Ehemalige Rieselfelder 2010

Einleitung

Bis in die 1870er Jahre erfolgte die Ableitung der Haus- und Straßenabwässer Berlins über eine primitive Rinnsteinentwässerung. Nach jahrelangem Streit über das zu wählende Verfahren der Stadtentwässerung und Abwasserbeseitigung hatte sich das Verrieseln von Abwässern bei gleichzeitiger landwirtschaftlicher Nutzung der Flächen als günstigste Form der Abwasserentsorgung durchgesetzt. Insgesamt wurden 20 offizielle Rieselfeldbezirke und zwei Rieselfeldkleinstandorte mit einer für die Abwasserverrieselung hergerichteten (aptierten) Fläche von etwa 12.500 ha eingerichtet. Die hierzu benötigten Flächen wurden von der Stadt Berlin angekauft und befinden sich größtenteils auch heute noch in ihrem Besitz.

Mit dem Ausbau der Klärwerke Berlins wurde der größere Teil der Rieselflächen bis Mitte der 1980er Jahre aus der Nutzung genommen. Im Stadtgebiet Berlins wurden Ende der 1980er Jahre große Flächen in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen bebaut bzw. wie in der Umgebung des Bucher Forstes aufgeforstet. Die letzten Rieselfelder in ursprünglicher Nutzung wurden bis 1998 stillgelegt. Bis 2010 wurden auf den Flächen des Rieselfeldes Karolinenhöhe, Ortsteil Gatow, noch Elutionsstudien (umweltchemische Untersuchung zum Lösen von adsorbierten Stoffen) zur Verbringung von Klarwasser durch die Berliner Wasserbetriebe durchgeführt. Viele der ehemaligen Rieselfeldflächen werden heute land- und forstwirtschaftlich genutzt.

In Rieselfeldböden werden neben Nährstoffen auch die im Abwasser befindlichen Schadstoffe angereichert. Dies führt bei den aufgegebenen Flächen vielerorts zu Beeinträchtigungen der derzeitigen Nutzung und hat aufgrund der Größe der betroffenen Flächen weitreichende Konsequenzen für den Naturhaushalt.

Die ehemaligen Rieselfelder bleiben auch zukünftig weiterhin wichtige Räume für die Stadtentwicklung. Es wurden bereits vielfältige, zum Teil konkurrierende Konzepte zur Nutzung der verbliebenen Flächen für den Wohnungsbau, für Gewerbeansiedlungen, als Erholungsraum oder für Grundwasseranreicherungen diskutiert. In Anbetracht der Kenntnisse über die spezifischen Belastungen der Rieselfeldböden bilden Informationen über Lage und Flächenausdehnung ehemaliger Rieselfelder eine sehr wichtige Planungsgrundlage zur Bewertung der Schutzwürdigkeit der Böden und zur Vermeidung zukünftiger Nutzungskonflikte.

Funktionsweise der Rieselfelder

Die Einrichtung der Rieselfelder erfolgte nach einem Entwässerungsentwurf von James Hobrecht, der 1869 vom Magistrat Berlin für die Leitung des Berliner Latrinenwesens gewonnen wurde. Hobrecht teilte die gesamte Stadtfläche in 12 Gebiete, sogenannte Radialsysteme auf. In jedem Radialsystem war ein Pumpwerk vorgesehen, dem die Abwässer, die sich aus häuslichem, gewerblichem und industriellem Schmutzwasser und aus Niederschlagswasser zusammensetzten, durch Gefälleleitungen zuflossen. Vom Pumpwerk aus wurden die Abwässer mittels Druckrohren zu außerhalb der Stadt liegenden Rieselfeldern verbracht. Ein Teil der Rieselfelder wurde zusätzlich von Direktzuleitern beschickt.

Aus der Druckleitung, die das Abwasser von den Pumpwerken zu den Rieselfeldern führte, gelangte es zunächst in Absetzbecken, die als Beton- oder Erdbecken ausgebildet waren. Beim Strömen des Wassers durch die Becken setzte sich der größte Teil der Sinkstoffe am Boden ab, und Tauchwände hielten vorhandene Schwimmstoffe zurück. Die in den Absetzbecken abgelagerten Sedimente wurden regelmäßig ausgeräumt und auf speziellen Schlammtrockenplätzen entwässert. In früheren Jahren fand der entwässerte Schlamm als Bodenverbesserungsmittel in der Landwirtschaft und im Gartenbau Verwendung. Auch das Grabensystem eines Rieselfeldes wurde regelmäßig gereinigt, wobei die entfernten Sedimente in der Regel direkt am Grabenrand abgelagert wurden. Nachdem das Abwasser die Absetzanlage passiert hatte, d. h. mechanisch gereinigt wurde, floss es über Zuführungen durch natürliches Gefälle auf die Rieselstücke.

