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ARCHIV: Rundschreiben Soz Nr. 09/2015 über Leistungen der ambulanten Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII

p(. vom 04. Januar 2016
Aufgehoben durch Rundschreiben Pflege Nr. 01/2019

Inhalt

Vorbemerkung

Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat die für Soziales zuständige Senatsverwaltung angehalten, im Rahmen ihrer Leitungs- und Steuerungsverantwortung nach § 3 des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes (AZG) mit dem Ziel der Sicherung der Nachrangigkeit der Sozialhilfe und einer einheitlichen Verfahrens- und Bewilligungspraxis in den Bezirken eine Ausführungsvorschrift über die Gewährung von ambulanten Leistungen der Hilfe zur Pflege zu erlassen.

Das nun vorliegende Rundschreiben ist von der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Geschäftsbereiche Soziales der Bezirksämter als Vorstufe dazu erstellt worden. Es bietet für einen Übergangszeitraum die Gelegenheit, im Rahmen der praktischen Anwendung Anregungen und Vorschläge für eine Verbesserung der Inhalte und deren Darstellung zu identifizieren und der Arbeitsgruppe mitzuteilen. Davon sollte im gemeinsamen Interesse rege Gebrauch gemacht werden. Die Redaktion befindet sich in der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, II D 11.

Ein wesentliches Ziel des Regelwerks ist, dass die Leistungen bedarfsgerecht und zielorientiert, und damit wirksam und wirtschaftlich bewilligt und erbracht werden. Die unangemessene Inanspruchnahme von Leistungen ist auszuschließen.

Das Regelwerk besteht aus einem Hauptteil, der die rechtlichen Grundlagen, die vorrangigen Leistungen, die Schnittstellen zu anderen Sozialleistungen sowie die Grundsätze zur Ermittlung des Hilfebedarfs umfasst. Daneben wird modular das Leistungsspektrum der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII behandelt.

Hinweis : Es fehlen derzeit noch die Module 4 bis 6 sowie 10. Der Erlass von Ausführungsvorschriften wird nicht ohne die fehlenden Module erfolgen.

Abschnitt I: Rechtliche Grundlagen

1. Leistungsberechtigung nach §§ 61 ff. SGB XII

Die persönliche Leistungsberechtigung auf Hilfe zur Pflege ergibt sich unabhängig von den sonstigen sozialhilferechtlichen Voraussetzungen, insbesondere den Vorschriften über den Einsatz von Einkommen und Vermögen, aus § 61 Absatz 1 SGB XII .

Danach erfolgt die Leistungsgewährung zum einen unter Beachtung der Nachrangigkeit der Sozialhilfe und des Bedarfsdeckungsprinzips als ergänzende Hilfe zu den Leistungen der Pflegeversicherung (§ 61 Absatz 1 Satz 1 SGB XII ). Daneben tritt die Hilfe zur Pflege aber auch für pflegebedürftige Personen ein, die keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung haben, weil sie
  • nicht pflegeversichert sind (hierzu gehören auch Personen, die nach § 264 SGB V Krankenbehandlung von einer Krankenkasse erhalten)
  • die Wartezeit nach § 33 Absatz 2 SGB XI nicht erfüllen,
  • voraussichtlich für weniger als sechs Monate der Pflege bedürfen,
  • einen Hilfebedarf unterhalb der Pflegestufe I (sog. Pflegestufe 0) haben und keine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz im Sinne des § 45a SGB XI vorliegt oder
  • Hilfen für andere als die in § 61 Absatz 5 SGB XII aufgeführten Verrichtungen benötigenIm Rahmen der ambulanten Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII sind folgende Leistungen vorgesehen:
Im Rahmen der ambulanten Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII sind folgende Leistungen vorgesehen:

2. Vorrangige Leistungen (§ 2 SGB XII)

2.1. Leistungen der Pflegeversicherung (SGB XI)

Insbesondere die Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI gehen der Hilfe zur Pflege vor (§ 13 Absatz 3 Satz 1 SGB XI ).

Leistungen der Pflegeversicherung erhalten versicherte Personen, die mindestens erheblich (Pflegestufe I) oder in einem höheren Maße pflegebedürftig sind (Pflegestufen II und III – siehe §§ 14, 15 SGB XI ).

Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach§ 45a SGB XI haben gemäß § 123 Absatz 2 SGB XI auch Anspruch auf Pflegegeld, Pflegesachleistungen, Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege, Tagespflege sowie Pflegehilfsmittel und Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes, wenn das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nicht die Pflegestufe I erreicht (sog. Pflegestufe 0). Bei Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngruppe hat dieser Personenkreis auch Anspruch auf den sog. Wohngruppenzuschlag sowie die Anschubfinanzierung bei Neugründung.

Die zuständige Pflegekasse hat dem oder der Pflegebedürftigen nach § 7b Absatz 1 SGB XI unmittelbar nach Eingang eines Erstantrages eine Beratung anzubieten, der innerhalb von 14 Tagen durchzuführen ist oder einen Beratungsgutschein auszustellen, der innerhalb von 14 Tagen bei einer unabhängigen Beratungsstelle eingelöst werden kann. In Berlin wird die Erstberatung vornehmlich durch die Pflegestützpunkte durchgeführt. Auf Wunsch des oder der Pflegebedürftigen hat die Beratung im häuslichen Bereich des oder der Pflegebedürftigen zu erfolgen und kann auch nach Ablauf der Frist durchgeführt werden.

2.1.1. Pflegesachleistung nach § 36 in Verbindung mit §§ 123,124 SGB XI (siehe auch Modul 2 sowie RS I Nr. 4/2005, RS I Nr. 20/2005 und RS I 06/2010)

Bei häuslicher Pflege besteht ein Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung (§ 36 Absatz 1 SGB XI ) als Sachleistung durch einen ambulanten Pflegedienst, der einen Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI mit den Pflegekassen abgeschlossen hat. Soweit die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung sichergestellt sind, besteht seit 01.01.2013 bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, welches die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs regelt, ein Anspruch auf häusliche Betreuung als Sachleistung (§ 124 Absatz 1 SGB XI). Die Höhe des Sachleistungsanspruchs ist – in Abhängigkeit vom Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und der anerkannten Pflegestufe – in § 36 Abs. 3 SGB XI festgelegt. Bei außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand, der das Ausmaß der Pflegestufe III weit überschreitet (Härtefall), können die Pflegekassen weitere Pflegeeinsätze bis zur gesetzlichen Höchstgrenze gewähren (§ 36 Abs. 4 SGB XI).

Versicherte mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI erhalten gemäß § 123 SGB XI seit dem 01.01.2013 bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, welches die Leistungsgewährung der Pflegeversicherung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs regelt, höhere Beträge in den Pflegestufen I und II sowie auch Leistungen, wenn das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit noch nicht die Pflegestufe I erreicht (sog. Pflegestufe 0).

Die Leistungsbeträge sind der Tabelle unter Ziffer 2.1.8. zu entnehmen.

2.1.2. Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen nach § 37 in Verbindung mit § 123 SGB XI (siehe auch Modul 1)

Anstelle der Pflegesachleistung können Pflegebedürftige ein Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen nach § 37 SGB XI in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist, dass die Pflegebedürftigen in der Lage sind, die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicher zu stellen.
Entsprechend den Pflegesachleistungen (siehe Ziffer 2.1.1. ) erhalten Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI gemäß § 123 SGB XI ebenfalls höhere Beträge in den Pflegestufen I und II sowie auch Leistungen, wenn das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit noch nicht die Pflegestufe I erreicht (sog. Pflegestufe 0).

