Bilanzierung des Brutvogelbestandes 1994

Kartenbeschreibung

Allgemein ist bei den Brutvogelarten die Zunahme von ubiquitären Arten und Zivilisationsfolgern zu beobachten, während gefährdete und spezialisierte oder anspruchsvolle Arten zurückgehen. Dies ist prinzipiell den anthropogen bedingten Umweltänderungen (beeinträchtigte, isolierte oder zu kleine Lebensräume) geschuldet. Kurzfristig können aber auch natürliche Bestandsschwankungen auftreten, die etwa auf Dürren oder harte Winter, kleine Populationsgrößen oder hohe Raumansprüche und starke Fluktuationsdynamik bzw. hohe Mobilität der Arten zurückzuführen sind.

Die am stärksten gefährdeten Vogelgemeinschaften Deutschlands nördlich des Mittelgebirgskammes sind derzeit diejenigen der offenen Ackerlandschaften, gefolgt von den Vogelgemeinschaften der Hochmoore, Heiden, Seggenriede, Röhrichte, Erlenbrüche und binnenländischen Feuchtgrünländer (vgl. Abb. 4).

Abb. 4: Gefährdungsgrad von Vogelgemeinschaften in Norddeutschland nach Roten Listen und Indexzahlen

Abb. 4: Gefährdungsgrad von Vogelgemeinschaften in Norddeutschland nach Roten Listen und Indexzahlen

Im bebauten Bereich zeigt die Karte, dass eher häufige und weniger gefährdete Leitarten vorkommen (d.h. geringe potenzielle avifaunistische Wertigkeit, aber häufiges Vorkommen typischer Arten und gute Bilanz). Der unbebaute Bereich wird eher durch gefährdete und seltene Arten gekennzeichnet (d.h. hohe potenzielle avifaunistische Wertigkeit, aber geringes Vorkommen und schlechte Bilanz) (vgl. Flade 1994). In der Stadt gelegene, aber kleine und isolierte unbebaute Bereiche (wie Äcker, Wiesen und Waldstreifen) werden in der potenziellen Bewertung eher zu hoch eingeschätzt.

Dies lässt auf eine gute Ausstattung der Brutvogelhabitate der Siedlungsräume schließen. In Berlin sind die Siedlungslebensräume besonders großflächig und typisch ausgeprägt, so dass sich die entsprechenden Leitarten gut entwickeln können. Im Gegensatz dazu sind die Berliner Offenlandschaften durch ihre geringe Größe und ihre Nähe zu städtischen Strukturen relativ stark negativ beeinflusst. So können sich Leitarten, die für offene Landschaften typisch sind, vergleichsweise schwer ansiedeln.

Im Kartenüberblick fällt eine verhältnismäßig starke Streuung der ermittelten Bilanzwerte auf, auch wenn tendenziell sehr ähnlich bilanzierte können. Diese Streuung erklärt sich aus der Tatsache, dass die Bilanz nicht auf die Einzelfläche, sondern auf die Gitterfelder der Brutvogelatlanten bezogen werden musste, so dass oft verschiedene Lebensraumtypen gemeinsam bewertet wurden. Beispielsweise wurden bei den Flughäfen immer die im jeweiligen Raster befindlichen angrenzenden Bereiche (Industriegebiete, Kleingärten oder auch der Flughafensee am Flughafen Tegel) mit in die Wertung einbezogen, wodurch sich unterschiedliche Wertungen ergaben. Analyse- und Aussageebene kann daher nicht die Einzelfläche oder das einzelne Gitterfeld sein. Vielmehr sollte ein größerer Bereich im Zusammenhang untersucht werden. So kann in Gitterfeldern mit kleinen Leitartengruppen schon das Fehlen einer Leitart die Einordnung des Rasters in eine andere Bilanzstufe bedeuten (4 von 7 Leitarten = Stufe 40 – 60 %; 5 von 7 Leitarten = Stufe 60 – 80 %), während sich die kartierten Leitartenzahlen nicht wesentlich unterscheiden. Dies gilt etwa für den Bereich Kaulsdorf-Süd/Mahlsdorf-Süd.

Dennoch lassen sich generell gut bzw. schlecht bilanzierte Bereiche relativ deutlich voneinander trennen.

Gute Bilanzergebnisse (60 – 100 %, d.h. eine hohe Übereinstimmung von zu erwartenden und tatsächlichen Leitartenbeständen) sind besonders in Bereichen mit Gartenstadt- und Einzelhausbebauung festzustellen; auch andere innerstädtische Bereiche (Altstadtbereiche, Mischgebiete, Industriegebiete, Kleingärten, Friedhöfe, Parks) schneiden z.T. recht gut ab. Dies sind aber gerade die Bereiche, denen eine geringe avifaunistische Wertigkeit zugewiesen wurde. Bemerkenswerter sind daher einige gut bilanzierte unbebaute Bereiche, etwa der Spandauer Forst und das Falkenhagener Feld, wo offensichtlich die Lebensbedingungen für die untersuchten Leitarten günstiger waren als in anderen forstlichen oder landwirtschaftlichen Bereichen Berlins.

Besonders gute Bilanzergebnisse weisen die Gebiete Zehlendorf / Lichterfelde / Dahlem, Reinickendorf / Wittenau Tegel, Pankow / Wilhelmsruh und Karlshorst / Lichtenberg / Friedrichshain / Mitte / Friedrichsfelde / Biesdorf-Nord auf.