Die natürliche Oberflächengestalt des für die Verrieselung vorgesehenen Bodens war für die Aufleitung des Abwassers nicht ohne weiteres geeignet. Je nach Oberflächengestaltung wurden die Rieselstücke (Tafeln) entweder als Horizontal- oder Hangstücke in einer Größe von ca. 0,25 ha ausgebildet und mit Wällen umgeben. Die Berieselung geschah in der Weise, dass die Horizontalstücke über umlaufende Verteilungsrinnen ganzflächig überstaut wurden, während bei den Hangstücken das Wasser der oberen Kante zugeführt wurde und von dort aus dem Gefälle folgend herabrieselte. Ursprünglich gab es noch Beetstücke mit Furchenbewässerung, bei denen das Wasser in parallelen Längsgräben von etwa einem Meter Abstand, die untereinander verbunden waren, über die Stücke floss und nur eine Befeuchtung der Pflanzenwurzeln eintrat (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Schematische Darstellung der Berieselungsarten (nach Erhardt et al. 1991)

Abb. 1: Schematische Darstellung der Berieselungsarten (nach Erhardt et al. 1991)

Im Umfeld der eigentlichen Rieseltafeln befanden sich häufig sogenannte Wildrieselflächen, auf die bei Überlastung der aptierten Flächen über Wildrieselungsschieber unvorbehandeltes Abwasser direkt auf Naturland aufgebracht werden konnte.

Bei der Bodenpassage wurden die Inhaltsstoffe des Abwassers zurückgehalten, im humosen Oberboden adsorbiert, sowie chemisch und biologisch umgewandelt. Damit erfolgte auch eine Zufuhr landwirtschaftlich verwertbarer Nährstoffe. Aufgrund der zunächst hohen erzielbaren Erträge wurde die Mehrzahl der Flächen landwirtschaftlich genutzt und durch eigens gegründete Rieselgüter bewirtschaftet. Dabei erfolgte zumeist eine Mischnutzung von Grünland und Ackerkulturen.

Zur schnelleren Abführung des gefilterten und gereinigten Wassers sowie zur Wiederbelüftung und Belebung des Bodens wurden die berieselten Flächen meist schon bei der Herrichtung in gleichmäßigen Abständen mit Dränrohren durchzogen. Die Ableitung des Dränwassers erfolgte über Sammeldräns in Entwässerungsgräben zu den Vorflutern. Ein Teil des Sickerwassers gelangte nach der Bodenpassage ins Grundwasser.

Im Normalbetrieb wurden die Flächen überstaut. Anschließend wurde abgewartet, bis das Wasser versickerte und der Boden wieder durchlüftet wurde. Erst danach wurde mit dem nächsten Überstau begonnen. Die Berieselungsrhythmen richteten sich zudem nach den Wachstumsperioden der landwirtschaftlichen Kulturen. So waren für Grünland jährlich 4 – 8 Berieselungen mit Beaufschlagungsmengen von 2.000 – 4.000 mm möglich, während Flächen, die für den Anbau von Wintergetreide genutzt wurden, nur einmal jährlich mit 100 – 500 mm Abwasser beschickt werden konnten.

Durch die Überbeanspruchung der Rieselfelder aufgrund zunehmender Abwassermengen, einer Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion und Stilllegungen von Rieselfeldflächen wurden in einigen Bereichen sogenannte Intensivfilterflächen angelegt, die dauerhaft überstaut und zu diesem Zweck eigens mit erhöhten Wällen umgeben wurden. Hier wurde nur eine ungenügende Reinigungsleistung erzielt, da aerobe Abbauprozesse nicht stattfinden konnten. Diese Flächen wurden nicht landwirtschaftlich genutzt.

Mit der Aufgabe der Rieselfeldnutzung erfolgte in vielen Fällen eine weitgehende Einebnung der Rieselfeldstrukturen. Gräben und Tafeln wurden mit dem im Bereich der Wälle aufgeschütteten Material verfüllt.

Belastungen der Rieselfeldböden

Neben den Nährstoffen wurden bei der Bodenpassage auch die im Abwasser befindlichen Schadstoffe zurückgehalten. Die beaufschlagten Böden wurden daher flächendeckend in zum Teil erheblichem Maße mit Schwermetallen belastet. Dies führte zu Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit der Böden, da sich die im Boden befindlichen Schwermetalle in den angebauten Nahrungspflanzen anreichern können. Die ermittelten Belastungen können lokal so hoch sein, dass gesundheitliche Risiken bei direktem Bodenkontakt nicht auszuschließen sind. Dies ist beispielsweise dann relevant, wenn auf ehemaligem Rieselland empfindliche Nachnutzungen (z. B. Kinderspielplätze) vorgesehen sind.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Schadstofffracht der verrieselten Abwässer durch die zunehmende Verwendung von Haushaltschemikalien, Waschmitteln sowie die Zunahme des gewerblichen Abwasseranteils im Laufe der Betriebsdauer der Rieselfelder stetig zunahm. Hinzu kam die steigende Belastung mit den durch die Mischwasserkanalisation zugeführten Straßenabwässern. Aufgrund der Abwasserzusammensetzung ist im Zuge der Rieselfeldnutzungen neben Schwermetallen auch mit einer relevanten Belastung der Böden mit organischen Schadstoffen zu rechnen.

