Ein besseres Leben durch SGE

Mario Katsch

Mario Katsch
arbeitet als Quartiersläufer bei der berlinwohnen Hausmeister GmbH, einem Tochterunternehmen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU AG.

Das Glück sei mit den Tüchtigen, heißt es. Angesichts moderner Erwerbsbiografien wie der von Mario Katsch klingt die alte Weisheit wie blanker Hohn. Auch weil er Vater wurde und sich Zeit für sein Kind nahm, fand er aus einer Phase der Arbeitslosigkeit lange nicht zurück ins Berufsleben. Dies gelang ihm erst dank des Solidarischen Grundeinkommens und einer Stelle bei einem Tochterunternehmen der GESOBAU.

Sein unstetes Leben begann für Mario Katsch, Jahrgang 1987, als ihm selbst noch jedes Bewusstsein dafür fehlte. Er war ein Kleinkind, als seine Mutter wenige Monate vor der Wende mit ihm aus Ostberlin nach Westdeutschland flüchtete. Sie strandeten im nordrhein-westfälischen Solingen. Katschs Vater, ein Maurer und Fliesenleger, kam nach, als kurze Zeit später die Mauer fiel. Ein paar Jahre lebte die Familie in Solingen, bis die Eltern mit Mario und seinem inzwischen geborenen Bruder ins brandenburgische Zeuthen zu den Großeltern zogen. Doch das Familienleben gestaltete sich zunehmend schwierig. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion trennte sich die Mutter vom Vater und floh mit den Kindern erneut. Als Erstes landeten sie in einem Asylheim. Arbeitslos und ohne eigene Wohnung fand die Mutter irgendwann Platz in einem Frauenhaus.

»Es hat gedauert, bis wir eine eigene Wohnung bekamen«, erinnert sich Katsch. »Wir zogen von einem Frauenhaus ins nächste. Ich musste auf meinen kleinen Bruder aufpassen und fand selbst nur schwer Anschluss, weil ich ständig den Kindergarten wechselte.« Unter diesen Bedingungen entwickelte Katsch eine Auffälligkeit: Er sprach so rasend schnell, dass ihn kaum jemand verstand. Man attestierte ihm eine Lernbehinderung.

Für die ersten zwei Schuljahre besuchte Mario Katsch eine Förderschule. Als er besser sprach, wechselte er auf eine Grundschule in Lichtenberg, wo er die zweite Klasse wiederholen musste. »Ich war fortan immer ein bisschen älter als meine Mitschülerinnen und Mitschüler.« Nach der sechsten Klasse stand Katsch sogar das Gymnasium offen. »Allerdings war ich ein bisschen faul und hatte gar nicht mitbekommen, dass ich mich hätte bewerben müssen.« Stattdessen erhielt er einen Brief vom Bezirksamt, der ihm die weiterführende Oberschule am Rathaus Lichtenberg zuwies, damals noch eine Hauptschule. Als Modellprojekt gab es jedoch eine Realschulklasse, in der höhere Anforderungen einen vollgültigen Realschulabschluss ermöglichten. »Die Prüfungen bestand ich relativ gut«, sagt Katsch.

Mario Katsch

Mit dem Zeugnis in der Tasche begann Katsch eine Lehre als Koch im Evangelischen Johannesstift in Spandau. Schon seine Mutter hatte als Köchin gearbeitet, als die Familie noch in Berlin-Buch gelebt hatte. »Die Ausbildung war extrem arbeitsintensiv. Wir kochten nicht nur à la carte, sondern in einer eigenen Großküche auch für Krankenhäuser und Kitas.« Als der Flughafenbetrieb in Tegel sukzessive abgebaut wurde, lieferte die Küche zusätzlich Essen an die Lufthansa und Continental Airlines. »Damit wuchs das Arbeitspensum noch weiter. Für die Produktion von Flugzeugessen gelten schärfere Richtlinien, da durften wir nur mit Handschuhen und in Schutzanzügen arbeiten.« Überstunden waren an der Tagesordnung. »Offiziell blieben wir Azubis natürlich aus freien Stücken länger, weil wir mehr lernen wollten.«

Katsch stand die Lehre durch und bewarb sich anschließend als Koch bei der Bundeswehr. Er lernte, in einer Feldküche zu arbeiten. Wegen einer schweren Knieverletzung musste er jedoch einige Zeit aussetzen. »Dadurch war ich nicht dabei, als es einen Monat in den Wald ging, wo ich in einem Biwak hätte kochen sollen«, sagt er. Seinem Oberfeldwebel gefiel sein krankheitsbedingter Ausfall nicht, sodass er Katschs Vertragsverlängerung nicht absegnete. »Als er es sich kurz vor Auslaufen des Vertrages doch noch anders überlegte, war ich zu stolz, um zu bleiben.«

