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Rundschreiben I Nr. 06/2009 über Abzweigung von Kindergeld (§ 74 Abs. 1 EStG, § 48 SGB I); Erstattung nach § 74 Abs. 2 EStG

p(. vom 8. Juni 2009, in der Fassung vom 10.02.2014

1. Abzweigung des Kindergeldes auf den Träger der Sozialhilfe

Der Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes kann zur Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe auch von dem Träger der Sozialhilfe gestellt werden, der dem Kind Unterhalt (Sozialhilfe) leistet. Die für die Abzweigung maßgebliche Rechtsgrundlage ist § 74 Abs. 1 EStG.

Danach kann die Abzweigung des Kindergeldes für ein volljähriges behindertes Kind auf eine andere Person oder Stelle grundsätzlich vorgenommen werden, wenn
  • dem Grunde nach ein Anspruch auf Kindergeld besteht, weil das Kind unterhaltsberechtigt und außerstande ist, mit seinem eigenen Einkommen seinen gesamten Lebensbedarf abzudecken,
  • der Kindergeldberechtigte seinem Kind gegenüber gesetzlich unterhaltspflichtig ist und
  • er seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (§ 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4) oder mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 74 Abs. 1 Satz 3 EStG).

Eine Auszahlung des Kindergeldes an den Träger der Sozialhilfe setzt zugleich voraus, dass
a. die Voraussetzungen eine Abzweigung dem Grunde nach vorliegen und
b. die Familienkasse ihr Ermessen, ob und in welcher Höhe das Kindergeld abgezweigt wird, sachgerecht ausgeübt hat.
In seiner Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof (unter anderem Urteile/Gerichtsbescheide vom 9. Februar 2009 – Az.: III R 20/07, 36/07, 37/07, 38/07, 39/07 sowie Urteil vom 18.04.2013 – V R 48/11 -) hierzu folgende Grundsätze aufgestellt:

zu a) Voraussetzungen dem Grunde nach
Eltern sind nach den §§ 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet, wenn sich ihr Kind nicht selbst unterhalten kann. Der Unterhaltsanspruch umfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf.

Dazu gehört auch der krankheits- und behinderungsbedingte Mehrbedarf eines volljährigen behinderten und/oder pflegebedürftigen Kindes.

Die Eingliederungshilfe mindert nicht die Bedürftigkeit des Kindes, da sie subsidiär ist und den Unterhaltspflichtigen nicht von seiner Verpflichtung befreien soll.

Eine Unterhaltspflichtverletzung liegt regelmäßig vor, wenn der Kindergeldberechtigte die laufenden Kosten für die vollstationäre Unterbringung des Kindes in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe oder der Hilfe zur Pflege nicht übernommen hat. Auf die Gründe der Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt es nicht an.

Für die Abzweigung ist es unerheblich, dass der Gesetzgeber gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bei Kindern nach Vollendung des 18. Lebensjahres, die Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege in vollstationären Einrichtungen erhalten, ohne eine Einkommens- und Vermögensprüfung bei den Eltern den Übergang des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs auf den Träger der Sozialhilfe in monatlichen Pauschalbeträgen fingiert.

Grundsätzlich nicht in Betracht kommt schon dem Grunde nach die Abzweigung des Kindergeldes auf den Träger der Sozialhilfe, wenn es für ein Kind mit Schwerbehinderung gezahlt wird, das im Haushalt des Kindergeldberechtigten untergebracht ist . In diesem Falle hat die Familienkasse schon wegen dieser Unterbringung von hinreichenden Unterhaltsleistungen auszugehen und von der Prüfung der Höhe der tatsächlich aufgewendeten Unterhaltsleistungen abzusehen. Das gilt auch dann, wenn für die Kinder Leistungen der Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII erbracht werden, es sei denn, der Kindergeldberechtigte leistet keinen hinreichenden Unterhalt, etwa weil er für sich selbst Grundsicherungsleistungen bezieht (BFH vom 17.12.2008 – BStBl. 2009 S. 926).

zu b) Ermessen der Familienkasse
Da es sich bei der Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG um eine „Kann“ -Bestimmung handelt, bedarf es in jedem Fall der Ermessenserwägung der Familienkassen, ob und in welchem Umfang dem Abzweigungsersuchen des Trägers der Sozialhilfe zu entsprechen ist. Der Bundesfinanzhof hat hierzu folgendes festgestellt:

Bei der Ausübung des Ermessens ist der Zweck des Kindergeldes zu berücksichtigen (§ 5 der Abgabenordnung). Das Kindergeld dient der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums eines Kindes und, soweit es dafür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Hiervon abweichend hängt der Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges behindertes Kind davon ab, dass das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). Es wird typisierend davon ausgegangen, dass den Eltern Unterhaltsaufwendungen für das Kind entstehen, wenn dessen eigene finanzielle Mittel nicht seinen gesamten Lebensbedarf abdecken. Der Lebensbedarf eines behinderten Kindes besteht aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) in Höhe des Existenzminimums eines Erwachsenen, zu dem z.B. auch Kontakte zur Familie, Teilnahme am kulturellen Leben und Erholung gehören, und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf , der auch ergänzende persönliche Betreuungsleistungen der Eltern und Fahrtkosten umfasst.