Die Leistungsbeträge sind der Tabelle unter Ziffer 2.1.8. zu entnehmen.

2.1.3. Kombinationsleistung nach § 38 SGB XI

Sachleistungen und Pflegegeld können auch kombiniert werden (§ 38 SGB XI ). Dabei wird das Pflegegeld um den Prozentsatz gemindert, in dem der oder die Pflegebedürftige Sachleistungen in Anspruch nimmt.

2.1.4. Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI und Anschubfinanzierung zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen nach § 45e SGB XI

Nach § 38a SGB XI haben Pflegebedürftige im Sinne des SGB XI unter den dort genannten Voraussetzungen zusätzlich einen Anspruch auf einen pauschalen zweckgebundenen Wohngruppenzuschlag in Höhe von 205,00 Euro, wenn sie mit mindestens zwei weiteren Pflegebedürftigen im Sinne des SGB XI in einer Pflege-Wohngemeinschaft leben. Das gilt auch für Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz zum Personenkreis des § 45a SGB XI gehören (§ 123 Absatz 2 SGB XI). Entsprechend reicht auch das Zusammenleben mit zwei weiteren Personen aus diesem Personenkreis aus.

Bei gleichen Voraussetzungen wird bei Gründung einer Pflege-Wohngemeinschaft eine Anschubfinanzierung für die altersgerechte und barrierefreie Umgestaltung der gemeinsamen Wohnung gewährt. Dieser Anspruch besteht neben den Leistungen für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 40 Absatz 4 SGB XI .

2.1.5. Ersatz- und Kurzzeitpflege nach §§ 39, 42 SGB XI (siehe auch Modul 8)

Bei Verhinderung der Pflegeperson, beispielsweise wegen Urlaub oder Krankheit, übernimmt die Pflegeversicherung die Kosten einer Ersatzpflege (§ 39 SGB XI ) für bis zu sechs Wochen kalenderjährlich. Die Ersatzpflege kann auch in Einrichtungen der Kurzzeitpflege, in Pflege-Wohngemeinschaften sowie in nicht nach den Vorschriften des SGB XI zugelassenen Einrichtungen erfolgen, beispielsweise in stationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen.

Zusätzlich können Mittel der Kurzzeitpflege für bis zu vier Wochen im Kalenderjahr in Anspruch genommen werden (§ 42 SGB XI ). Der Zeitraum verdoppelt sich, wenn die Mittel der Ersatzpflege für die Kurzzeitpflege verwendet werden. Die Leistungen der Kurzzeitpflege dienen zusätzlich der Bewältigung von Krisensituationen nach einem Krankenhaus-Aufenthalt oder bei kurzfristiger erheblicher Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit.

Der Anspruch auf Leistungen der Kurzzeitpflege besteht in begründeten Einzelfällen auch in geeigneten Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen und anderen geeigneten Einrichtungen, wenn die Versorgung in einer Einrichtung der Kurzzeitpflege nicht möglich ist oder nicht zumutbar erscheint § 42 Absatz 3 SGB XI)

Während einer Maßnahme der stationären medizinischen Vorsorge- oder Rehabilitation für eine Pflegeperson ist erforderlichenfalls die gleichzeitige Unterbringung und Pflege des oder der Pflegebedürftigen zu Lasten der Kurzzeitpflege möglich (§ 42 Absatz 4 SGB XI).

Leistungsberechtigte können bis zu 50 v. H. der Mittel der Kurzzeitpflege auch für die Ersatzpflege nutzen.

Ersatz- und Kurzzeitpflege erhalten auch Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz zum Personenkreis des § 45a SGB XI gehören (§ 123 Absatz 2 SGB XI).

Die Leistungsbeträge sind der Tabelle unter Ziffer 2.1.8. zu entnehmen.

2.1.6. teilstationäre Tages- oder Nachtpflege nach § 41 SGB XI (siehe auch Modul 7)

Pflegebedürftige und Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, haben zwecks Stärkung und Sicherstellung der häuslichen Pflege zusätzlich einen Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege nach § 41 SGB XI . Nachtpflege wird allerdings bisher in Berlin nicht angeboten.

Die Leistungsbeträge sind der Tabelle unter Ziffer 2.1.8. zu entnehmen.

2.1.7. Pflegehilfsmittel und Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 40 SGB XI (siehe auch Modul 9)

Pflegebedürftige und Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, haben nach § 40 SGB XI einen Anspruch auf Pflegehilfsmittel, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden beitragen oder eine selbständigere Lebensführung ermöglichen. Für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel ist die Kassenleistung auf 40 Euro monatlich begrenzt. Der Anspruch auf Pflegehilfsmittel ist auf den häuslichen Bereich beschränkt. Die Pflegekassen können subsidiär auch für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes Zuschüsse von bis zu 4.000 Euro je Maßnahme gewähren. Leben mehrere Anspruchsberechtigte in einer gemeinsamen Wohnung ist der Maßnahme-Zuschuss auf 4.000 Euro je Person begrenzt, maximal jedoch 16.000 Euro.

2.1.8. Leistungsbeträge der Pflegeversicherung:

Leistungsart Pflegestufe Leistungsbeträge monatlich Leistungsbeträge für Personen nach § 45a SGB XI
Pflegesachleistung bei Inanspruchnahme eines Pflegedienstes (§ 36 SGB XI) ohne keine Leistung bis 231 Euro
I bis 468 Euro bis 689 Euro
II bis 1.144 Euro bis 1.298 Euro
III bis 1.612 Euro bis 1.612 Euro
Härtefall bis 1.995 Euro bis 1.995 Euro
Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (§ 37 SGB XI) ohne keine Leistung 123 Euro
I 244 Euro 316 Euro
II 458 Euro 545 Euro
III 728 Euro 728 Euro
Wohngruppenzuschlag § 38a SGB XI ohne keine Leistung 205 Euro
I bis III 205 Euro 205 Euro
Ersatzpflege (§ 39 SGB XI) ohne keine Leistung bis 1.612 Euro jährlich
I bis III bis 1.612 Euro jährlich bis 1.612 Euro jährlich
Tagespflege und Nachtpflege (§ 41 SGB XI) ohne keine Leistung bis 231 Euro
I bis 468 Euro bis 689 Euro
II bis 1.144 Euro bis 1.298 Euro
III bis 1.612 Euro bis 1.612 Euro
Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) ohne keine Leistung bis 1.612 Euro
I bis III bis 1.612 Euro jährlich bis 1.612 Euro jährlich
Vollstationäre Dauerpflege (§ 43 SGB XI) I 1.064 Euro 1.064 Euro
II 1.330 Euro 1.330 Euro
III 1.612 Euro 1.612 Euro
Härtefall 1.995 Euro 1.995 Euro
Für alle Pflegestufen gilt: maximal 75 v. H. des Gesamtbetrages aus Pflegesatz, Entgelt für Unterkunft und Verpflegung und gesondert berechenbaren Investitionskosten
Pflegeanteil in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43a SGB XI) I bis III 10 v. H. des vereinbarten Heimentgeltes, max. 266 Euro 10 v. H. des vereinbarten Heimentgeltes, max. 266 Euro

2.1.9. Ruhen von Leistungsansprüchen gegen die Pflegeversicherung

Gemäß § 34 SGB XI ist das Pflegegeld nach den §§ 37, 38 SGB XI während eines Auslandsaufenthaltes von bis zu sechs Wochen weiter zu gewähren. Für Sachleistungen gilt dies nur, wenn die Pflegekraft, die ansonsten die Pflegesachleistungen erbringt, den Pflegebedürftigen oder die Pflegebedürftige auf der Reise begleitet (§ 34 Absatz 1 SGB XI). Bei einem Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsrates oder der Schweiz ruht der Pflegegeldanspruch nach den §§ 37 und 38 SGB XI nicht (§ 34 Absatz 1a SGB XI).

