verhältnisse und Bedürftigkeit Menschen zurückhaltend und scheu machen, Sie kämpft dagegen an und sei es mit einem einfachen Lächeln oder einem netten Gespräch.
Mitfühlende Gesten, ein immenser Hang zur Unterstützung und den Eindruck das Helga Joppek nichts aus der Ruhe bringt.
Helga Joppek wird nach ihrer Geburt, am 7.März 1938, nach dem ersten Blick auf die Mama, Spandau und das Lynarkrankenhaus sehen. Folgenschwer, denn sie wird in unseren Bezirk eine Heimat finden, die sie bis heute nicht mehr los-lässt.
Wie viele andere deutsche Familien teilt sie das Schicksal, das ihr Vater aus dem zweiten Weltkrieg nicht zurückkehrt.
Die unruhigen Zeiten erfordern es, das die Familie übergangsweise in die Tschecheslowakei flüchtet, wo ihre Mutter die Liebe zum zukünftigen Stiefvater entdeckt, ihr sechs Jahre jüngerer Bruder zur Welt kommt und deren Weg dann wieder gemeinsam in die Hauptstadt führt.
Die ersten schulischen Schritte macht sie in der Dorfschule Staaken und hier hat auch die preußische Ordnung noch ihre Nachwehen. Matheaufgaben, im Fach Kaufmännisches rechnen, werden schneidig und akkurat beantwortet: „Aufstehen, rechnen, hinsetzen“, so erinnert sich Helga Joppek.
Mit Zahlen kann Helga gut jonglieren, was nicht wet macht das sie die Lehrer-schaft als lebhaft beschreibt, was übersetzt so viel heißt wie, letzte Reihe, quatschen und anstiften. Auch wenn man ihr es nicht gleich ansieht, hat Helga den sogenannten Schalk im Nacken, sowie das Privileg der alten Spandauer Post-schule, Berlins
Oberbürgermeister Ernst-Reuter, bei deren Einweihung noch persönlich zu
Gesicht bekommen zu haben.
Mit der neunten Klasse wird hier die schulische Laufbahn ein Ende finden.
Ihr Stiefvater hat sich im Spandauer Maschinbauunternehmen Orenstein und Koppel einen Namen gemacht und mit der Baggersparte zu tun und der Papa kennt seinen Kiez und seine Möglichkeiten.
Die 15-jährige Helga liebäugelt mit Dauerwelle oder Dienstleistung, sprich einer Ausbildung zur Friseuse oder zur Verkäuferin. Ihr werter Stiefvater lässt sein Beziehungen spielen und verschafft seiner Stieftochter ein Bewerbungsgespräch beim hiesigen Lebensmittelladen.
Und das erste Gespräch mit ihrem zukünftigen Chef besteht eher aus Zahlen anstatt Wörtern.
Der Besitzer des Lebensmittelladens lässt das Bewerbungsgespräch fast aus und streut während des Gespräches Rechenaufgaben ein
17×18, 16×14, 13×18 – Aufgaben die Helga schnurrstracks beantworten kann und Eindruck schindet. – sie bekommt den Job, legt folgend eine Bäckereiprü-fung und eine Weinprüfung ab. Da einzige was sie nicht beherrscht ist ein hör-bares „Guten Morgen“, wenn Kunden den Laden betreten.
Was Helga sonst Vorlaut mit dem Mund macht, macht sie in der Freizeit mit den Füßen. Ab und an wird leidenschaftlich getanzt, geschappert und ge-schwungen. Latein, Standard, Tango – Helga weiß wie man die Hüfte schwingt, bei Bällen, Turnieren und Tanzveranstaltungen
Solch fraulich geschmeidiger Bewegungsapparat bleibt der männlichen Gilde – gestern wie heute – nicht verborgen
Als Tanzfläche gilt 1956 das Kinderfest in der Gartenstadt hier verliert Horst sein Herz an die vorlaute Helga und nach vier Jahren krönen die beiden Ihr Glück mit dem kleinen Bernd und tanzen weitere 15 Jahre, immer Freitags, in der Tanzschule Broadway.
