Klare Kante, Meinungsstark, aber mit einer gewissen kumpelhaften Bodenstän-digkeit. Wer sich mit Thilo-Harry unterhält, darf das kommunikative Rüstzeug nicht zuhause vergessen. Eine Anekdote jagt die nächste, Terminkalender immer im Anschlag, bis er unvermittelt im Gespräch auf einmal sagt: „Ich muss los!“. Wollenschlaeger ist Workaholic und Schausteller mit Leib und Seele.
Geboren am 14.02.1966 in Berlin Charlottenburg und mit dem Namen Wollen-schlaeger. Wir klären die Frage mit dem ae im Nachnamen sofort, Thilo-Harry hat sie nämlich schon eine Million mal beantwortet. 1927 bei der Geburt seines Vaters, dachte sich der Standesbeamte an einem kreativen Tag, dass man Wollenschlaeger doch auch mit ae schreiben könnte und vermerkte dies auch genauso auf der Geburtsurkunde. Der Fauxpas war beurkundet und somit auch das ae geboren.
Thilo-Harry hatte eine behütete Kindheit und auch wenn er seinen Vater als Persönlichkeit beschreibt, war es ihm unangenehm, wenn sein alter Herr ihn relativ haarlos und mit Glatze zur Schule brachte. Das blieb ihm bald erspart, als er die angesehene Schele-Privatschule in Neu-Westend besuchte. Thilo-Harry war kein Streber und beendet seine schulische Laufbahn mit Realschulabschluss. Mit einem Notendurchschnitt von 3 bezeichnet er sich nicht als Überflieger, zum Glück wissen wir heute, dass er das jetzt irgendwie ist.
Charakter und soziale Leitlinien brachte ihm sein alter Herr bei. Schlagworte wie Stolz, Werte oder finanzielles Gebaren finden sich heute noch in seinem Wortschatz – sein Vater ist für ihn Lehrer und Respektperson und zugleich ein Wegbereiter für Schausteller in Berlin und darüber hinaus. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schausteller und der Europäischen Union der Schausteller. Dieses Engagement wird sein Sohn fortführen.
Mit 18 hat der junge Thilo aber andere Träume und Titel im Kopf. Auf dem Fuß-ballplatz bei Tennis Borussia fühlt er sich am wohlsten und eigentlich sind Stollen, Stürmer und Slalomläufe seine kleine Passion. Welcher ballverrückte 18-jährige wünscht sich nicht, Profi in der Bundesliga zu werden. Papa Wollenschlaeger, in vierter Generation Schausteller, hat da ganz andere Pläne. Der 57-jährige nimmt seinen Stammhalter sprichwörtlich unter seine Fittiche und macht aus Thilo-Harry ein Allroundtalent, Rüstzeug für einen wahren Schausteller.
Er macht einen Schweißerpass, schlägt sich mit Stromkreisen in einer Elektrobaufirma rum und darf sich im Steuerbüro auch Zahlen, Abschlüssen und Tabellen widmen.
Ein Schausteller hat für jedes Problem eine Lösung, das sagt Thilo-Harry heute, da verwundert es nicht, dass in den heutigen Kant-Garagen nahe Bötzow, wo sich das Wollenschlaeger Hauptquartier befindet, auch Schlosserei und Tischlerei ihren Platz haben, seine Buden baut er nämlich höchst selbst.
Doch 1989 ist es damit noch weit hin. Sein alter Herr steigt aus dem heimischen Unternehmen aus und vermacht seinem Stammhalter die Firma, macht ihn zum Chef eines wahren Schaustellerimperiums – einer Losbude. Er
wünscht seinem Sohn alles Gute und gibt ihm noch einen väterlichen Rat mit auf dem Weg: Einnahmen sind nicht dein Geld mein Junge, also achte stets auf die Kasse! Der 23-jährige kann sein Glück kaum fassen, aber das Vertrauen seines Vaters in ihn scheint unendlich.
„Er hat mich ins kalte Wasser geschmissen“, beschreibt Thilo-Harry heute seine Glücksgefühle. Doch es kommt, wie es kommen muss in guten Geschichten, der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung gibt Rummeln, Freimärkten und Volksfesten einen ungeahnten Aufschwung. Ein wahrer Goldregen für das Schaustellermilieu, der bis Mitte der 90-iger Jahre anhält. Doch nicht nur Deutschland betreut Thilo-Harry mit Karussells und Zuckerwatte, er bereist
ganz Europa.