Leistungen der häuslichen Pflege ruhen grundsätzlich während des Aufenthaltes in einer der in § 71 Absatz 4 SGB XI genannten Einrichtungen oder einer häuslichen Krankenpflege mit Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. Allerdings wird Pflegegeld nach §§ 37 und 38 SGB XI in den ersten vier Wochen einer vollstationären Krankenhausbehandlung, einer häuslichen Krankenpflege mit Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung oder einer Aufnahme in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen nach § 107 Abs. 2 SGB V weitergezahlt; bei Pflegebedürftigen, die ihre Pflege durch von ihnen beschäftigte besondere Pflegekräfte sicherstellen und bei denen § 66 Absatz 4 Satz 2 SGB XII Anwendung findet, wird das Pflegegeld nach §§ 37 und 38 SGB XI auch über die ersten vier Wochen hinaus weiter gezahlt.

Einzelheiten zu den Leistungsvoraussetzungen und Leistungsarten sind dem Gemeinsamen Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Pflegekassen auf Bundesebene zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des PflegeVG vom 17.04.2013, Stand: 18.12.2014, zu entnehmen:

2.2. Leistungen der Krankenversicherung

2.2.1. Häusliche Krankenpflege als Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Absatz 1 SGB V)

Neben den Leistungen der Pflegeversicherung sind bei der Bewilligung häuslicher Pflege nach §§ 61 ff. SGB XI auch die vorrangigen Leistungen der Krankenversicherung, insbesondere die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V zu beachten.

Die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V bleiben von den Leistungen der Pflegeversicherung unberührt (§ 13 Absatz 2 SGB XI ).

Gesetzlich Krankenversicherte haben nach § 37 Absatz 1 SGB V neben der ärztlichen Behandlung Anspruch auf häusliche Krankenpflege als sogenannte Krankenhausvermeidungspflege. Der Anspruch besteht bis zu vier Wochen je Krankheitsfall. In begründeten Ausnahmefällen können die Krankenkassen die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen. Hierzu muss der Medizinische Dienst der Krankenversicherung festgestellt haben, dass die längere Dauer der häuslichen Krankenpflege zur Vermeidung von Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Die häusliche Krankenpflege nach § 37 Absatz 1 SGB V beinhaltet neben der Behandlungspflege (z. B. Medikamentengabe, Injektionen oder Verbandwechsel) auch die im Einzelfall erforderliche Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung.

Im Falle einer häuslichen Krankenpflege nach § 37 Absatz 1 SGB V ruhen folglich die Leistungen der häuslichen Pflege nach dem SGB XI (siehe Ziffer 2.1.7.). Ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege besteht nur insoweit, als Leistungen zu gewähren sind, die nicht zum Leistungskatalog der Pflegeversicherung gehören („andere Verrichtungen“, LK 31 bis 38).

Voraussetzung für die Gewährung häuslicher Krankenpflege ist eine ärztliche Verordnung. Diese ist durch den Pflegebedürftigen oder die Pflegebedürftige rechtzeitig bei seinem bzw. ihrem behandelnden Arzt (Hausarzt) einzuholen.
Bei einer Krankenhausentlassung kann auch ein Krankenhausarzt oder eine Krankenhausärztin häusliche Krankenpflege bis zum dritten auf den Entlassungstag folgenden Tag verordnen, wenn aus seiner bzw. ihrer Sicht häusliche Krankenpflege erforderlich ist. Er oder sie soll in diesem Fall vor Entlassung den weiterbehandelnden Arzt informieren.

Achtung: Ab 01.01.2016 erhalten Versicherte nach § 37 Absatz 1a SGB V wegen schwerer Krankheit oder akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt oder einer ambulanten Krankenhausbehandlung bzw. Operation die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung von ihrer Krankenkasse. Das bedeutet, dass die strengen Kriterien der Vermeidung eines Krankenhausaufenthaltes nicht vorliegen müssen. Allerdings ist Voraussetzung, dass keine Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI vorliegen darf. Die Leistung ist daher nur für Leistungsberechtigte relevant, die versichert sind und Hilfe zur Pflege der Pflegestufe 0 erhalten bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 Absatz 3, 27a Absatz 4 Satz 1 SGB XII (siehe Abscnitt I, Ziffer 4).

2.2.2. Häusliche Krankenpflege als Sicherungspflege nach § 37 Absatz 2 SGB V

Häusliche Krankenpflege wird nach § 37 Absatz 2 SGB V als Behandlungspflege gewährt, wenn dies zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. In diesem Fall kann die Satzung der zuständigen Krankenkasse bestimmen, dass zusätzlich Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als freiwillige Leistung erbracht wird. Nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI ist dies allerdings nicht mehr zulässig. Im Falle der Übernahme der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung durch die zuständige Krankenkasse entfällt die Leistungspflicht nach dem SGB XII.

Ein Sondertatbestand liegt vor, wenn eine 24-Stunden-Behandlungspflege als sogenannte Sicherungspflege nach § 37 Absatz 2 SGB V verordnet worden ist (z.B. für langzeitbeatmete Patienten). Angesichts der zusätzlich notwendigen grundpflegerischen Maßnahmen stellt sich hier die Frage der Aufteilung der Kosten zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und Pflegeversicherung bzw. Hilfe zur Pflege.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lassen sich auch bei einer verordneten Rund-um-die-Uhr-Behandlungspflege die Hilfen im Bereich der Behandlungspflege einerseits und im Bereich der Grundpflege nebst hauswirtschaftlicher Versorgung andererseits unterscheiden und dem jeweiligen Bereich zuordnen. So könne ermittelt werden, welchen täglichen Zeitbedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung der Pflegebedürftige habe und welche Kosten hierfür anfielen. Allerdings trete bei der Erbringung der Grundpflege die Behandlungspflege im Regelfall nicht vollständig in den Hintergrund (BSG-Urteil vom 17.06.2010 – B 3 KR 7/09 ).

Vielmehr ist folgendermaßen vorzugehen:

Zunächst ist der im MDK-Gutachten fest gestellte Gesamtumfang aller grundpflegerischen Hilfeleistungen (ohne verrichtungsbezogene, krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen) zeitlich zu erfassen. Der so ermittelte Zeitwert ist aber nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte vom Anspruch auf die ärztlich verordnete, rund um die Uhr erforderliche Behandlungspflege (einschließlich der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen) abzuziehen, weil während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege – auch als Krankenbeobachtung – stattfindet und beide Leistungs-bereiche gleichrangig nebeneinander stehen. Aus der Differenz zwischen dem verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege und der Hälfte des zeitlichen Umfangs der Grundpflege ergibt sich der zeitliche Umfang der häuslichen Krankenpflege, für den die Krankenkasse einzutreten hat.

Beispiel:
Verordnung 24 h – Behandlungspflege täglich; festgestellte Grundpflege laut Gutachten: 3 h täglich. Von der Krankenkasse sind 24 h abzüglich 1,5 h = 22,5 h zu finanzieren.

