Die Inanspruchnahme von Böden durch Überbauung führt zum Verlust der Bodenfunktionen mit dauerhaft negativen Folgen für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes. Böden weisen vielfältige und schützenswerte Funktionen auf: Als Lebensraum für Pflanzen und Tiere, als Speicher und Filter für das Grundwasser, als Puffer gegenüber Schadstoffen, als Basis für die Landwirtschaft und gesundes Wohnen sowie als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte. Diese grundlegenden Funktionen des Bodens sind durch eine adäquate Berücksichtigung der Bodenschutzbelange in der Planung für die Zukunft zu sichern.
Die Bedeutung des Bodens erlangt zunehmende gesellschaftliche und umweltpolitische Beachtung insbesondere mit Blick auf die Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die Kohlenstoff- und Wasserspeicherfähigkeit des Bodens und die Biodiversität. Dies mündet in bundesweite Maßnahmen und Regelungen zur Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme und der Versiegelung und in die Notwendigkeit eines nachhaltigen Flächenmanagement in Städten und Gemeinden.
Die Bundesregierung hat bereits 2002 in ihrer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel herausgegeben, bis zum Jahr 2020 die Flächenneuinanspruchnahme auf 30 ha pro Tag zu begrenzen (BMUV 2021). Dieses Ziel wurde allerdings nicht erreicht.
Mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2016 hat die Bundesregierung das 30 Hektar-Ziel des Jahres 2020 auf das Jahr 2030 auf „unter 30 Hektar pro Tag“ verschoben (Indikator des Nachhaltigkeitsziels 11.1a, Statistisches Bundesamt 2018). In der Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 2021 wird ergänzend bis zum Jahr 2050 eine Flächenkreislaufwirtschaft angestrebt, das heißt, es sollen netto keine weiteren Flachen für Siedlungs- und Verkehrszwecke beansprucht werden (Bundesregierung (Hrsg.) 2020; Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.) 2021a).
„Die Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV) in Deutschland ist im vierjährigen Mittel der Jahre 2018 bis 2021 durchschnittlich um rund 55 Hektar pro Tag gewachsen. Der tägliche Anstieg nahm damit gegenüber dem Vorjahresindikatorwert leicht zu (54 Hektar pro Tag in den Jahren 2017 bis 2020).“ (Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.) 2023a, 2023b, 2023c). Dieser Entwicklung soll international und national mit ambitionierten Zielsetzungen und Maßnahmen entgegengetreten werden. Sowohl das globale Nachhaltigkeitsziel 15 der Vereinten Nationen als auch die daran angelehnte Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie greifen den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Ressource Boden auf und weisen die Degradationsneutralität als wichtiges Ziel aus (Vereinte Nationen, 2015; Bundesregierung (Hrsg.), 2021).
Unterschied Flächenneuinanspruchnahme bzw. Flächenverbrauch und Versiegelung: Unter Flächenneuinanspruchnahme wird die Netto-Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche verstanden. Der Indikator „Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche“ bezieht sich auf die Umwandlung ehemals natürlicher Flächen in Siedlungs- und Verkehrsfläche und umfasst damit auch nicht versiegelte Areale wie Stadtparks, Hofflächen, Verkehrbegleitgrün, Friedhöfe, Kleingärten etc. Insbesondere in urbanen Räumen ist der Indikator oft unzureichend, um den tatsächlichen Zustand der Böden sowie den nachhaltigen Umgang mit dieser Ressource bewerten zu können.. Die Flächenversiegelung einer Stadt kann auch bei gleichbleibender Flächenneuinanspruchnahme ansteigen (z. B. durch Innenentwicklung und bauliche Nachverdichtung). Die Versiegelung gibt daher i.d.R. den. detaillierteren Aufschluss über den Zustand der Böden im urbanen Raum (LABO, 2020).
Einer von 16 Kernindikatoren, an denen die nachhaltige Entwicklung im Land Berlin gemessen wird, ist daher die Flächenversiegelung (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2021). Mit diesem Indikator wurde im Land Berlin ein Prozess mit dem Ziel angestoßen, auf der Grundlage gesetzlich verankerter Regelungsmöglichkeiten die Einbeziehung der begrenzten Ressource Boden im Spannungsfeld von Bau- und Planungsprozessen nachhaltig zu berücksichtigen und den Schutz und die Wiederherstellung wertvoller Bodenfunktionen zu stärken.
Das Anliegen der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen besteht somit darin, Instrumente für ein aktives, praxisorientiertes Flächenmanagement zur Verfügung zu stellen. Diese erleichtern es insbesondere den Bodenschutzbehörden, ihre Aufgaben als Träger öffentlicher Belange z. B. im Rahmen der Bauleitplanung wahrzunehmen sowie im Rahmen von Umweltprüfungen eine qualifizierte Integration bodenschutzfachlicher Aspekte im Prüfungsprozess vornehmen zu können.
