The Dream Before - Andrea Pichl im Korn Kunstraum

artspring berlin in der Heinrich-Böll-Bibliothek

Pressemitteilung

Vom 30.09.bis 07.11.2021 ist im Schaufenster der Heinrich-Böll-Bibliothek, Greifswalder Straße 87, 10409 Berlin, die Ausstellung „The Dream Before“ der Künstlerin Andrea Pichl zu sehen. Die Ausstellung im Schaufenster ist täglich 24 Stunden besuchbar. Alle 2021 geplanten Veranstaltungen der Reihe sind kostenfrei.

In der Ausstellung „The Dream Before“ im KORN Projektraum (Heinrich-Böll-Bibliothek) nimmt die Künstlerin Andrea Pichl den besonderen Charakter des Raums als Schaufenster auf, als Ort einer Installation, die eine Botschaft transportiert und dazu die Aufmerksamkeit von Passanten gezielt auf sich zieht, um ihre Haltung, ihr Verhalten zu beeinflussen.

In Schaufenstern als besonderem Raum exponierte, zur Schau gestellte Waren bieten sich wie sinnliche Magneten dar, deren gefällige, anmutige, verlockende Erscheinung die Frage nach der Brauchbarkeit wie eine Selbstverständlichkeit vergessen lässt. Walter Benjamin sah in solchem Zurschaustellen eine Form anverwandelter ‚Phantasmagorie‘, in der die Warengesellschaft ein Bild von sich selbst produziert, mit dem sie sich zugleich verleugnet.

Andrea Pichl aber lehnt sich mit ihrer Installation an typische Schaufenster-Gestaltungen in der DDR an. Im offiziellen Selbstverständnis sollte die DDR keine kapitalistische Warengesellschaft sein und war darum beständig mit dem Widerspruch konfrontiert, doch eine Wirtschaft zu betreiben, in der Waren gegen Geld getauscht wurden. Es war wohl nicht erst die in den 70er und 80er Jahren zunehmend fühlbare Diskrepanz zwischen dem Angebot der volkseigenen Industrie und den Bedürfnissen der Käufer, sondern schon das Bewusstsein dieses Widerspruchs, das der Warenreklame im Fernsehen, die in den 60er Jahren kaum anders als in irgend einer westlichen Konsumgesellschaft ihren Platz hatte, ein Ende machte.

Die meisten Schaufenster blieben, weil aber ihre mögliche Lockwirkung weder gesucht noch gepflegt wurde, ernüchterten sich die ausgestellten Waren zu rein informativen Hinweisen auf sich selbst: das kann man hier kaufen. In den 80er Jahren wurden sie oft zu unfreiwillig traurig-komischen Darstellungen der Abwesenheit dessen, was potentielle Kunden gern gekauft hätten. „The Dream Before“ ist aus gebrauchten, privat erworbenen Fenstervorhängen aus DDR-Produktion gebaut und wird von deren typischen Mustern geprägt.

Diese Muster bestimmten nicht nur für viele Menschen in der DDR die alltägliche Wahrnehmung, denn trotz langsam veraltendem Maschinenpark konnte die DDR-Textilindustrie lange Zeit hohe Qualität liefern und viele Staaten des Ostblocks, aber auch westliche Märkte versorgen. Der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie nach der Einführung der D-Mark und der Vereinigung des deutsch-deutschen Wirtschaftsraums schloss aber den der Textilindustrie notwendig mit ein.

Die Muster und Stoffe in Andrea Pichls Installation erscheinen darum heute als Artefakte aus archäologischen Tiefen. Zusammen mit dem Schriftzug „Wir dekorieren für Sie um“, gehalten in der in der DDR gängigen Plakatschrift Arabella, bilden sie „ein unwiederbringliches Bild der Vergangenheit, das mit [der] Gegenwart zu verschwinden droht“ (Walter Benjamin). „The Dream Before“ leiht seinen Titel von einem Song Laurie Andersons, in dem sie Benjamins Thesen zur Philosophie der Geschichte zitiert. Eine seiner Zeilen lautet: „history is an angel being blown backwards into the future …“.

In der Ausstellungsreihe Neuland werden sich Künstler*innen in Installationen, Collagen und Fotografien mit der „DDR-Moderne“ in Architektur und Design und ihren tragenden kollektiven Träumen, Utopien und Täuschungen befassen und ihre Sicht auf den anhaltenden Prozess der „Gentrifizierung“ und seine stadträumlichen Folgen präsentieren.

Kuratiert von Dirk Teschner. Realisiert in Kooperation von artspring berlin und der Heinrich-Böll-Bibliothek, gefördert durch das Bezirksamt Pankow von Berlin.

Der Name des Kunstraums KORN bezieht zum einen auf den Architekten Roland Korn und den Namen des Wohnquartiers, indem sich die Heinrich-Böll-Bibliothek befindet. Korn entwarf zahlreiche Repräsentationsbauten in Ost-Berlin z.B. das Staatsratsgebäude, das Hotel Stadt Berlin, die Wohnsiedlung Berlin Marzahn und die Bebauung des Quartiers Mühlenviertel im Prenzlauer Berg.Korn ist zudem ein Saatgut, aus dem Pflänzchen entspringen: und nun Kunst – in einem ungewöhnlichen Stadtquartier.

Die Heinrich–Böll–Bibliothek – eine klassische Bibliothek für Menschen jeden Alters, unabhängig von Status und Herkunft, ist die Bezirkszentralbibliothek von Pankow. Neben Lesungen und Ausstellungen veranstaltet sie, unter der Leitung von Tim Schumann, Konzerte und beteiligte sich an der Fête de la Musique.

artspring berlin veranstaltet seit 2017 ein Kunstfestival im Großbezirk Pankow an – einen ganzen Monat Kunstaktionen, Konzerte, Performances, Lesungen, Ausstellungen, Screenings, Workshops und vor allen Dingen Offenen Ateliers. artspring wächst in jedem Jahr ein Stück weiter, stößt neue Ideen für die Sichtbarkeit von Kunst und Kultur an, schafft Kooperationen und Synergieeffekte.

artspring 2021
Künstlerische Leitung: Julia Brodauf, Jan Gottschalk
Presse: Kerstin Karge, presse@ artspring.berlin , 0163.3959215
Büro: Judith Kuhlmann (Kulturmanagement), Susanne Gupta (Artothek)
www.artspring.berlin
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