Die Pflegekasse hat die Kosten der Hälfte des Zeitaufwands der Grundpflege (im Beispiel: 1,5 h) zu tragen, jedoch begrenzt auf den Höchstbetrag der Sachleistungen der dem Versicherten zuerkannten Pflegestufe. Reicht der Höchstbetrag zur Abdeckung dieser Kosten nicht aus, hat der Versicherte den verbleibenden Rest aus eigenen Mitteln aufzubringen; notfalls ist die Sozialhilfe eintrittspflichtig. Vom Sozialhilfeträger wird maximal eine Stundenvergütung anerkannt, die sich aus der Punktzahl von 600 (LK 3b) und dem jeweils mit dem Pflegedienst vereinbarten Punktwert ergibt.

Dabei ist darauf zu achten, dass grundsätzlich Zeiten für die hauswirtschaftliche Versorgung bei der 24 Stunden Behandlungspflege nicht durch die Krankenkassen in Abzug gebracht werden, weil davon auszugehen ist, dass die anwesende Pflegefachkraft nicht auch die hauswirtschaftliche Versorgung übernimmt. Das Bundessozialgericht hat hierzu festgestellt, dass die Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI immer nur insoweit die Krankenbeobachtung als Sachleistung der GKV verdrängen kann, als beide Arten der Sachleistungen von derselben Pflegefachkraft zeitgleich erbracht werden. Ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis scheidet aus, wenn die Maßnahmen nicht von derselben Kraft, sondern von zwei Personen durchgeführt werden, weil dann die Ansprüche nach § 37 Absatz 2 SGB V einerseits und § 36 SGB XI (bei Pflegesachleistungen) bzw. § 37 SGB XI (bei Pflege durch Angehörige) andererseits nicht nur der Zuständigkeit nach, sondern auch der Leistungserbringung nach zu trennen sind. Beide Ansprüche stehen dann uneingeschränkt nebeneinander.

Wegen der obigen Begründung des Bundessozialgerichts ist darauf zu achten, dass die pflegerische Versorgung im Rahmen einer 24-Stunden-Behandlungspflege möglichst durch eine Pflegefachkraft erbracht wird. Sollte für die hauswirtschaftliche Versorgung eine zweite Person erforderlich sein, so ist diese ggf. aus Mitteln der Pflegeversicherung, hilfsweise aus der Sozialhilfe zu finanzieren. Für die Hauswirtschaft wird maximal eine Stundenvergütung anerkannt, die sich aus der Punktzahl von 454 (LK 32) und dem jeweils mit dem Pflegedienst vereinbarten Punktwert ergibt.

3. Leistungskonkurrenzen nach § 66 SGB XII

3.1. Nachrangigkeit des Pflegegeldes nach § 64 SGB XII und der Beiträge für eine angemessene Alterssicherung nach § 65 Absatz 2 SGB XII

Pflegegeld nach § 64 SGB XII wird nur gewährt, soweit Leistungsberechtigte nicht gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten (§ 66 Absatz 1 Satz1 SGB XII). Das sind insbesondere die Pflegegelder aus der Pflegeversicherung, nach beamtenrechtlichen Beihilfevorschriften, die Pflegezulage nach § 35 BVG , das Pflegegeld nach § 26c Absatz 8 BVG (Kriegsopferfürsorge), das Pflegegeld nach § 44 SGB VII und die Pflegezulage nach § 267 Absatz 1 Satz 3 bis 6 , § 269 Absatz 2 zweiter Halbsatz LAG .

Auch Pflegegeld wegen Hilflosigkeit nach § 8 Absatz 1 des Landespflegegeldgesetzes (LPflGG) sowie Pflegegeldanteile wegen Hilflosigkeit nach § 8 Absatz 2 LPflGG, die im Rahmen des Bestandsschutzes gewährt werden, sind gleichartige Leistungen im Sinne des § 66 Absatz 1 Satz 1 SGB XII und daher in voller Höhe auf das Pflegegeld nach § 64 SGB XII anzurechnen (siehe auch Nr. 7 Absatz 2 der Ausführungsvorschriften zum Landespflegegeldgesetz .

Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist mit 70 v. H. auf das Pflegegeld nach § 64 SGB XII anzurechnen. Ebenso ist mit dem Pflegegeld wegen Blindheit nach § 2 LPflGG und den Blindengeldanteilen nach § 8 Absatz 2 LPflGG (§ 66 Absatz 1 Satz 2 SGB XII) zu verfahren.

Die wegen Gehörlosigkeit oder hochgradiger Sehbehinderung gewährten Leistungen bzw. Leistungsanteile nach dem LPflGG werden in Anlehnung an § 66 Absatz 1 Satz 2 SGB XII ebenfalls mit 70 v. H. auf das Pflegegeld nach § 64 SGB XII angerechnet, weil davon auszugehen ist, dass bei vorliegender Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe I und höher das Gehörlosengeld in Höhe dieser Teilsumme eine gleichartige Leistung darstellt und daher ebenfalls für die Deckung des Pflegebedarfs einzusetzen ist. In den Einzelfällen, in denen bisher auf der Grundlage des Rundschreiben I Nr. 37/2004 auf eine Anrechnung verzichtet worden ist, kann Bestandsschutz eingeräumt werden.

Auch die Erstattung von Beiträgen einer Pflegeperson oder einer besonderen Pflegekraft für eine angemessene Alterssicherung nach § 65 Absatz 2 SGB XII kommt nur in Betracht, soweit Leistungsberechtigte nicht gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten (§ 66 Absatz 1 Satz 1 SGB XII). Hierzu sind insbesondere die Leistungen nach § 44 SGB XI , die entsprechenden Leistungen aus einer privaten Pflegeversicherung und gleichartige Leistungen nach § 26c Absatz 9 Satz 3 BVG vorrangig.

3.2. Andere Leistungen nach § 65 SGB XII

Vor dem Hintergrund des Nachranggrundsatzes schränkt § 66 Absatz 4 Satz 1 SGB XII das Dispositionsrecht des Pflegebedürftigen ein. Danach werden Leistungen nach § 65 Absatz 1 SGB XII insoweit nicht gewährt, als der oder die Pflegebedürftige in der Lage ist, zweckentsprechende Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften in Anspruch zu nehmen. Das ist insbesondere bei der Übernahme der Kosten für einen zugelassenen ambulanten Pflegedienst nach § 65 Absatz 1 Satz 2 SGB XII der Fall („besondere Pflegekraft“) Der oder die Pflegebedürftige muss in diesem Fall die Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI in Anspruch nehmen, um noch aufstockende oder ergänzende Leistungen nach § 65 Absatz 1 Satz 2 SGB XII für den Pflegedienst erhalten zu können (siehe Modul 4: Häusliche Pflege nach § 65 Absatz 1 Satz 2, erster Halbsatz SGB XII durch Pflegedienste).

Eine Ausnahme gilt jedoch nach § 66 Absatz 4 Satz 2 SGB XII dann, wenn der oder die Pflegebedürftige selbst eine geeignete Pflegekraft beschäftigt (sog. Arbeitgebermodell; siehe Modul 2, Ziffer 2.1.). Bei der Sicherstellung der Pflege im Rahmen des Arbeitgebermodells kann der oder die Leistungsberechtigte nicht auf die Inanspruchnahme der Sachleistungen nach § 36 SGB XI verwiesen werden. Vielmehr ist das Pflegegeld nach § 37 SGB XI als vorrangige Leistung der Pflegeversicherung auf die Hilfe zur Pflege anzurechnen.