In der Folgezeit ackerte Katsch in verschiedenen Restaurantküchen und zeigte sich als fleißiger und engagierter Mitarbeiter. Mal kochte er für »Touris«, mal für »Stammis«, wie er die Restaurants nach ihren Gästen einteilt. »In Touri-Küchen lässt die Hygiene oft zu wünschen übrig«, sagt er. »Es kam wiederholt vor, dass ich wochenlang geputzt habe, bis ich reinen Gewissens kochen konnte.«

Wenn Katsch heute über sein Leben als Restaurantkoch spricht, fällt ihm nur das Wort »Sklavenarbeit« ein. »Die Bedingungen in dem Job waren unterirdisch. Es war normal, zehn Tage durchzuarbeiten – mit Arbeitszeiten von zwölf bis vierzehn Stunden«, erzählt er. »Ich habe immer versucht, die Situation zu meistern, aber irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich hatte die Nase gestrichen voll und begann, nach anderen Jobs zu suchen.«

Mario Katsch

Zuerst probierte er es als Verkäufer für Handyverträge. »Das war gut bezahlt, und ich musste weniger Stunden als in der Küche arbeiten«, sagt Katsch. »Aber ich war nicht gut darin.« Menschen Knebelverträge aufzuschwatzen und sie über den Tisch zu ziehen, ging ihm gegen den Strich. Er unterschrieb lieber bei einem Sicherheitsdienst, der ihn als Objektschützer, Ladendetektiv und Rausschmeißer einsetzte. Das dürftige Gehalt besserte Katsch mit Gelegenheitsjobs auf dem Bau auf. Während dieser Zeit wohnte er in WG-Zimmern, weil er sich keine Wohnung leisten konnte. Zwischendurch kam er bei Freundinnen oder bei seiner Mutter unter.

Katsch wechselte erneut den Job, als er durch die Vermittlung durch einen Bekannten eine Stelle in einer Firma für Facility-Management bekam. Vom Prinzip her ein Hausmeisterjob, der allerdings in Akkordarbeit ausuferte. »Im Grunde erledigte ich drei Jobs in einem, das war übel«, sagt Katsch. Neben der Hausmeistertätigkeit musste er die Reinigung der Hausflure, Winterdienste und Gartenarbeiten übernehmen.

2017 erfuhr sein Leben eine grundlegende Wendung: Mario Katsch wurde Vater. »Ich wollte meinen Sohn aufwachsen sehen, Zeit mit ihm verbringen, nicht erst spätabends abgekämpft von der Arbeit kommen«, sagt er. »Der Zufall wollte es, dass meine Firma Aufträge verlor und mir kündigte. So hatte ich Anspruch darauf, ein Jahr lang Arbeitslosengeld zu beziehen – Zeit, um mich um meinen Sohn zu kümmern.«

Schnell war das Jahr herum. Die Beziehung zur Mutter seines Sohnes zerbrach, und Katsch sollte aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen. »Als Arbeitsloser eine Wohnung zu finden, ist fast aussichtslos«, sagt er. »Wir schliefen bei Freunden auf der Couch, was schon wegen meines Sohnes keine Dauerlösung sein konnte.« Schließlich zog Katsch wieder zu seiner Mutter, die eine Vierzimmerwohnung hat. Dort kann er seinem Sohn ein Zuhause bieten und ihn – im Wechsel mit der Mutter des Kindes – jede zweite Woche betreuen. »Das ist eine Herausforderung, funktioniert aber ziemlich gut«, sagt Katsch. »Es liegt nur zu viel Spielzeug herum. Ich kaufe Lego und Playmobil für meinen Sohn, wenn ich es irgendwo im Angebot sehe; ich verwöhne ihn gern auf diese Weise. Wann immer wir Zeit haben, spielen wir gemeinsam damit, und er erfindet kleine Geschichten.«

Mario Katsch Zitat

Katsch wollte wieder arbeiten, bekam jedoch immer wieder Absagen – meist deshalb, weil er keinen Führerschein besitzt. Zudem gestaltete sich das Verhältnis zu seiner Arbeitsvermittlerin im Jobcenter schwierig. »Die wollte mir immer Ein-Euro-Jobs reinknallen«, erzählt Katsch. »Ihre Vorstellung war, dass ich sie annehmen müsse, wenn ich Unterstützung bekommen wollte. Ich habe ihr klar gesagt, dass ich diese Jobs nicht haben will.« Katsch blieb standhaft und beschwerte sich auf übergeordneter Ebene. Eine goldrichtige Entscheidung, wie sich herausstellte: Er bekam eine neue Arbeitsvermittlerin zugeteilt, die ihm das Solidarische Grundeinkommen (SGE) und eine Stelle als Quartiersläufer bei der berlinwohnen Hausmeister GmbH anbot, einer Tochterfirma des städtischen Wohnungsunternehmens GESOBAU.

