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Rundschreiben Soz Nr. 05/2022 Empfehlung zur Umsetzung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII im Leistungstyp Krisenhaus.

vom 09.05.2022

Empfehlung zur Umsetzung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII im Leistungstyp Krisenhaus.

I. Einleitung

Der Leistungstyp Krisenhaus stellt im Spektrum der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII im Land Berlin die bei Weitem intensivste Hilfeform dar. Dieser Leistungstyp ist ein Angebot für Menschen jeglichen Geschlechts, bei denen nicht nur besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind bzw. in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben und/oder die straffällig geworden sind und aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, ihre sozialen Schwierigkeiten zu überwinden, sondern auch auf der Basis von Kriseninterventionsarbeit sofortiger Leistungen insbesondere auch in Form von Unterstützung und Übernahme bedürfen. Dies ist notwendig, um eine akute psychosoziale Notlage, die mit einer erheblichen Einschränkung der individuellen Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten einhergeht, zu überwinden.

Die Menschen bedürfen im Rahmen eines Clearings der Unterstützung und Übernahme bei der Klärung und möglichst nahtlosen Vermittlung in eine bedarfsgerechte Anschlusshilfe.

Menschen die in Krisenhäusern um Aufnahme ersuchen, sind neben dem drohenden oder bereits eingetretenen Wohnraumverlust, in der Regel von mehreren der nachstehend genannten Problembereiche betroffen:

  • Geplante oder erfolgte Suizidversuche
  • Selbstverletzendes Verhalten
  • Angst-und Erregungszustände
  • Abhängigkeit von Alkohol und/oder anderen Drogen
  • Soziale Isolation und Einsamkeit
  • Depressive Stimmung
  • Psychosomatische Beschwerden
  • Krisenhaft zuspitzende Konflikte in der Beziehung
  • Unerträglich gewordene Konflikte im Elternhaus
  • Sexuelle Gewalt
  • Entlassung aus Haft-/Maßregelvollzug
  • HIV-Infektion
  • Ver- bzw. Überschuldung

II. Definition Krise/Krisenintervention

Nach Gahleitner/Ortiz-Müller (Fachlexikon der Sozialen Arbeit, 8. Auflage) ist eine Krise durch den Verlust des seelischen Gleichgewichts gekennzeichnet, wenn ein Mensch mit Ereignissen oder Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie seine bisherigen Problemlösefähigkeiten übersteigen.

Üblicherweise wird zwischen „traumatische Krisen” und „Veränderungskrisen” unterschieden. Nicht alle Krisen jedoch lassen sich in die Zweigliedrigkeit „traumatisch” vs. “Veränderung” einordnen, da manche gerade aus dem wiederholten Scheitern und aus Stressphänomenen nach ursprünglich traumatischen oder Veränderungskrisen entstehen – nicht selten auch vor dem Hintergrund einer vorliegenden psychischen Störung oder psychiatrischen Erkrankung – und damit einen „chronischen Charakter” entwickeln können. Die Abfolge bestimmter zeitlicher Phasen im Krisenerleben (z.B. Schock-, Reaktions-, Bearbeitungs-, Neuorientierungsphase) erweist sich als sinnvolles Modell. Die den genannten Phasen zugeordneten Gefühlszustände werden jedoch häufig eher in spiralförmigen Bewegungen durchlaufen.

Als eine Gemeinsamkeit unterschiedlicher Krisenverständnisse kann jedoch die situative Einschränkung kognitiver Fähigkeiten, des emotionalen Erlebens und der Handlungsoptionen konstatiert werden.

Krisenintervention zeichnet sich dazu komplementär durch eine – gegenüber dem psychotherapeutischen Vorgehen – aktivere Haltung des Beratenden aus. Krisenintervention überlässt im Gegensatz zum psychiatrischen Notfall jedoch weitest möglich die Entscheidungsverantwortung beim Ratsuchenden. “Psychosoziale Krise” und „psychiatrischer Notfall” sollten als zwei Pole eines Kontinuums verstanden werden. Jede Richtung der Beratung und Therapie bemüht sich zudem um einen eigenen Beitrag zur psychosozialen Krisenintervention. Da die jeweiligen Nutzenden und das dazugehörige Krisen-Setting sich gegenseitig beeinflussen, wechselt das Erscheinungsbild der Krise auch je nach institutionellem Kontext.

Als Herangehensweise hat sich eine prozessorientierte Interaktion folgender Aspekte bewährt:
Kontakt herstellen, Setting klären, emotional entlasten, Problem-, Coping- und Ressourcenanalyse (Psychosoziale Diagnostik), Zieldefinition, Problembearbeitung, Abschiedsgestaltung und Nachbehandlung (Follow-up).
In Zeiten rasant verlaufender Um- und Abbauprozesse der Sozialsysteme wie der Gesundheitsversorgung spielt die Tragfähigkeit sozialer Netzwerke eine immer größere Rolle. Die Diskussion der Bedeutung kritischer Lebensereignisse und deren Bewältigung spielt vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umwälzungsprozesse (Entwurzelung durch Migration, kollektive und individuelle Traumata, Verlust von Lebensperspektiven) eine zunehmend größere Rolle. Eine psychosoziale biografiesensible Krisenintervention sollte daher in der Lage sein, die Dimensionen des (Er-)Lebens und das lnnerpsychische in seiner Wechselwirkung mit dem sozialen Kontext (lnklusions- und Exklusionsprozesse) miteinander zu verknüpfen. Niedrigschwellige und ressourcenorientierte Vorgehensweisen werden dadurch zu einem immer wichtigeren Oualitätskriterium angemessener Krisenintervention im postmodernen Alltag. Dafür sind multidisziplinäre inner- und interinstitutionelle Vernetzungsstrukturen mit fließenden Übergängen gefragt, jedoch auch die Kompetenz, professionelle Bindungs- und Beziehungsarbeit zu leisten (Bindung/Beziehung in der Sozialen Arbeit). Suizidalität als am stärksten zugespitzte Form der Krise erwartet von den Helfenden eine besonders hohe Beziehungskompetenz, da suizidale Situationen insbesondere durch Bindungsverlust gekennzeichnet sind. Als gleichermaßen wichtig erweist sich die Ambivalenzklärung der suizidalen Anteile und der Anteile der Person, die weiterleben wollen.

