40 Jahre lief sein Leben nach dem Takt der Schulglocke. Zum Glück hatte er seinen Notenschlüssel dabei, um diesem Umstand mit der Klaviatur der guten Laune etwas zu entfliehen. Dass er gerade in einen neuen Lebensabschnitt eintaucht, sieht man ihm gar nicht an, auch wenn er viel zu früh eingeschult und chronisch spätreif ist.
Reif ist, dass er sich vier Jahrzehnte für Spandaus Schulen und das gemeine Musizieren in Spandau ins Zeug gelegt hat, auch wenn er heute noch nichts mit der Fugenexposition in 12-Ton-Musik anfangen kann. Angefangen und etabliert hat er musikalisch unzählige Veranstaltungen in unserem Bezirk, auch wenn er auf der Bühne gern mal ‘nen „Larry schiebt“. Mit Recht, denn wer kann schon behaupten, mit Reinhard Mey, Paul Kuhn und den Ärzten Kontakt gehabt oder musiziert zu haben. Also Dank geht raus an Tante Erna, die ihm mit sieben Lenzen zum Klavier gebracht hat, denn davon profitieren wir heute noch.
Vorgeschlagen für die goldene Spandauer Ehrennadel 2022 – Reinhard „Reini“ Müller
Wer Reini Müller schon mal auf einer Bühne gesehen hat, erkennt schnell Rampensau und musikalisches Mastermind. Von seinen Erfahrungen und Erlebnissen erzählt „Reini“ am heimischen Küchentisch. Hier ist er immer noch mit ansteckender guter Laune beseelt, aber doch etwas bedachter, zurückhaltender und fast selbst überrascht, was er bis jetzt musikalisch in seinem Leben organisiert, angeschoben und bewerkstelligt hat. Im Nachhinein wird in einer E-Mail, fast nachdenklich, geschrieben stehen, dass er selbst fasziniert war, wie viele Punkte seines Lebens im Gespräch wieder aufgeflackert sind.
Miteinander musizieren und mächtig viel Sozialkompetenz.
Reinhard Müller wurde als „echter“ Spandauer am 14. Juni 1959 im damaligen Lynar-Krankenhaus (Neustadt) geboren, ist seinem Heimatbezirk stets treu geblieben und lebt jetzt mit seiner Frau Karin und den beiden Kindern Gina Sophie und Janik in der südlichen Wilhelmstadt.
Seine ersten Schritte macht er in der Teltower Straße. Er hat einen 20 Jahre älteren Bruder. Sein Vater ist schneidiger Oberstudienrat, die Mutter kümmert sich um Nachwuchs und Haushalt.
Erste schulische Erfahrungen macht er in der Christian-Morgenstern-Grundschule, erste musikalische mit Tante Erna. Die Profimusikerin kommt gern mal aus der sowjetisch besetzten Zone zu Besuch und weckt die Leidenschaft für Klavier und seine 88 Tasten.
Oberschulische Erfahrungen macht er am Lily-Braun-Gymnasium und am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Extrem förderlich hierbei ist, dass der kleine Reinhard immer auch mal Unterricht bei Lehrerinnen und Lehrern hat, die sein alter Herr ausgebildet hat, und da fragt man gern auch mal nach: „Du Reinhard, was sagt dein Vater eigentlich zu meinem Unterricht?“ Heute würde man wohl sagen: „Wie uncool ist das denn!“
Der kleine Reinhard ist zu diesen Zeiten zurückhaltend, etwas in sich gekehrt und beherrscht die Klaviatur der guten Laune noch nicht. Heute beschreibt Reini seine schulische Laufbahn mit den Schlagwörtern „bessere Konzentration – bessere Leistungen“ oder auch mit „zu früh eingeschult und chronisch spätreif“. Dass ihn Klassenzimmer, Paukerehre und Notendurchschnitt 40 Jahre begleiten werden, war absehbar, da auch die vorherigen Müllerschen Generationen geleitet, gelehrt und garantiert auch etwas gelitten haben.
In dieser Zeit kommt er durch Zufälle auch in Kontakt mit dem SFB Kinderfunkhaus, wird Hörspiele sprechen und Größen, wie Reinhard Mey und Paul Kuhn kennenlernen. Dass er diesem Metier zukünftig auch gern beruflich gefrönt hätte, wird ihm sein Vater ausreden.
Im Jahre 1977 wird Reini sein Abitur machen, auch wenn ihn der Leistungskurs Musik etwas desillusioniert hat. Für Reini ist Musik freudige Erregung, gleitender Resonanzraum und großartige Emotion und keine theoretische Fugenexposition in 12-Ton-Musik. Ein Umstand, der ihn bis heute prägt.