Auch Horst lernt schnell, dass seine Helga nicht nur zurückhaltende Wesenszüge hat und gibt dazu klare Statements. „ Du brauchst mir nicht sagen wo du bist, wo du bist ist Vorne!“
Horst und Helga entscheiden sich, nach Traditionen in dieser Zeit, dass Helga sich zuhause um den Zögling kümmert und mit Nebenjobs dazuverdient, wäh-rend Horst in seiner Lehrwerkstatt den Großteil der Familienkasse verdient.
Und das ist auch nötig, denn 1966 kommt der zweite Sohn Carsten zur Welt.
In Sachen Berufs- und Privatleben mit zwei Kinder beweisen die Joppeks hier, dass Sie ein gutes Tandem sind. Zweisamkeit und romantische Minuten gibt es jetzt nur noch zwischen Trettlager und Speichen.
Horst kommt mit dem Zweirad von der Plackerei und Helga ist auf dem Weg dorthin, so trifft man sich auf dem Brunsbüttler Damm und tauscht kurz Küss-chen und Infos aus – keine einfache Zeit.
Helga trägt Zeitungen aus und ist mit verantwortlich, das viele Spandauer Köpfe im Winter eine wärmende Kopfbededeckung inne haben. Dreizehn Jahre näht Helga Kunstpelzmützen zu einem Stück zusammen.
Eine Aufgabe bei der Helga irgendwann die Relevanz und die geistige Anforderung fehlt. 1975 sind Bernd und Carsten aus dem Gröbsten raus und die Wintermützen haben nur gut sechs Monate im Jahr Konjunktur. „Stempeln“ wie man die Arbeitslosigkeit damals nennt ist nicht Helgas Metier, also heißt es umorientieren. Das Arbeitsamt bietet ihr eine Umschulung an – Goldschmiedin, Tapetenmalerin und Bürobetätigung.
Gold und Kleister treffen nicht unbedingt Helgas Nerv, aber die Rako-Schule und das Codewort Stenokonturistin schon eher. Nach acht Monaten pauken und im Alter von 39 Jahren beginnt der vehement soziale Teil in Frau Joppeks Leben.
Neben dem Wissen um Buchführung, Stenoabschriften vom Band und kom-munikativem Talent hat Helga einen Charakterzug der sie in die Kirchenge-meinde Staaken an die Heerstraße Nord verschlägt – Empathie.
Die bleibt auch gestrigen und heutigen Pfarrer Cord Haselblatt nicht verborgen, den Sie 21 Jahre im Büro unterstützt, entlastet und hilft.
Sie ist die erste Kontaktperson für alle Menschen, die die Staakeneer Gemeinde
betreten, die Sorgen, Wünsche, akkute Hilfe oder einfach nur ein offenes Ohr brauchen.
Sozial engagieren ist hier Lebenselexier und Antrieb für jeden – „das geht in der Kirche nicht anders“, verrät Helga Joppek.
Helga ist Kummerkasten, lebendige Anlaufstelle, sowie Ratgeberin und da Büros immer einen unpersönlichen Anstrich haben, finden Gespräche, Beratungen oder herzliches Geplauder in der Küche der Gemeinde statt. Hier ist die Schaltzentrale, kirchlicher Hochofen und eine Menge Sympathie. Zwischen Kaffee und Kuchen wird gesprochen, geplappert und geläutert – Familien, Kinder , Geflüchtete – Kirche ist für alle da, wie Helga Joppek ezählt. Die Küche ist geschützter Raum, vertrauter Boden und einaldedende Location.
Da verwundert es nicht das Ihr das Küsterinnenamt der Gemeinde angeboten wird und damit einhergehend die Dienstwohnung im Gemeindehaus, die sie heute noch bewohnt. Schlüsselausgabe, Weh –Wechen, Veranstaltungen, Gottesdienste – zwei Jahrzehnte ist Helga Joppek gute Seele, Ansprechpartnerin und mit ein Gesicht der Gemeinde.
Im Kirchenblatt zum 40-jährigen Jubiläum der Gemeinde findet man den vielsa-genden Satz:“ Helga Joppek, ist im Büro die erste Kontaktperson für Besucher, und war nicht nur für die Pfarrer hilfreicher Geist beim Organisieren“.