Aus einer Losbude wird ein großes Schaustellerunternehmen, obwohl er die alte Losbude immer noch hat. Die erste Bude gibt man nicht weg, denn sie erinnert auch an schlechte Zeiten. Thilo-Harry macht Reibach, heiratet, bekommt eine Tochter und merkt rasch: Erfolg sät Missgunst und Vorurteile.
Doch seelig werden soll, wer Erfolg teilt und das zeichnet Thilo-Harry Wollenschlaeger aus. Seit fast vier Jahrzehnten treuer Begleiter des Spandauer Weihnachtsmarktes und unbändiger Initiator sozialer Projekte. Thilo möchte etwas zurückgeben, das klingt pathetisch aber wer Thilo kennt weiß, das ist keine hohle Phrase. Spandau und vor allem der Weihnachtsmarkt liegen ihm am Her-zen. Am Herzen liegt ihm auch seine Familie.
Der Schausteller muss einen Gang runterschalten, Deutschland und seine Volksfeste bereisen ist einem Familienleben nicht unbedingt zuträglich, und er wird in Spandau heimisch.
Er stellt den Fokus seines Schaustellerdaseins etwas anders ein. Natürlich ist er immer noch Organisator, vor Ort, aber kümmert sich als Verbandsfunktionär gemäß der Vita seines alten Herrns, um den Schaustellerverband. Entwickelt ein Schaustellerlogo und ein Motto: Die weite Welt ist unser Feld! Weiterhin ist er gerade mit dem Europäischen Bildungswerk im Gespräch, ob man aus dem Allroundberuf Schausteller nicht einen anerkannten Ausbildungsberuf macht und betreut eine Kulturstiftung, zum Erhalt des Schaustellerberufs und seinem Wandel.
Er sagt, wenn Spandau froh ist, ist mein Auftrag erfüllt. Thilo-Harry fühlt den Puls des Bezirks und spürt einen Wandel und diesem Wandel passt er seine Ideen an. Der sogenannte „Weihnachtstraum“ vor dem Spandauer Rathaus, ist eines seiner vielen alljährlichen Werke.
Hier verschenkt er Bäume gegen eine geringe Spende! Einst schmiss er diese noch weg, hat sie dem Berliner Zoo überlassen, doch als er merkte, dass sich hier manch einer nicht mal eine Tanne zu Weihnachten leisten kann, entstand die Idee. Eine soziale Tradition, die auch in diesem Jahr wieder ihre Abnehmer fin-den wird. Doch Erlöse steckt er nicht in die eigene Tasche, sondern spendet sie, und Thilo lässt sich nicht lumpen – die Beträge werden großzügig aufgerundet. Die letzten Erlöse gingen an die Stiftung „Haus Jonas (2015), „Staaken ohne Gewalt“, an das „Kinderheim Sonnenhof“ oder die „KiTa Wundertüte“ – die Liste ist beliebig erweiterbar.
Wollenschlaeger ist ein sozialer Typ. Anschneiden des großen Weihnachtsstollens, Weihnachtsbaumschmuck-Wettbewerb oder einfach mal ein Fest für 1200 Schülerlotsen organisieren, um deren freiwilliges Engagement zu würdigen, seine jährlichen Spenden für die Initiative „Weihnachten für Alle“, wo finanzielle Unterstützung, Lebkuchen und Kuscheltier ihre kleinen Abnehmer finden – Thilo ist dabei!
„In Spandau fühle ich mich menschlich gut aufgehoben“, sagt er. Er hält die Schaustellertradition im wahrsten Sinne des Wortes hoch und verleiht ihr ein strahlendes Gesicht, ein Image – ein traditionelles und vor allem ein würdiges.
Der 52-jährige ist fassbar, ansprechbar und nicht frei von Empathie – im Gegenteil. Wie sein Team sitzt Wollenschlaeger zum Weihnachtsmarkt in seiner Bude und packt mit an – eine verschworene Gemeinschaft nennt er das. Ruhig und gelassen ist er, aber ein Volksfest läuft nicht ohne seine Anwesenheit.
Für einen Mann, der soziale Kompetenz verkörpert, der Spandau treu ist und diesen Bezirk und seine Feste prägt. Einem Mann der sagt, was er denkt und mit seinen selbstlosen Aktionen stetig Freude verbreitet und sprichwörtlich verschenkt. Eine Persönlichkeit, die für Spandau steht und sich für die Belange unseres Heimatbezirkes einsetzt. Vier Jahrzehnte Spandauer Weihnachtsmarkt. Vier Jahrzehnte Einfühlungsvermögen und ein Herz für seine Mitmenschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Hoffen wir, dass er nicht gleich los muss und uns noch einen Moment beehrt, bevor er das nächste Volksfest unsicher macht.