Bevor er sein Lehramtsstudium, Fächer Musik und Französisch, beginnt, wird er aber musikalische Völkerverständigung leisten, vorbereitend Studien an der französischen Côte d‘Azur durchführen und erforschen, wie bezirzende Klänge in Strandbars und Bikiniatolls auf das weibliche Geschlecht wirken und wie man hier Leidenschaft und knisterndes Aphrodisiakum hervorruft. Eine Zeit, die das Selbstbewusstsein boostert, Entertainment-Qualitäten freischürft und, wie er selber augenzwinkernd zugibt, „sprachlich viel gebracht hat“!
Ende der 70er Jahre initiierte Reinhard Müller mit anderen jungen Musikern und in
Zusammenarbeit mit dem damaligen Kultursenator Dr. Sauberzweig (SPD) die Planung und Umbaudurchführung vom „Rockhaus Spandau“.
Aus diesem Projekt erwuchsen bedeutende Künstler, wie „Die Ärzte“,
Loveparade – Initiator Dr. Motte oder der Produzent der GZSZ Musik Christoph Rinnert.
Anfang der 80er Jahre nahm Reinhard Müller an der Organisation der „Umsonst und Draußen”-Festivals in Kladow teil und wirkte auf der Bühne als Keyboarder und Sänger der Bands “Macbeth“ und „Fiktiv“ mit.
1985 heißt es dann Entscheidungen treffen! Nach dem bestandenen 2. Staatsexamen mit der Freundin essen gehen oder bei der Band “ROCK 59“ am Metzer Platz als Keyboarder aushelfen. Die Entscheidung ist schnell getroffen und die Band-Beziehung dauert nun schon über 37 Jahre an – “ROCK 59“ ist Spandauer Kulturgut und mit zahllosen Auslandstourneen sowie über 1300 Auftritten auch auf allen lokalen Bühnen zuhause.
Alles netter Nebenverdienst bei der Suche nach einem Lehrerjob, der zu damaligen Zeiten nicht so reich gesät war, wie in heutigen Zeiten.
Sein Paukerdasein ist untrennbar mit der Musik verbunden, denn er kennt die Höhen und Tiefen des Schulalltags, kann sich hineinversetzen, spürt schlummerndes Potenzial und findet sich auch immer wieder selber wieder, in den rund 3000 Schülerinnen und Schülern; möchte sie fördern und ihr Selbstbewusstsein stärken – einen Weg, den er selber in Kindertagen gehen musste – und das trägt musikalische und ehrenamtliche Früchte.
Reinhard Müller kümmert sich seit 30 Jahren um das Weihnachtsmusizieren der Spandauer Grundschulen in der St. Nikolai-Kirche und übernahm auch die Leitung dieser Veranstaltung, er betreut 25 Jahre lang die „Spandauer Rock- und Popwerkstatt“, kümmert sich seit 15 Jahren um die Grundschulveranstaltung „The Best Of“ im Kant-Gymnasium, arrangiert fünf Jahre lang „Schulchor trifft Rockopas“ auf dem Spandauer Weihnachtsmarkt und organisiert zu Corona-Zeiten den „Weihnachtslieder-Circle“ auf der Zitadelle. Außerdem war er jahrelang ehrenamtlich im „Bezirksausschuss des pädagogischen Personals“ sowie „Fachberater für Musik in Spandau“.
Meiner Meinung nach hat Reinhard Müller durch sein unermüdliches Engagement für
konstante und sich dennoch immer weiterentwickelnde Darbietungsformen, freiwillig und ohne zusätzliche Entlohnung, weit über den normalen Rahmen eines Musiklehrers Hinausgehendes geleistet.
Jetzt ist er seit ein paar Monaten Ehrenamtlicher, denn Reini ist nun Pensionär und der Wecker klingelt nicht mehr täglich um 05:59 Uhr – aber er unterstützt den Bezirk weiterhin unentwegt als Musikpädagoge und Musiker.
Deshalb wird man ihn auch am 3. Dezember beim Weihnachtsmusizieren der Spandauer Grundschulen wieder auf der Bühne am Altar der St Nikolai-Kirche finden.
Reini sagt „Projektfrei geht nicht“, auch wenn er nun in einen neuen Lebensabschnitt eintaucht, wird er das Musizieren, Projekte mit Kindern, Konzerte und die dadurch entstehenden Herausforderungen weiter annehmen, umsetzen und uns die „Zöglinge“ und das Publikum entertainen.
Für einen, der Bildung auch als Motivationsveranstaltung empfindet, rund 3000 Schüler*innen etwas mit auf den Weg gegeben hat, und der nie so richtig loslassen wird – und das ist gut so für Spandau.
Auf dass du mit “ROCK 59“ und Schulchor nochmal die Wuhlheide rockst, dass du weiter Menschen mit deiner Art „kriegst“, wie du es nennest, und uns auch nach deiner Lehrerkarriere so motiviert, unbändig und verdammt kreativ in Spandau zur Seite stehst.
Die goldene Spandauer Ehrennadel 2022 für Reinhard „Reini“ Müller.