Ein regelmäßig in der Planungspraxis auftretendes Problem besteht darin, dass sich die bei einer baulichen Entwicklung eines Gebietes notwendigen Versiegelungen materiell kaum ausgleichen lassen. Der fachlich beste Ausgleich besteht prinzipiell in der Entsiegelung anderer Flächen. Das Auffinden versiegelter Flächen, die tatsächlich entsiegelt werden können, gestaltet sich in Berlin aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit der meisten Flächen als schwierig und lässt sich im Rahmen der Umweltprüfung mangels eines adäquaten Flächenangebots vielfach nicht realisieren. Entsiegelungsvorschläge haben jedoch meist dann eine Realisierungschance, wenn Entsiegelungsflächen bereits bekannt sind und als geeignet geprüft in einem Verzeichnis vorliegen.
In einem ersten Schritt wurde mit der Umweltatlaskarte Planungshinweise zum Bodenschutz ein wichtiges planerisches Instrument für die bodenschutzfachliche Bewertung erarbeitet. Die Wichtung der unterschiedlichen Funktionen und Empfindlichkeiten der Berliner Böden ermöglicht eine differenzierte Bewertung im Rahmen der Bauleitplanung. So wird z. B. für Böden, die aus bodenschutzfachlicher Sicht als besonders wertvoll eingestuft wurden, die Suche von Standortalternativen für bauplanungsrelevante Vorhaben empfohlen.
Um eine verbesserte Verfügbarkeit von Entsiegelungsflächen zu erreichen, wurde in einem zweiten Schritt das Projekt „Entsiegelungspotenziale in Berlin“ ins Leben gerufen. Das Projekt hat die Erfassung und Bewertung von Flächen mit Entsiegelungspotenzial zum Inhalt und soll dazu dienen, Flächen im Land Berlin aufzufinden, die in absehbarer Zukunft dauerhaft entsiegelt werden können. Soweit möglich, sollen die Funktionsfähigkeit des Bodens wiederhergestellt und naturschutzfachlich wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere entwickelt werden. Außerdem soll es gelingen, eine räumliche Entkopplung zwischen den Orten der Beeinträchtigung und der Aufwertung durch eine gesamtstädtische Erfassung und einheitliche Systematik bei der Bewertung der erfassten Flächen zu unterstützen. Hierfür kommt im Einzelfall das Instrument der Eingriffsregelung (nach Baurecht und Naturschutzrecht) in Betracht. Die erfassten Flächen dienen grundsätzlich als Flächenangebot für die Kompensation von Eingriffen in den Boden und bei dauerhaftem Verlust von Bodenfunktionen sowie für Entsiegelungsmaßnahmen im Rahmen von Fördermaßnahmen.
Im Rahmen mehrerer Projektphasen werden seit 2010 Recherchen in allen Berliner Bezirken, in den vier Berliner Forstämtern sowie bei privaten Eigentümern durchgeführt. Die letzte Aktualisierung erfolgte im Zeitraum von Oktober 2023 bis November 2023. Die bei diesen Recherchen gewonnenen Daten werden in einer zentral verwalteten Datenbank zusammengeführt. Im Rahmen des in der Entwicklung befindlichen Berliner Entsiegelungsprogramms wird perspektivisch eine Zusammenführung vorhandener Potenzialerfassungen angestrebt. Hierbei sind partizipative Möglichkeiten zur Einbringung bisher unbekannter Entsiegelungspotenziale durch verschiedenste Akteure in der Stadt denkbar.
Um die Umsetzung von Entsiegelungsmaßnahmen fernerhin zu unterstützen, wurde zudem eine Arbeitshilfe zur Ableitung vereinfachter Kostenansätze für die zu erwartenden Rückbaukosten erstellt (eine Excel-Eingabedatei vereinfacht die Kostenschätzung für eine Entsiegelungsmaßnahme) sowie aufbauend auf einer Literaturrecherche Vorschläge für einen Handlungsleitfaden zu technischen und qualitativen Standards für die Wiederherstellung der Bodenfunktionen nach einer Entsiegelung entwickelt. Darüber hinaus wird in Form regelmäßiger Newsletter über aktuelle Geschehnisse zum Thema Entsiegelung berichtet. In 2021 wurde zudem eine Dokumentation einer erfolgreichen Entsiegelungsmaßnahme veröffentlicht, die überblickshaft den Projektablauf, die Finanzierung sowie die Beteiligten des Bezirksamtes Spandau aufzeigt (SenUVK, 2021; Für den Newsletter und die Dokumentation siehe Entsiegelungspotenziale in Berlin – Berlin.de). Im Jahr 2024 soll mit einem Bericht über die Entsiegelung der ehemaligen Bezirksgärtnerei Marienfelde eine weitere Dokumentation eines aktuellen Entsiegelungsprojekts veröffentlicht werden.