Von der Pflicht zur Inanspruchnahme der Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI kann im Hinblick auf die Erstattung angemessener Aufwendungen und der Gewährung angemessener Beihilfen nach § 65 Absatz 1 Satz 1 SGB XII für Pflegepersonen im Einzelfall ebenfalls abgesehen werden (siehe Modul 2, Ziffer 1.2. ).

Zwei Drittel des Pflegegeldes wegen Hilflosigkeit nach § 8 Absatz 1 LPflGG bzw. der Leistungsanteile wegen Hilflosigkeit nach § 8 Absatz 2 LPflGG, die im Rahmen des Bestandsschutzes gewährt werden, sind für Sachleistungen nach § 65 Absatz 1 SGB XII einzusetzen (siehe auch Nr. 7 Abs. 3 AV-LPflGG ).

3.3. Leistungskonkurrenz zwischen Pflegegeld nach § 64 SGB XII und anderen Leistungen nach § 65 SGB XII

Grundsätzlich werden die Leistungen nach § 65 SGB XII neben dem Pflegegeld nach § 64 SGB XII gewährt (§ 66 Absatz 2 Satz 1 SGB XII). Jedoch kann das Pflegegeld um bis zu zwei Drittel (§ 66 Absatz 2 Satz 2 SGB XII) gekürzt werden, wenn zusätzlich Leistungen für eine Pflegeperson oder eine besondere Pflegekraft (Pflegedienst) nach § 65 Absatz 1 SGB XII oder gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erbracht werden (siehe Modul 1).

3.4. Gleichzeitige Anrechnung vorrangiger Leistungen nach § 66 Absatz 1 SGB XII und Kürzung des Pflegegeldes § 66 Absatz 2 SGB XII

Bei Sachverhalten, die sowohl eine Anrechnung gleichartiger Leistungen (§ 66 Absatz 1 SGB XII) als auch eine Kürzung des Pflegegeldes wegen gleichzeitigen Bezuges von anderen Leistungen im Sinne von § 65 Absatz 1 SGB XII erforderlich machen (§ 66 Absatz 2 SGB XII), ist zunächst die Anrechnung der gleichartigen Leistung vorzunehmen und erst danach die Kürzung durchzuführen. Das folgt aus der vom Gesetz vorgegebenen Reihenfolge und ist zudem für die pflegebedürftige Person günstiger (vgl. Meßling, jurisPK-SGBXII, § 66 Rz. 28), wie folgendes Beispiel belegt:

falsch richtig
Pflegegeld Stufe I = 235,00 Euro Pflegegeld Stufe I 235,00 Euro
Kürzung 2/3 -156,67 Euro Anrechnung LPflGG = -193,27 Euro
Zwischenergebnis = 78,33 Euro Zwischenergebnis = 41,73 Euro
Anrechnung LPflGG -193,27 Euro Kürzung 2/3 = – 27,82 Euro
Auszahlung = 0,00 Euro Auszahlung = 13,91 Euro

4. Verhältnis der Hilfe zur Pflege zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27 Absatz 3 SGB XII und zur Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes nach § 70 SGB XII

Hilfe zur Pflege umfasst auch die hauswirtschaftliche Versorgung, und zwar auch dann, wenn nur ein minimaler grundpflegerischer Hilfebedarf gegeben ist.

Im Gegensatz dazu kommt, wenn der Hilfebedarf sich auf einzelne für den Lebensunterhalt erforderliche hauswirtschaftliche Tätigkeiten beschränkt, eine Hilfe zum Lebensunterhalt nach§§ 27 Absatz 3 , 27a Absatz 4 Satz 1 SGB XII in Betracht.

Die Tätigkeiten dürfen in ihrer Bedeutung nicht so wesentlich sein, dass der oder die Leistungsberechtigte ohne ihre Sicherstellung in seiner bzw. ihrer menschenwürdigen Existenz ernstlich gefährdet wäre.

Sind die Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit doch wesentlich, soll Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nach § 70 SGB XII gewährt werden. Diese umfasst neben der Führung des gesamten Haushalts auch die persönliche Betreuung. Es kann sich hierbei nur um eine vorübergehende Leistung handeln, beispielsweise während des zeitlich befristeten Ausfalls des Haushaltsvorstandes in einem Mehrpersonenhaushalt.

5. Verhältnis der Hilfe zur Pflege zum SGB II

Auch Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII zu leisten. Haushaltshilfen erhält dieser Personenkreis jedoch gemäß § 21 Absatz 6 SGB II vom Job-Center. Danach ist Betroffenen bei einem unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf ein entsprechender Mehrbedarf einzuräumen. Als Anwendungsfall ist in der Begründung zu § 21 Absatz 6 SGB II infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 09. Februar 2010 ausdrücklich die notwendige Haushaltshilfe genannt.

Der unabweisbare laufende Bedarf an Haushaltshilfe kann sich dabei sowohl daraus ergeben, dass der oder die Betroffene auf einen Rollstuhl angewiesen ist als auch aus anderen Gründen physischer wie psychischer Art. Entsprechend sind derartige Antragsteller oder Antragstellerinnen an das zuständige Job-Center zu verweisen. Eingegangene Anträge sind nach § 16 Abs. 2 SGB I weiterzuleiten. Es besteht auch keine nachrangige sachliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers, die ihn zu einer Vorleistung verpflichten würde.

6. Einsatz des Einkommens

Bei der ambulanten Hilfe zur Pflege gilt die Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII. Nach § 87 SGB XII ist das Einkommen, das die Einkommensgrenze übersteigt, in angemessenem Umfang einzusetzen.

Wenn der Bedarf nur für einmalige Aufwendungen (z. B. Pflegehilfsmittel, Wohnumfeldverbesserung) besteht, deren Nutzen für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen über der Einkommensgrenze für bis zu vier Monate verlangt werden (§ 87 Absatz 3 SGB XII).

Bei der Übernahme von Lebensunterhalt in einer teilstationären Einrichtung der Tagespflege oder in einer Kurzzeitpflege-Einrichtung sind die häuslichen Ersparnisse zu beachten.

Zu den Vergütungen und Entgelten:

http://www.berlin.de/sen/soziales/vertraege/verguetung/Einrichtungskatalog/EinrichtungenNachTyp/PTAPF.shtml

http://www.berlin.de/sen/soziales/vertraege/verguetung/Einrichtungskatalog/EinrichtungenNachTyp/PKUPF.shtml

Näheres ist der Gemeinsamen Arbeitsanweisung der Berliner Bezirksämter – Sozialämter – über den Einsatz von Einkommen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in der jeweils gültigen Fassung zu entnehmen, insbesondere den Ziffern 2.2.2.1 und 4.2.3.

Abschnitt II: Hilfebedarfsermittlung nach §§ 61 ff. SGB XII

1. Allgemeines

Die Leistungsstelle und die Pflegebedarfsermittlung stellen gemeinsam eine effiziente und zügige Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen der Hilfe zur Pflege sicher. Hierzu unterrichten sie sich gegenseitig unverzüglich, wenn ein Antrag eingeht oder sich ein pflegerischer Hilfebedarf abzeichnet. Dies gilt auch für Veränderungen im laufenden Hilfefall.