Innerhalb der ehemaligen Rieselfelder bestehen in Abhängigkeit von der Menge der aufgebrachten Abwässer erhebliche Gradienten in der Schadstoffbelastung der Böden. Entscheidend hierfür sind die Betriebsdauer, die Art der Nutzung sowie die Menge der jährlich aufgebrachten Abwässer. Besonders hohe Belastungen sind hier vor allem im Bereich der ehemaligen Intensivfilterflächen zu erwarten. Zusätzliche Abstufungen ergeben sich aus den betriebstechnischen Abläufen, so dass Rieseltafeln in der Nähe der Absetzbecken in der Regel stärker belastet sind als weiter entfernte Bereiche. Im Bereich der Absetzbecken und Schlammtrockenplätze ist immer dann mit besonders hohen Belastungen zu rechnen, wenn die Flächen keine Abdichtung aufweisen.

Abb. 2: Schematische Darstellung der Aufteilung eines Rieselfeldes

Abb. 2: Schematische Darstellung der Aufteilung eines Rieselfeldes

Nach Einstellung des Rieselfeldbetriebs wurden die aufgegebenen Flächen zumeist weitgehend eingeebnet und umgepflügt. Hierdurch erfolgte eine Durchmischung von Böden mit unterschiedlicher Belastung. Zudem wurde belastetes Bodenmaterial in tiefere Bodenschichten eingebracht.

Bei der Bodenpassage wurden nicht alle Inhaltsstoffe des Abwassers zurückgehalten. So zeigten sich in den Rieselfeldabläufen erhebliche Konzentrationen von Stickstoff- und Phosphatverbindungen, die die aufnehmenden Vorfluter belasteten. Im Stadtgebiet waren hiervon insbesondere Panke/Nordgraben, Tegeler Fließ, Wuhle, Unterhavel und Rudower Fließ betroffen. Die Stilllegung der Rieselfelder hat hier in der Vergangenheit bereits zu einer Verbesserung der Wasserqualität geführt. Neben der Belastung von Oberflächenwasser ist ein Transfer von Stickstoffverbindungen und organischen Schadstoffen ins Grundwasser nachgewiesen (u.a. Liese et al. 2004). Schwermetalle werden dagegen weitgehend im Oberboden zurückgehalten.

Auch die Aufgabe der intensiven Rieselfeldnutzung hat vielfältige Auswirkungen auf das Ökosystem:

Die während des Rieselfeldbetriebs akkumulierten Nähr- und Schadstoffe sind im Wesentlichen in der organischen Substanz des Bodens gebunden. Bei aufgegebenen Rieselfeldern ist infolge des veränderten Wasserhaushalts und chemischen Bodenzustands mit einem Abbau der organischen Substanz und mit einer Abnahme des Bindungsvermögens zu rechnen. Dabei können die gebundenen Nähr- bzw. Schadstoffverbindungen mit sinkendem pH-Wert remobilisiert und ins Grundwasser bzw. in die angrenzenden Vorfluter ausgewaschen werden.

Die Aufgabe der Rieselfelder hatte zudem erhebliche Konsequenzen für den Gebietswasserhaushalt. So wurde an Pegeln im Bereich der südlichen Rieselfelder ein deutliches Fallen des Grundwasserspiegels registriert. Dies hatte unmittelbare Konsequenzen für die jeweilige Vegetation bzw. für das Ertragspotential der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Zudem hatte die Einstellung der Verrieselung eine Verringerung des Grundwasserdargebots des Ballungsraums Berlin zur Folge. Nach Aufgabe der nördlichen Rieselfelder traten Probleme mit der Wasserführung von Panke und Tegeler Fließ auf, die vorher ihr Wasser zum Teil aus Rieselfeldabläufen erhielten.

Um die negativen Folgen zu mindern, die sich durch die Einstellung des Rieselfeldbetriebes ergaben, wurden verschiedene Konzepte diskutiert und erprobt. Mögliche Maßnahmen sind z. B.:

  • die Erhaltung der Bindungsstärke des Bodens durch Zufuhr von organischer Substanz bzw. Kalk zur Stabilisierung des pH-Wertes,
  • der Schadstoffentzug durch Pflanzen mit hoher Biomasseproduktion und
  • die Wiedervernässung bzw. Weiterberieselung mit gereinigten Klärwerksabläufen mit dem Ziel der Grundwasseranreicherung und der Unterbindung des Abbaus organischer Substanz.