Da das Kindergeld die finanzielle Belastung der Eltern durch den Unterhalt für das Kind ausgleichen soll, hängt die Entscheidung über die Abzweigung davon ab, ob und in welcher Höhe ihnen tatsächlich seinen Lebensbedarf betreffende Aufwendungen entstanden sind. Dabei sind auch im Verhältnis zu den Kosten des Sozialleistungsträgers glaubhaft gemachte geringe Aufwendungen für das Kind (z.B. für Besuchsfahrten, Kleidung, Geschenke, Möbel, Freizeitaktivitäten) mit einzubeziehen.

Entstehen dem Kindergeldberechtigten Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens in Höhe des Kindergeldes, kommt eine Abzweigung an den Sozialleistungsträger nicht in Betracht.

Die Bezifferung oder ggf. Schätzung des den Eltern entstandenen Aufwands durch die Familienkasse ist unverzichtbar. Ist er im Einzelfall nicht mehr exakt ermittelbar, kann eine teilweise Abzweigung des Kindergeldes in Betracht kommen.

Fazit:
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wird empfohlen, künftig zur Sicherung des Nachrangs der Sozialhilfe nur in den Fällen einen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 EStG bei der zuständigen Familienkasse zu stellen, wo ein Kindergeldanspruch besteht und zugleich konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Eltern ihre gesetzliche Unterhaltspflicht verletzen, indem sie über den Unterhaltsbeitrag nach § 94 Abs. 2 SGB XII hinaus keine oder nur geringfügige, das Kindergeld insgesamt nicht übersteigende Aufwendungen für den Lebensbedarf ihres Kindes aufbringen.

Lehnt in so einem Fall die Familienkasse einen Abzweigungsantrag ab, ohne im Bescheid darzulegen, welche Ermessenserwägungen zu dieser Entscheidung geführt haben, kann es angebracht sein, gegen den Ablehnungsbescheid Rechtsmittel einzulegen.

2. Abzweigung des Kindergeldes auf das volljährige Kind

Lebt ein Kind nicht in Haushaltsgemeinschaft mit der kindergeldberechtigten Person und kommt die kindergeldberechtigte Person objektiv und dauerhaft nicht wesentlich für den Unterhalt des Kindes auf, kommt die Auszahlung des Kindergeldes an das Kind in Betracht (§ 74 EStG, § 48 SGB I).

Die Familienkasse ist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG berechtigt, das Kindergeld an das volljährige Kind selbst auszuzahlen, wenn kindergeldberechtigte Eltern tatsächlich keinen Unterhalt leisten. Insoweit kann das Angebot der Mutter eines auswärts wohnenden behinderten Kindes, Naturalunterhalt durch Kost und Logis zu erbringen, nicht die zivilrechtlich geschuldete tatsächliche Leistung von (Bar-)Unterhalt gegenüber dem Kind ersetzen.

Das an das Kind ausgezahlte Kindergeld ist sozialhilferechtlich auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem 3. bzw. 4. Kapitel SGB XII anrechenbares Einkommen des Kindes. Das Kind ist jedoch nicht verpflichtet, sich durch einen Abzweigungsantrag anrechenbares Einkommen im Sinne von § 76 BSHG (§ 82 SGB XII) zu verschaffen (BSG, BFH/NV 2007, Beil. 4, 476).

3. Erstattungsansprüche gegen die Familienkasse gemäß § 74 Abs. 2 EStG

Gemäß § 74 Abs. 2 EStG hat der Träger der Sozialhilfe als nachrangiger Leistungsträger i.V.m. § 104 Abs. 1 SGB X einen Erstattungsanspruch gegen die vorrangig zur Leistung von Kindergeld verpflichteten Familienkassen. Hierbei sind die Regelungen über die Erstattung von Kosten der §§ 102 – 114 SGB X zu beachten.

Ein Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld setzt voraus, dass das Kindergeld zum Einkommen desjenigen gehört, dem er Sozialhilfeleistungen erbracht hat. Ist nicht der kindergeldberechtigte Elternteil, sondern das im eigenen Haushalt lebende Kind sozialhilfeberechtigt, besteht in der Regel kein Anspruch auf Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld. Dem Einkommen des Kindes kann das Kindergeld nur dann zugeordnet werden, wenn es ihm auf Grund einer förmlichen Abzweigung ausgezahlt wird oder ihm zumindest tatsächlich zufließt (BFH, Urteil vom 17. April 2008 – III R 33/05).

§ 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X schränkt den Erstattungsanspruch insoweit ein, als eine Erstattungsberechtigung dann nicht gegeben ist, wenn der Träger der Sozialhilfe trotz Leistungsgewährung der vorrangig verpflichteten Familienkassen seine Leistung erbringen muss. Unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 22. Januar 1998 zu § 104 Abs. 1 Satz 1 und 4 SGB X kommt eine Erstattung an den Träger der Sozialhilfe bei Heimunterbringung eines Kindes nur in solchen Fällen in Betracht, bei denen der Träger der Sozialhilfe den Betroffenen bzw. seine unterhaltspflichtigen Eltern konkret und betragsmäßig zum Aufwendungsersatz oder zu einem Kostenbeitrag herangezogen hat. Der gesetzliche Anspruch dem Grunde nach – ohne konkrete Inanspruchnahme des Betroffenen oder seiner unterhaltspflichtigen Eltern – reicht für eine Kostenerstattung nicht aus.

Mein Rundschreiben I Nr. 2/2008 wird mit sofortiger Wirkung aufgehoben.

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