Mit einem warmen Herzen

Karikatur - Erwachsenenbildung am Katzentisch

Vorwort von Sabine Weißler

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr ungünstig stehende Tische in einem Restaurant, meist in der Nähe von Türen oder Toiletten, werden umgangssprachlich auch gerne als „Katzentische“ bezeichnet. Darunter fallen im häuslichen Bereich auch solche, die nicht zur eigentlichen Tischordnung gehören. Kinder sitzen bei Festlichkeiten oft an solchen abseits platzierten Esstischen, die meist auch niedriger sind.

Auf einer Karikatur zur „Finanzierung der Bildungssysteme in Europa“ ist folgende Szene aus einem Restaurant gezeichnet: An einem reich mit Speisen und Getränken gedeckten Tisch sitzen Menschen, die jeweils für „Schule“, „Universität“ und „Berufsausbildung“ stehen. Diese werden gerade vom Ober mit einem übervollen Tablett mit weiteren Speisen bedient. Abseits davon sitzen zwei Personen an einem kleinen und niedrigen Tisch mit dem Schild „Erwachsenenbildung“ – fraglos ein Katzentisch. Die beiden versuchen dem Ober erfolglos Handzeichen zu geben, dass sie auch etwas bestellen möchten.
Auch wenn ich bezweifeln würde, dass die Ausstattung des schulischen und universitären Bereichs tatsächlich so üppig ist, wie das Bild nahelegen will, so ist doch zweifellos richtig, dass die Erwachsenenbildung bei bildungspolitischen Diskussionen für ihre Sichtbarkeit kämpfen muss. Ich erlebe es in meinem beruflichen Alltag immer wieder, dass die Volkshochschule ihre Wichtigkeit ausdrücklich betonen und darstellen muss, wenn es z.B. um die Bereitstellung von Räumen, Geld und Personal geht.

Dabei handelt es sich bei der Erwachsenenbildung in Deutschland insgesamt um einen riesigen Bildungsbereich. Glaubt man dem aktuellen Weiterbildungs-Monitor so sind 1,3 Millionen – lehrend, planend und beratend – in der Erwachsenen-/Weiterbildung beschäftigt (davon ca. jeder sechste an einer Volkshochschule). Im Vergleich dazu: in der Autoindustrie arbeiten 830 000 Menschen.

Die deutschen Volkshochschulen feiern im Jahr 2019 ihr 100jähriges Jubiläum. Doch längst reichen die staatlichen Fördermittel nicht mehr aus, um sie am Leben zu halten: Die deutschen Volkshochschulen finanzieren sich inzwischen jeweils zu einem Drittel aus staatlichen Förderungen, Teilnehmerentgelten und eingeworbenen Drittmitteln.

Die Volkshochschule leistet von jeher einen Beitrag dazu, das Leben lebenswerter zu machen. Daher setzen wir uns für eine leistungsstarke und moderne Volkshochschule ein und tun, was in unseren bezirklichen Möglichkeiten liegt, wenn es um gute Räume, gute Ausstattung und gutes Personal geht.

Jüngstes Beispiel: Im kommenden Jahr werden wir die digitale Ausstattung unserer Volkshochschule weiter ausbauen und verbessern. Auch die von Ihnen gezahlten Entgeltzuschläge helfen uns, die Infrastruktur auszubauen und zeitgemäßen Unterricht anzubieten. Aber digitale Infrastruktur allein hilft noch nicht viel beim Lernen. Deshalb haben wir als erste Volkshochschule in Berlin eine Mitarbeiterin, die sich als Mediencoach ausschließlich dem digitalen Lernen widmet. Auf unserer Homepage finden Sie unter „Aktuelles“ ein Interview mit ihr, in dem sie ihre Aufgabe vorstellt.

Denn in Berlin Mitte sollen Sie nicht am Katzentisch sitzen, wenn es um Ihre Bildung geht.

Viel Spaß beim Lernen in der Volkshochschule!

Sabine Weißler

Vorwort von Michael Weiß

Sehr geehrte Damen und Herren,

bringen wir den Gründungsakt der Berliner Volkshochschule vor knapp 100 Jahren mal als Theaterstück auf die Bühne:

1. Akt, 1. Szene, Aula der Berliner Universität, (sehr feierlicher Rahmen)
Die Gruppe der Hauptredner steht vor Beginn zusammen und ist im Gespräch miteinander.*

Rektor der Berliner Universität (mit sonorer Stimme): Die enge Verbindung zwischen Universität und Volkshochschule dokumentiert schon allein der Umstand, dass die Berliner Universität zu dieser Feier ihre Aula zur Verfügung stellt.
Berliner Bürgermeister (ins Wort fallend): Und wir sind mitten dabei. Solange die Hochschulen nur wenigen Bemittelten offenstand, konnten wir abseits stehen als Stadt. Aber jetzt, wo die Pforten sich für alle auftun, müssen wir mithelfen, die Volkshochschule aufzubauen.
Gewerkschaftssekretär (sehr bestimmt im Ton): Wir begrüßen das auch, dass sich jetzt eine Bildungsanstalt für alle öffnet, aber nicht aus Dankbarkeit, sondern weil hier eine soziale Pflicht erfüllt wird.
Staatssekretär des Innern: Ja, richtig. Es ist der Wille des Volkes, dass es Volkshochschulen gibt. Deshalb stehen die Volkshochschulen nicht einfach nur in einem Weiterbildungsgesetz, nein, die Förderung der Arbeit der Volkshochschule genießt mit §148 sogar Verfassungsrang.
Geschäftsführer der Volkshochschule (erst leise): Gut, die Aufgaben der Volkshochschulen liegen klar, aber der Weg ist schwer zu finden, wir müssen uns neue Pfade in der Bildungslandschaft suchen. In der Sache geht es nicht nur um Vorträge wie an der Hochschule, sondern um gemeinsames Lernen, am besten in Arbeitsgemeinschaften. (mit kräftiger Stimme) Das Ziel ist es, den einzelnen zum beobachtenden, denkenden und fühlenden Menschen zu machen. Wir brauchen dafür Lehrkräfte mit pädagogischem Verständnis und einem warmen Herz. (Unruhe) Solche Hochschullehrer besitzen wir heute kaum. (Der Rektor der Universität unterbricht und gibt dem Chor ein Zeichen.)
Chorgesang.
Reichpräsident Ebert wird in den Saal geführt. Der Festakt beginnt.

Auch wenn es schon zuvor Volkshochschulgründungen gab, so wird das Jahr 1919 wegen der Erwähnung der Volkshochschulen in der Weimarer Verfassung als ihr Gründungsjahr angesehen. Es gründeten sich überall Volkshochschulen, die mit zum Teil erheblichem ehrenamtlichem Engagement über die Weimarer Krisenjahre hinweg erfolgreich geleitet wurden bis zur zwischenzeitlichen sog. Gleichschaltung oder Auflösung im Nationalsozialismus.

Heute, 100 Jahre später, gibt es in Deutschland 905 Volkshochschulen mit 3.000 Außenstellen, 192.000 Lehrkräften und 9 Millionen Teilnehmer*innen pro Jahr.

Sie sehen: Wir sind nicht alleine.
Und Sie sind es auch nicht.

Herzlichen willkommen in unserer Volkshochschule!

Ihr
Michael Weiß

* nachfolgende Zitate – gelegentlich in Anpassung ans heutige Deutsch – sind den Reden der Genannten bei der Gründungsfeier der Berliner Volkshochschule am 10.1.1920 entnommen.

Was steckt dahinter?