Zu jedem Antrag auf ambulante Leistungen der Hilfe zur Pflege ist eine individuelle ambulante Pflegegesamtplanung (IAP) anhand des Gutachtenformulars – IAP (Stand 2012) – zu erstellen. Dabei sind die Hinweise im Manual zum Gutachtenformular – Manual (Stand 2012) – zu beachten.

Die IAP kann auch durch nicht öffentliche Stellen erstellt werden. Es handelt sich dabei um eine Auftragsdatenverarbeitung nach § 80 SGB X, bei der die dort genannten Voraussetzungen zu beachten sind.

Die Feststellung des individuellen Hilfebedarfs hat in aller Regel im Wohnbereich der pflegebedürftigen Person stattzufinden. Dabei ist der Hausbesuchstermin mit der pflegebedürftigen Person und ggf. ihrem gesetzlichen Betreuer oder ihrer gesetzlichen Betreuerin abzustimmen. An der Begutachtung sollen Angehörige oder andere nahe stehende Personen teilnehmen, insbesondere, wenn sie sich an der Pflege und Betreuung beteiligen. Sollte bereits ein Pflegedienst die pflegerische Versorgung übernommen haben, besteht die Möglichkeit, diesen bei Bedarf ebenfalls zur Pflegebedarfsermittlung hinzu zu ziehen. Dem Wunsch der pflegebedürftigen Person auf Anwesenheit eines Vertreters oder einer Vertreterin des beauftragten Pflegedienstes ist nur dann Rechnung zu tragen, wenn das Ziel des Hausbesuchs dadurch nicht beeinträchtigt wird.

Bei der Pflegebedarfsermittlung für Migranten wird empfohlen, Dolmetscher bzw. Sprachmittler hinzu zu ziehen. Hierzu kann der Gemeindedolmetscherdienst Berlin in Anspruch genommen werden, sofern kein muttersprachliches Personal zur Verfügung steht.

Für Nichtversicherte und Personen, die die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, ist ein Gutachter oder eine Gutachterin zu beauftragen, anhand des Gutachtenformulars des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) unter Beachtung der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien nach § 17 SGB XI und der Begutachtungs-Richtlinien nach §§ 17, 53 a Nummer 1,2,4 und 5 SGB XI zu prüfen, ob eine erhebliche Pflegebedürftigkeit und welche Pflegestufe vorliegt (§ 61 Absatz 6 SGB XII). Dieses ist bei ambulanter Pflege wegen der Höhe des Pflegegeldes nach § 64 SGB XII wichtig. Dem Grundsatz, Mehrfachbegutachtungen zu vermeiden, ist möglichst Rechnung zu tragen.

2. Bindungswirkung

Bei der Feststellung des individuellen Hilfebedarfs ist zu beachten, dass der Sozialhilfeträger gemäß § 62 SGB XII an die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit gebunden ist. Die Bindung erstreckt sich allerdings nur auf die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die Festsetzung der Pflegestufe nach den §§ 14, 15 SGB XI . Der tatsächliche Hilfebedarf nach dem SGB XII muss also in jedem Fall individuell ermittelt werden, auch wenn das Gutachten des MDK oder der vom Sozialhilfeträger beauftragten Gutachtenstelle vorliegt.

Stellt sich bei der Bedarfsermittlung ein Hilfebedarf heraus, der zu einer höheren Pflegestufe gemäß § 15 SGB XI berechtigen könnte, ist dies im Gutachtenformular zur IAP zu dokumentieren. Zur Wahrung des Nachrangprinzips ist die Beantragung einer Höherstufung durch die pflegebedürftige Person zu veranlassen. Daneben hat die Leistungsstelle die Möglichkeit, nach § 95 SGB XII ein Widerspruchsverfahren einzuleiten bzw. die Feststellung einer höheren Pflegestufe zu betreiben.

3. Durchführung des Hausbesuchs

Der Sozialhilfeträger muss bei seiner Tätigkeit den Sachverhalt gemäß § 20 SGB X von Amts wegen ermitteln (Amtsermittlungsgrundsatz) und bestimmt dabei Art und Umfang der Ermittlungen. Nach § 21 SGB X kann er sich der Beweismittel bedienen, die er nach pflichtgemäßen Ermessen zur Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich hält. Insbesondere besteht nach § 21 Absatz 1 Satz 2 Nummer. 4 SGB X die Möglichkeit der Inaugenscheinnahme (Hausbesuch).

Der wichtigste zu beachtende Grundsatz ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Verwaltung darf hiernach nur das geeignete, erforderliche und angemessene Mittel zur Zielerreichung einsetzen. Der Sachverhalt darf sich – bezogen auf die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale – nicht anderweitig ermitteln lassen.

Im Rahmen der Erstellung der individuellen ambulanten Pflegegesamtplanung sowie der Begutachtung von Personen ohne Versicherungsanspruch ist die Ermittlung des Sachverhaltes anhand eines Hausbesuches bei einem Erstantrag oder einem Verlängerungsantrag gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz regelmäßig als erforderlich anzusehen. Bei der Ermittlung der Pflegebedürftigkeit ist die Inaugenscheinnahme des Betroffenen unumgänglich. Diese sollte an dem Ort erfolgen, an dem die Pflege durchgeführt wird, bei ambulanter Pflege also im Wohnbereich des oder der Betroffenen.

Ein Betreten der Wohnung durch den Pflegebedarfsermittlungsdienst ist dennoch ohne Zustimmung der pflegebedürftigen Person unzulässig. Der oder die Betroffene ist jedoch über die möglichen Folgen zu beraten, die die Verweigerung des Zutritts leistungsrechtlich haben kann. Insbesondere ist die betroffene Person darauf hinzuweisen, dass unaufgeklärte Sachverhalte zu ihren Lasten gehen.

Die Mitarbeiter des Pflegebedarfsermittlungsdienstes haben sich vor Betreten der Wohnung auf Verlangen als Beauftragte zu legitimieren.

Im Zusammenhang mit dem Hausbesuch ist auch die Inaugenscheinnahme der Wohnung für die Hilfebedarfsermittlung in der Regel erforderlich und damit zulässig. Eine Durchsicht von Schränken oder von medizinisch-pflegerischen Unterlagen ist nur im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und mit Zustimmung der pflegebedürftigen Person möglich.

Kann infolge des verweigerten Zutritts zur Wohnung oder aufgrund anderer von der pflegebedürftigen Person zu vertretender Umstände der Hilfebedarf nicht oder nur unvollständig festgestellt werden und bleiben – infolge des Handelns der pflegebedürftigen Person – nach Ausschöpfung aller (übrigen) Erkenntnisquellen durch den Sozialhilfeträger einzelne Bedarfe unaufgeklärt, trägt die pflegebedürftige Person insoweit die Folgen der Nichterweislichkeit und muss in dieser Hinsicht die Versagung der Leistung gegen sich gelten lassen (Grundsatz der objektiven Beweislast).

Hausbesuche dürfen nur dann unangemeldet durchgeführt werden, wenn unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Besonderheiten des zu klärenden Sachverhaltes eine Terminvereinbarung nicht zulassen. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn begründete Anhaltspunkte vorliegen, die einer Abklärung bedürfen (sogenannte anlassbezogene Prüfung).