Wertschätzung, Anerkennung und Respekt vor Ihrer Arbeit. Sie ist Staakenerin sprichtwörtlich mit Leib und Seele!
1998 scheidet sie aus Ihrem Amt und genießt die wohlverdiente Rente, liest historische Romane, frönt ihrer versteckten Liebelei zu Hamburg und tanzt Dienstags im Seniorenheim auch gern mal mit dem ehemaligen Spandauer Bürgermeister Konrad Birkholz, der sich hierbei dezentes Lob einheimst, tänzerisch ist er nämlich „saugeil“ unterwegs, wie sich Helga Joppek ausdrückt.
Da die Dienstwohnung des Gemeindehauses immer noch ihr Zuhause ist, ist sie sozial nicht weit weg vom Schlag und auch für Pfarrer Haselblatt greifbar.
Es überrascht nicht wirklich, als 2004 die größte Essenausgabe für Arme und bedürftige der Berliner Tafel, angedockt an die Gemeinde eröffnet
und Helga und Ihr Mann mittendrin statt nur dabei sind. Der Rundfunk Berlin Brandenburg berichtet und die Mitbegründerin der Tafel Frau Werth ist vor Ort.
Eigentlich kein Tag zum feiern, wenn Menschen aus sozialen, wirtschaftlichen oder privaten Gründen nicht genug zu Essen haben und sich an solch Institutionen wenden müssen, doch für Helga Joppek Startschuss eines des normalsten Dinge der Welt – ehrenamtliche Unterstützung in Reinform.
Helga und ihr Mann organisieren ehrenamtlich, planen und managen die Aus-gabe mit, wie sie es betont. Es gibt ein Netzwerk an Ehrenamtlichen, die mit ihren Fahrzeugen stetig Supermärkte und Läden anfahren, um Nahrungsmittel vor der Tonne zu retten. 2019 in einem der reichsten Industrie Länder der Erde
ein eher bedauerlicher Umstand.
Fast vierzig Menschen kümmern sich jeden Donnerstag um gute 400 Men-schen, die unfreiwillig die Essenausgabe nutzen. Zu Begin 2004 waren es noch überschaubare 50-60 Menschen – eine fast beängstigende Entwicklung.
Für Helga Joppek ist Donnerstag Sporttag, weil sie weiß das sie von 7-17 Uhr
auf den Beinen ist und Karteikarten, Brötchen, Kuchen, Kekse, Gemüse und Obst sortiert oder nebenbei mal eben sieben Kühlschränke organsiert.
Für Menschen kein einfacher Gang, für Frau Joppek Grund genug ihnen unan-genehmes, zurückhaltendes und ein schlechtes Gefühl mit ihrer Art zu nehmen.
Da wird für Laurenzia schon mal gesungen, ein Lächeln verschenkt und die eh-renamtlichen Helfer bei guter Laune gehalten. Klingt geschrieben verdammt einfach, ist aber einer der schwersten Aufgaben überhaupt.
Diese Hilfe ist voller Selbstverständlichkeit in Routine übergegangen und bedarf keiner weiter Erklärung bei Joppeks, so das selbst der Pfarrer der Gemeinde in Aufruhr kommt, wenn Helga ans aufhören denkt.
„Ohne Euch mach ich es nicht! Wenn ihr aufhört, höre ich auch auf!“
Keine Sorge. Helga Joppek beteuert. „Solange wie ich krauchen kann, mach ich das!“
Für eine Frau, die Menschen in Armut ein freundlicher Fels ist und das fast zwei Jahrzehnte. Eine empathische Person, die Bedürftigkeit mit Respekt begegnet und Menschen ein wohlig warmes Gefühl vermittelt.
Eine Dame die auf die Frage, ob sie mit dem Begriff Ehrenamt etwas angangen kann antwortet: „ Mit Ehre schon, aber nicht mit Amt.
Applaus für eine Person, die sich denen im Bezirk verschrieben hat, die nicht so viel haben, auch wenn sie das mit ihrer unbeschreiblichen Art nie so sagen oder empfinden würde – und das macht sie zu einer würdigen Preisträgerin.