»Ende Oktober 2020 hatte ich mein Vorstellungsgespräch – die Stelle trat ich gleich im November an«, sagt Katsch. Quartiersläufer unterstützen hauptamtliche Hausmeisterinnen und Hausmeister von Wohnungsbaugesellschaften und übernehmen vielfältige Tätigkeiten. Derzeit ist Katsch in Pankow eingesetzt, hauptsächlich in Altbauten und modernisierten Altbauten. Seine zentrale Aufgabe ist es, den Zustand der Wohnanlagen zu kontrollieren. Konkret ist er bei Wohnungsübergaben dabei, hilft bei der Koordination von Gewerken, beim Wechseln von Türschlössern und bei der Organisation der Sperrmüllentsorgung. »Ich kommuniziere mit den Mieterinnen und Mietern, nehme Anrufe entgegen und schaffe bei den einfacheren Problemen selbst Abhilfe. Älteren Herrschaften trage ich den Einkauf hoch in die Wohnung. In den Außenbereichen der Häuser zupfe ich Unkraut und trimme Hecken.«

Mario Katsch

Aufgrund der Rahmenbedingungen des SGE sowie aus versicherungstechnischen Gründen darf Katsch nicht alle Arbeiten ausführen, kleinere Dinge aber erledigt er selbst. Dass er mitunter den Ärger von Mieterinnen und Mietern abbekommt, nimmt er mit Humor. »Als sich ein älterer Herr mokierte, die GESOBAU sei unmöglich und in der DDR sei alles besser gewesen, war ich baff. Eine halbe Stunde nach seinem Anruf stand ich bereits in seiner Wohnung, um zu helfen – ich glaube nicht, dass das zu DDR-Zeiten Standard gewesen ist.«

Katsch seinerseits ist mit der Arbeit für die GESOBAU sehr zufrieden. »Das ist ein toller Arbeitgeber. Wenn ich irgendwelche Probleme habe, bekomme ich sofort Hilfe. Ich muss wirklich sagen: Vielen lieben Dank an den Senat, dass er dieses Projekt ins Leben gerufen hat.« Auf ebenso positive Resonanz stößt bei ihm das die SGE-Stelle begleitende Coaching, das den Übergang in den regulären Arbeitsmarkt vorbereiten helfen soll. Katsch ist voll des Lobes, wenn er über seine Coachin spricht. »Sie unterstützt mich aktiv und vielfältig. Manchmal gibt sie mir sogar Erziehungstipps!«, lacht er.

Mario Katsch Zitat

Vor allem bemüht sie sich, gemeinsam mit Katsch auszuloten, wo seine Zukunftsperspektiven liegen. Begleitend zum SGE sind ohne Gehaltsverlust Umschulungen, Weiterbildungen und sogar Ausbildungen möglich. »Ich hätte gern die Option auf eine höhere Position. Dafür wäre eine Weiterbildung nützlich«, sagt Katsch. Mit ihrer Fachkenntnis zu zahlreichen modernen Methoden hilft ihm die Coachin bei der Entscheidungsfindung.

Momentan steckt Katsch in ebendiesem Prozess: zu überlegen, wie es nach dem SGE weitergeht. Er will die Entscheidung nicht überstürzen, denn dass es weitergehen wird, scheint ausgemachte Sache zu sein. In dieser Hinsicht hat das Solidarische Grundeinkommen für Katsch bereits jetzt seinen Sinn erfüllt. Sein aktueller Chef empfiehlt ihm, sich schon bald auf eine feste Hausmeisterstelle der GESOBAU zu bewerben. Damit würde Mario Katsch lange vor Ablauf seines fünfjährigen SGE-Vertrages in ein reguläres Arbeitsverhältnis wechseln. So unsicher wie noch 2020 sind seine Zukunftsaussichten längst nicht mehr: »Mein Chef will mich auf jeden Fall behalten. Und Zeit für meinen Sohn habe ich dann auch.«

Text: Katrin Rohnstock / Rohnstock Biografien