Die Gefährdungssituation von Pflanzen und Tieren wird seit mehr als vier Jahrzehnten in Roten Listen der bestandsbedrohten Arten dargestellt. Diese Listen sind zwar juristisch unverbindlich, jedoch ein bewährtes Instrument in der Naturschutzpraxis, als Entscheidungshilfen in der Landschaftsplanung, Eingriffsbewertung sowie im Natur- und Artenschutz. Das Grundprinzip ist relativ simpel: Wenn Arten besonders hohe Umweltansprüche haben oder sehr störungsempfindlich reagieren, sind sie bei Beeinträchtigungen in der Regel als erste betroffen, gehen zurück oder verschwinden ganz aus einem Gebiet. Umgekehrt lässt das Vorkommen bestandsbedrohter Arten in einem Gebiet darauf schließen, dass selbst anspruchsvolle Arten noch ausreichende Lebensbedingungen finden, was positiv bewertet wird. Darüber hinaus lässt sich – im Falle der Fische – aus dem Zustand der Population einer bestandsbedrohten Art auf die Lebensraumqualität des Gewässers schließen.
Je größer der lokale Bezug einer Roten Liste und je höher der Gefährdungsgrad einer Art, desto wertvoller und überregional bedeutsamer für den Artenschutz sind die Vorkommen zu bewerten. Der Wert Roter Listen in der Eingriffs- und Umweltbewertung beruht auf deren regelmäßiger Aktualisierung und Revision anhand von Bestandsentwicklungen sowie einer nachvollziehbaren und fundierten Einstufung der Arten.
Die vorliegende vierte Rote Liste der Fische und Rundmäuler dokumentiert und bewertet den aktuellen Grad der Gefährdung einheimischer Fischarten in Berliner Gewässern. Nach einer ersten Fassung für ganz Berlin 1993 (Wolter et al. 1994) und ihren Aktualisierungen 2003 (Wolter et al. 2003) und 2013 (Wolter & Schomaker 2013), liegt nun die vierte, aktualisierte Fassung 2023 vor (Broschüre). Für die Einstufung der Arten wurde erneut das bundesweit einheitliche Verfahrens mit definierten Einstufungskriterien zur Klassifizierung bestandsbedrohter Arten nach Ludwig et al. (2006) verwendet, so dass Veränderungen der Gefährdungssituation der Arten direkt vergleichbar sind.
Die regionale Rote Liste der Fische und Rundmäuler Berlins ist relativ speziell, weil sie einen kleinen und dazu hoch urbanen Bezugsraum hat. Dies ist insofern ein Nachteil, da nur Teile des Spree-Havel-Systems und damit auch der darin lebenden Fischpopulationen einbezogen und bewertet werden. Dafür liefern Kenntnisse der Bestandsentwicklung von Fischarten – auch anspruchsvolleren – in urbanen Gewässern wichtige Hinweise auf das ökologische Potenzial von erheblich beeinträchtigten Gewässern, Toleranzen von und Entwicklungsmöglichkeiten für Fischarten sowie effiziente Gewässerrevitalisierung.
Die Fischfauna der Berliner Gewässer umfasst insgesamt 50 Rundmäuler und Fischarten, davon 37 einheimische. Alle drei einheimischen Rundmaularten und fünf Fischarten sind ausgestorben bzw. verschollen. Insgesamt sind neun Arten bestandsbedroht (24,3 ). Zusammen mit den bereits ausgestorbenen Fischarten sind fast die Hälfte der ursprünglichen Berliner Fischfauna, 45,9 aller einheimischen Arten, verschwunden oder bestandsgefährdet. Hinzu kommt die Nase als extrem seltene Art, für die es bislang nur einen Einzelfund aus dem Großen Müggelsee gibt. Insgesamt 15 Arten (40,5 %) sind aktuell ungefährdet.
Die Auswertung des kurzfristigen Bestandstrends ist relativ alarmierend, überwiegen doch die Bestandsrückgänge. Betroffen sind hier vor allem Arten der Kleingewässer, allen voran die Karausche, aber auch der Schlammpeitzger und kühleres Wasser bevorzugende Arten wie Hasel, Kaulbarsch und Quappe. Hier machen sich bereits die im urbanen Raum besonders verstärkten Folgen des Klimawandels bemerkbar.
Insgesamt ist zu konstatieren, dass analog zum Bundesgebiet (Freyhof et al. 2023), auch in Berlin die positive Fischbestandsentwicklung aufgrund verbesserter Wasserqualität zum Erliegen gekommen ist. Die Bestandstrends der meisten Arten sind unverändert, obgleich viele von ihnen ihre historische Verbreitung und Häufigkeit noch nicht erreicht haben und einige Arten sind sogar wieder rückläufig. Nachdem die Wasserqualität kein limitierender Faktor ist, sind die Förderung der Fischartendiversität und Erholung der Bestände nur über Maßnahmen zu erreichen, die gezielt Gewässerstrukturen verbessern, welche für den Lebenszyklus von Flussfischarten essentiell sind, wie z.B. Kieslaichareale und Brutaufwuchsgebiete.
Analog dazu ist auch die Gesamtbilanz gegenüber der Roten Liste der Fische Berlins von 2013 negativ. Waren 2013 nur 6 Arten bestandsgefährdet, so sind es jetzt 9. Nach einem Zwischenhoch 2013, als gegenüber der nunmehr vorletzten Roten Liste (Wolter et al. 2003) elf Arten in ihrer Gefährdung zurückgestuft wurden, weist die aktuelle Rote Liste nur Hochstufungen auf, z.B. bei Gründling, Hasel und Quappe. Nicht eine einzige Art wurde aus einer Gefährdungskategorie zurückgestuft.