4. Datenschutzrechtliche Aspekte

4.1. Datenschutzrechtliche Aspekte bei der Hilfebedarfsfeststellung sowie der Evaluation der Leistungsziele

Zum Zweck der Feststellung des Bedarfs an ambulanter Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII (individuelle ambulante Pflegegesamtplanung – IAP) bzw. bei der Begutachtung von Personen ohne Versicherungsanspruch sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Pflegebedarfsermittlungsdienstes im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch befugt, Einsicht in medizinisch-pflegerische Unterlagen zu nehmen. Hierzu gehören insbesondere die Pflegedokumentation der Pflegedienste sowie das Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK-Pflegegutachten). Im Zuge der Einsichtnahme ist es aus Gründen der Praktikabilität und der Beweissicherung auch möglich, von der Pflegedokumentation und anderen medizinisch-pflegerischen Unterlagen in geeigneter Weise Bilddokumente zu fertigen.

Für die Evaluation der Zielplanung im Rahmen der IAP ist es bei einer Folge- oder Neubegutachtung erforderlich, die Wirksamkeit der bewilligten Maßnahmen zu beurteilen und neue Leistungsziele aufzustellen. Hierfür sind Informationen zu den erbrachten Leistungen im Hinblick auf Art, Umfang und Verlauf notwendig. Auch in diesem Zusammen-hang ist es datenschutzrechtlich zulässig, Einsicht in die Pflegedokumentation zu nehmen und ggf. Bilddokumente zu fertigen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Pflegedokumentation bei der pflegebedürftigen Person aufbewahrt wird.

Die Einsichtnahme in medizinisch-pflegerische Unterlagen muss für die Sachverhaltsaufklärung erforderlich sein. Die Maßnahme hat sich dabei immer am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren (siehe Ziffer 3.).

Die Zulässigkeit der Datenerhebung ergibt sich für den Sozialhilfeträger und den von ihm beauftragten Pflegebedarfsermittlungsdienst aus § 67a Absatz 1 Satz 1 SGB X . Die Fachdienste der Gesundheitsämter erheben die Daten nach § 1 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 der Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten in Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Verbindung mit § 1 Absatz 3 Nummer. 3 b Gesundheitsdienste-Gesetz .

Für die Anforderung des Pflegegutachtens beim MDK sowie die Einsichtnahme in die Pflegedokumentation des Pflegedienstes ist die Zustimmung des oder der Pflegebedürftigen erforderlich. Aus Gründen der Beweissicherung sollte die Zustimmung schriftlich im Zuge der Antragstellung eingeholt werden.

Wird im Zusammenhang mit nicht zur Verfügung gestellten Unterlagen die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Sozialhilfeträger die Hilfe zur Pflege gemäß § 66 in Verbindung mit § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer. 3 SGB I versagen oder entziehen, soweit die Leistungsvoraussetzungen nicht nachgewiesen sind. Unabhängig davon muss der oder die Leistungsberechtigte nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Nichterweislichkeit einzelner Bedarfe gegen sich gelten lassen, wenn andere Erkenntnisquellen ebenfalls nicht zum Erfolg geführt haben (siehe Ziffer 3. ).

Der oder die Leistungsberechtigte ist über die möglichen leistungsrechtlichen Folgen zu beraten.

4.2 Aufbewahren von medizinisch-pflegerischen Dokumenten in der Leistungsakte

Eine wesentliche Grundlage für die Leistungsbewilligung neben der IAP stellt – soweit vorhanden – das MDK-Pflegegutachten dar. Die Leistungsstellen haben hiermit vor dem Hintergrund der Bindungswirkung der Entscheidung der Pflegekassen die Möglichkeit, Plausibilitätsprüfungen vorzunehmen und mögliche Ansprüche gegen vorrangige Sozialleistungsträger zu identifizieren.

Es ist daher datenschutzrechtlich vertretbar, wenn das Pflegegutachten des MDK (entsprechend das Pflegegutachten des vom Sozialhilfeträger beauftragten Pflegebedarfsermittlungsdienstes für Nichtversicherte) zur Leistungsakte genommen wird.

Die darin enthaltenen Daten sind jedoch auf ihre Erforderlichkeit in Bezug auf die vollständige und rechtmäßige Aufgabenerfüllung im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. So ist beispielsweise die Kenntnis der Diagnosedaten (ICD-10) für die Leistungsstellen in aller Regel nicht erforderlich, wenn diese nicht pflegebegründend sind. Entsprechend sind diese Passagen zu schwärzen.

Auch die Betroffenen sind auf die Möglichkeit der Schwärzung von sensiblen Daten hinzuweisen, wenn die Leistungsstelle das MDK-Pflegegutachten bzw. das Pflegegutachten für Nichtversicherte für die Leistungsakte bei ihnen anfordert.

Entsprechend ist mit anderen medizinisch-pflegerischen Unterlagen zu verfahren.

Soweit der Pflegebedarfsermittlungsbereich eigene Pflegeakten führt, gelten zuvor genannte Regelungen nicht, da diese Daten relevant für die Feststellung eines Anspruchs im Bereich der ambulanten Hilfe zur Pflege sind und demzufolge dem Leistungsträger zur Anspruchsüberprüfung vorliegen müssen.

5. Wunsch- und Wahlrecht

5.1. Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten nach § 9 Absatz 2 und 3 SGB XII

Das Wunsch- und Wahlrecht des § 9 Absatz 2 SGB XII bringt in Ergänzung des Individualisierungsprinzips in Absatz 1 zum Ausdruck, dass auch die Vorstellungen der Leistungsberechtigten bei der Gestaltung der Hilfe zu berücksichtigen sind.

Die Wünsche müssen zum einen jedoch angemessen sein, das heißt es darf nur ein sozialhilferechtlich anerkannter Bedarf befriedigt werden (Absatz 2 Satz 1); zum anderen darf die gewünschte Maßnahme nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sein (Absatz 2 Satz 3).

Der Kostenvergleich erfolgt auf der Grundlage der Durchschnittskosten im Land Berlin, die üblicherweise für diese Hilfemaßnahme und die jeweilige Pflegestufe entstehen; in Ausnahmefällen können auch die Kosten in anderen Ländern herangezogen werden. Bei einer Überschreitung der Durchschnittskosten um mehr als 30 v. H. ist im Allgemeinen von unverhältnismäßigen Mehrkosten auszugehen (vgl. dazu Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 19.05.2010 – S 34 SO 212/07 ). Der Besonderheit des Einzelfalles ist jedoch Rechnung zu tragen.

Vor diesem Hintergrund ist es möglich, auch Pflegedienste zu wählen, die mit einem höheren Punktwert abrechnen und/oder Investitionskosten gesondert in Rechnung stellen.

5.2. Vorrang der ambulanten Leistungen nach § 9 Absatz 2 Satz2 und § 13 Absatz 1 Satz 3 SGB XII

§ 9 Absatz 2 Satz 2 SGB XII und § 13 Absatz 1 Satz. 2 SGB XII bringen den grundsätzlichen Vorrang der ambulanten Versorgung zum Ausdruck. Für das Wunsch- und Wahlrecht des oder der Leistungsberechtigten bedeutet dies zunächst, dass der Wunsch nach stationärer Hilfe nur berücksichtigt werden kann, wenn die ambulante Versorgung nicht möglich ist, nicht ausreicht oder zu unverhältnismäßigen Mehrkosten führt.

Darüber hinaus begründet § 63 SGB XII für die Hilfe zur Pflege eine besondere Pflicht des Trägers der Sozialhilfe, auf ambulante Pflege hinzuwirken.