Eher schlechte Bilanzergebnisse (0 – 40 %, d.h. eine geringe Übereinstimmung von zu erwartenden und tatsächlichen Leitartenbeständen) erzielen die im Außenbereich gelegenen unbebauten Bereiche. Dazu zählen insbesondere landwirtschaftliche Bereiche, Gewässer und Gewässerufer, die aber potenziell avifaunistisch besonders wertvoll sind, sowie viele Waldbereiche mit eher mittleren avifaunistischen Wertigkeiten. Insgesamt treten hier Leitartengruppen auf, die anspruchsvolle und seltene Arten vermehrt enthalten, deren Lebensräume aber einem hohen Nutzungsdruck durch Erholungssuchende, Sportler, Landwirtschaft oder einer hohen Schadstoffbelastung ausgesetzt sind. Zudem sind die Lebensräume häufig sehr klein und isoliert (etwa Röhrichte, Kleingewässer, Äcker); dies führt zu großen Leitartengruppen pro Gitterfeld, deren Vorkommen aber weniger wahrscheinlich bzw. in der Realität kaum zu erwarten ist.

Auch vielfältig strukturierte Bereiche mit ebenfalls großen Rasterleitartengruppen, aber nur kleinflächigen Lebensraumtypen sind oft schlecht bilanziert. Dazu zählen auch einige vergleichsweise schlecht bilanzierte bebaute Bereiche, etwa Gartenstadtbereiche mit eingestreuten landwirtschaftlichen Flächen, Seen und Röhrichten, Kleingärten und Baumschulen oder Ruderalflächen.

Forstwirtschaftlich und von Gewässern geprägte Bereiche weisen besonders schlechte Bilanzergebnisse auf. Dazu gehören die Gebiete Haselhorst /Tegeler See / Flughafen Tegel / Heiligensee, Havel / Südlicher Grunewald / Wannsee und Müggelsee / Müggelberge / Dahme. Ebenfalls schlecht bilanziert ist der landwirtschaftlich geprägte Bereich um Blankenfelde / Karow / Wartenberg.

Ein Vergleich der potenziellen avifaunistischen Bewertung der Berliner Flächen mit dem Vorkommen von Arten der Roten Liste lässt tendenziell sehr ähnliche Schlüsse zu. Auffällig sind aber die Gewässer- und Flughafenbereiche. Diese sind mit hohen potenziellen avifaunistischen Wertigkeiten belegt, beheimaten aber nur wenige Rote-Liste-Arten. Auch die bei der potenziellen avifaunistischen Wertung offensichtlich zu hoch eingestuften kleinen und innerstädtisch isolierten naturnahen Einzelflächen (wie Äcker und Gewässer) sind von Rote-Liste-Arten kaum bewohnt.

Seltene und gefährdete Vogelarten sind meist am Stadtrand anzutreffen. Vor allem unbebaute Bereiche mit einer naturnahen Vegetationsstruktur, besonders landwirtschaftliche Bereiche, weisen eine hohe Anzahl an Rote-Liste-Arten auf. Dazu gehören die Gosener Wiesen, das Tegeler Fließ, der Köppchensee, die Karower Teiche, der Spandauer Forst und die Gatower/Kladower Feldflur. Im Gebiet um Gosen lassen sich besonders viele gefährdete Arten nachweisen.

Vergleicht man den Ost- und Westteil Berlins, werden einige Unterschiede augenfällig.

Im Ostteil der Stadt sind wesentlich großflächigere Flächenumnutzungen als im Westteil anzutreffen. So sind etwa in den Neubaugebieten Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen oder auf den aufgeforsteten Rieselfeldern bei Buch eher noch schlechtere Leitartenbilanzen zu erwarten als in der vorliegenden Karte über Ausschlussflächen (nicht in die Bewertung eingeflossene Gebiete mit wesentlichen Nutzungsänderungen seit 1980) sichtbar wird.

Einige City- und Altbaubereiche im Ostteil Berlins (Mitte, Friedrichshain, Lichtenberg) sind besser bilanziert als entsprechende Bereiche im Westteil (Kreuzberg). Als Gründe sind hier die im Westen wesentlich weiter vorangeschrittene Sanierung der Stadtquartiere und die damit verbundene Zerstörung von Nistmöglichkeiten der Leitarten sowie die dichter bebaute Stadtfläche mit weniger Frei- und Brachflächen zu nennen. Daher ist infolge der Sanierungs- und Neubaubemühungen im Ostteil der Stadt mit einem Rückgang des Vorkommens von Brutvogelleitarten zu rechnen.

Insgesamt schneiden die Bereiche mit niedrigen potentiellen avifaunistischen Wertigkeiten und wenigen Rote-Liste-Arten in der Bilanz besser ab als die höher bewerteten mit mehr gefährdeten Vogelarten; daher sind bebaute Bereiche prinzipiell besser bilanziert als die unbebauten Außenbereiche. Weniger gefährdete städtische Arten haben offensichtlich bessere Lebensbedingungen als die Leitarten naturnäherer Lebensräume. Dies zeigt sich im Übrigen auch in der avifaunistischen Wertigkeit der jeweiligen Bereiche.

Außerdem belegt das Ergebnis erneut die Bedeutung bestimmter Mindestgrößen für das Vorkommen lebensraumtypischer Leitarten. Daneben zeigt sich, dass besonders kleine innerstädtische naturnahe Bereiche in ihrer Bedeutung sinken, wenn sie ohne Anbindung an andere Lebensräume existieren.