III. Definition Clearing

Unter dem Begriff Clearing ist die strukturierte Feststellung des weiteren Hilfebedarfs und der angemessenen Hilfeform im Rahmen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem.§§ 67 ff. SGB XII sowie ggf. weiterführender Hilfen zu verstehen. Dabei ist zu beachten, dass § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten bestimmt, dass zur Beratung und persönlichen Unterstützung vor allem gehört, den Hilfebedarf zu ermitteln, die Ursachen der besonderen Lebensumstände sowie der sozialen Schwierigkeiten festzustellen.

Krisenintervention und Clearing stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Dies bedeutet, je weiter die Stabilisierung der Leistungsberechtigten im Rahmen der Krisenintervention fortgeschritten ist, desto stärker sind die Fähigkeiten der Leistungsberechtigten am Clearingprozess mitzuwirken und umso intensiver und präziser lassen sich Hilfebedarfe ermitteln. Mithin setzt ein ergebnisorientiertes Clearing eine hinreichende psychische Stabilität der Leistungsberechtigten voraus.

In der chronologischen Abfolge haben die Fachkräfte in den Krisenhäusern nach erfolgter Aufnahme die nachfolgend genannten Arbeitsschritte zu erbringen:

  • Krisenabklärung (welcher Art ist die Krise)
  • Anamnese (welche Art von Krise liegt vor)
  • Antragstellung (Erstellung der Hilfebedarfsermittlung)
  • Hilfekonferenz
  • Stabilisierung (Krisenintervention)
  • Schaffung/Sicherung materielle und medizinische Grundversorgung
  • Ermittlung des weiterführenden Hilfebedarfs (Clearing)
  • Vorstellungstermine in potentiellen Anschlusshilfen
  • Antragstellung/KÜ-Klärung
  • Überleitung
  • Übergabe
  • Abschlussbericht
  • ggf. Klärung Kosten der Unterkunft

IV. Umsetzung

Zur Umsetzung der o.g. Arbeitsschritte ist ein hinreichendes Zeitbudget erforderlich. Deshalb wird fachlich empfohlen, dass Bewilligungszeiträume einen Mindestzeitraum von einem Monat regelmäßig nicht unterschreiten. Kürzere Bewilligungszeiträume können in der spezifischen Bedarfslage begründet oder auch sachgerecht sein, wenn für die leistungsberechtigte Person die weiterführende Hilfe zwar noch nicht sofort zur Verfügung steht, der Aufnahmetermin dort aber bereits feststeht, sich die leistungsberechtigte Person auch in besonderen sozialen Schwierigkeiten einhergehend mit einem krisenhaften Geschehen befindet, und die Maßnahme der Verhütung von Verschlimmerung im Sinne der Bestimmung des§ 68 Abs. 1 Satz 1 SGBXII dient.

In verschiedenen wissenschaftlichen Studien und Veröffentlichungen ist mittlerweile hinreichend belegt, dass der Anteil von Personen mit psychischen Beeinträchtigungen und/oder Suchterkrankungen in der Gruppe der Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten gegenüber der „Normalbevölkerung” deutlich erhöht ist.

Aufgrund des in den Krisenhäusern vorgehaltenen Leistungsangebotes kommt es dort regelmäßig zu Aufnahmen von Personen, deren Krise eine Kombination aus einer bereits bestehenden psychischen Störung oder psychiatrischen Erkrankung und besonderen sozialen Schwierigkeiten darstellt.

In solchermaßen gelagerten Fällen kann vermutet werden, dass die leistungsberechtigte Person auch zum Personenkreis der Menschen mit Behinderungen im Sinne der Bestimmungen des§ 2 Abs. 1 SGB IX gehört und damit dem Grunde noch Anspruch auf Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe nach dem SGB IX hätte. Allein die Vermutung, die leistungsberechtigte Person gehört auch zu diesem Personenkreis, rechtfertigt nicht den Verweis an den bezirklichen Teilhabefachdienst.

Denn § 67 Satz 2 SGB XII bestimmt unmissverständlich, dass Leistungen nach anderen Vorschriften des Zwölften oder des Achten und Neunten Buches gegenüber den Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem.§§ 67 ff. SGB XII nur dann vorrangig sind, soweit der Bedarf dadurch tatsächlich und vollständig gedeckt wird. Ein nur vermuteter oder angenommener Anspruch lässt den Anspruch auf Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nicht entfallen. Vielmehr ist es dann Aufgabe der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten im Sinne der Bestimmung des § 2 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten auf den verbundenen Einsatz der unterschiedlichen Hilfen nach dem SGB XII und nach anderen Leistungsgesetzen hinzuwirken.

V. Gültigkeit des Rundschreibens

Die Regelungen dieses Rundschreibens gelten ab Bekanntgabe.