Dabei ist als Regelfall die Pflege durch nichtprofessionelle Pflegepersonen vorgesehen, mit denen der oder die Leistungsberechtigte verwandt ist, in Nachbarschaft lebt oder sozial verbunden ist. Entsprechend sind die Pflegepotentiale des verwandtschaftlichen und sozialen Umfeldes zu mobilisieren. Professionelle Pflegekräfte sind nur bei Erforderlichkeit einzusetzen.

Der Vorrang der ambulanten Versorgung gilt jedoch ebenfalls nur dann, wenn dadurch – im Vergleich zur stationären Unterbringung – keine unverhältnismäßigen Mehrkosten entstehen (siehe §§ 9 Absatz 2 Satz 3, 13 Absatz 1 Satz 4 SGB XII).

Es kann davon ausgegangen werden, dass eine ambulante pflegerische Versorgung dann unverhältnismäßige Mehrkosten verursacht, wenn die Kosten der stationären Versorgung um 30 v. H. oder mehr überschritten werden. Dabei ist der Besonderheit des jeweiligen Einzelfalles Rechnung zu tragen.

Für den Kostenvergleich sind vorrangige Leistungen – insbesondere die der Pflegeversicherung – von den Leistungen der Hilfe zur Pflege in Abzug zu bringen.

Bei stationärer Versorgung ist zum Kostenvergleich nur die Maßnahmepauschale (Pflegesatz) heranzuziehen.

Keine Berücksichtigung finden Eigenanteile des Leistungsberechtigten, die sich aus dem jeweiligen Einsatz seines Einkommens ergeben, da dies in vielen Fällen zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen würde. Insbesondere für alleinstehende Leistungsberechtigte würde bei entsprechendem Einkommen die Versorgung in einer stationären Pflegeeinrichtung durch die hohen Eigenanteile bei dieser Leistungsform für das Land Berlin grundsätzlich weitaus kostengünstiger sein.

5.3. Zumutbarkeit der stationären Versorgung

Entscheidende Bedingung für die Durchbrechung der Vorrangigkeit der ambulanten Versorgung ist jedoch, dass die Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar ist (§ 13 Absatz 1 Satz 3 und 4 SGB XII).

Bereits bei der Durchführung des Kostenvergleichs, aber auch bei der Prüfung der Zumutbarkeit darf nicht abstrakt auf das Vorhandensein stationärer Einrichtungen hingewiesen werden. Vielmehr ist ein tatsächlich zur Verfügung stehender Heimplatz zu Grunde zu legen. Dabei muss die jeweilige stationäre Einrichtung geeignet sein, den individuellen Bedarf des Leistungsberechtigten zu decken.

Die Zumutbarkeit der stationären Versorgung ist zwar einzelfallbezogen, jedoch grundsätzlich anhand objektiver Maßstäbe zu prüfen; subjektiver Vorstellungen des Leistungsberechtigten sind nicht zur Beurteilung heranzuziehen. Entscheidend ist, ob die mit der Aufnahme in die stationäre Einrichtung verbundene Veränderung der Lebensumstände nach allgemeiner Anschauung vertretbar und für den Leistungsberechtigten tragbar ist.

Nach § 13 Absatz 1 Satz 5 SGB XII sind bei der Prüfung der Zumutbarkeit der stationären Versorgung die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen.

Eine besondere Bedeutung hat bei der Berücksichtigung der persönlichen Umstände, in welchem Maße der oder die Leistungsberechtigte in sein soziales Umfeld integriert ist, und ob bei einer Heimunterbringung mit dem Verlust der sozialen Gemeinschaft zu rechnen ist. Je weniger der oder die Leistungsberechtigte aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnimmt oder teilnehmen kann, desto eher ist die Bedarfsdeckung im stationären Bereich zumutbar.

Weitere persönliche Umstände, die die Zumutbarkeit beeinflussen können, sind das Alter und der Gesundheitszustand des oder der Leistungsberechtigten.
So ist es für junge Pflegebedürftige unzumutbar, auf Dauer in einem Pflegeheim mit alten Menschen zusammenleben zu müssen. Unzumutbarkeit ist auch anzunehmen, wenn ein alter Mensch durch einen Wechsel in eine stationäre Einrichtung laut ärztlicher Prognose gesundheitlichen Schaden nehmen würde.

Im Hinblick auf die familiären Umstände ist die Einbeziehung von Familienangehörigen in die Betreuung von Bedeutung sowie die Frage, ob die familiären Kontakte durch die Unterbringung in einer stationären Einrichtung erschwert oder gar unmöglich werden.

Schließlich können auch die große Entfernung der stationären Einrichtung vom jetzigen Wohnort und damit der Verlust sozialer Kontakte eine Rolle spielen.

Ergibt die Prüfung, dass die vom Träger der Sozialhilfe vorgesehene stationäre Pflege unzumutbar ist, sind unverhältnismäßige Mehrkosten der ambulanten Pflege hinzunehmen (§ 13 Absatz 1 Satz 6 SGB XII).

5.4. Übergangsregelung

§ 130 SGB XII enthält eine Besitzstandsregelung für Personen, die am 26. Juni 1996 im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen oder der Hilfe zur Pflege ambulant betreut worden sind. Der Besitzstand garantiert den Leistungsberechtigten den Status als ambulant Betreute auch dann, wenn diese Hilfe-Art mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist.

Tritt allerdings in Bezug auf den oben genannten Zeitpunkt eine erhebliche Veränderung, beispielsweise im Gesundheits- oder Pflegezustand des oder der Betroffenen ein, kann es unter Beachtung der besonderen Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt sein, eine Prüfung nach § 13 Absatz 1 SGB XII vorzunehmen.

Eine rechtswirksame Unterbrechung der Übergangsregelung liegt dann vor, wenn die Hilfe wenigstens für zwei Monate unterbrochen war. Bei einer Unterbrechung durch eine stationäre Pflege verlängert sich dieser Zeitraum auf mehr als zwölf Monate.

Folgende Rundschreiben werden mit der Veröffentlichung des vorliegenden Gesamt-Rundschreibens aufgehoben:

Anlagen

  • Modul 1 – Pflegegeld nach § 64 SGB XII
  • Modul 2 – Aufwendungserstattung, Beihilfen und Beiträge für eine angemessene Alterssicherung für Pflegepersonen nach § 65 Absatz 1 Satz 1 SGB XII
  • Modul 3 – Leistungen für die Beschäftigung einer Pflegekraft nach § 65 Absatz 1 Satz 2 SGB XII
  • Pflegesachleistung für die Heranziehung von Pflegediensten nach § 65 Absatz 1 Satz 2 SGB XII (siehe Rundschreiben I Nr. 04/2005 und Rundschreiben I Nr. 20/2005 ; die Module 4 und 5 hierzu sind noch nicht fertiggestellt),
  • Modul 7 – teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege nach § 61 Absatz 2 Satz 1 und 2 SGB XI
  • Modul 8 – Kurzzeitpflege nach § 61 Absatz 2 Satz 1 und 2 SGB XII und Leistungen zur zeitweiligen Entlastung der Pflegeperson (Verhinderungspflege) nach § 65 Absatz 1 Satz 2 SGB XII
  • Modul 9 – Pflegehilfsmittel und Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 61 Absatz 2 Satz 1 und 2 SGB XII
  • Leistungen der Hilfe zur Pflege als Persönliche Assistenz (siehe Rundschreiben I Nr. 06/2010 ; das Modul 10 hierzu ist noch nicht fertiggestellt)
  • Modul 11 – Fußpflege
  • Modul 12 – Fenster- und Gardinenreinigung