An ihr Leben als junge Frau hinter dem Eisernen Vorhang hat Schlee gute Erinnerungen. »Ich hatte eine schöne Zeit in Rumänien. Wir jungen Leute haben viele Partys gefeiert«, sagt sie. Damit war es 1985 vorbei, als Schlees Familie nach Deutschland auswanderte – fünf Jahre vor dem Zusammenbruch des Ceaușescu-Regimes.
Erste Anlaufstation der Familie in Deutschland war Singen, nahe der Schweizer Grenze am Bodensee. Dort musste sich Schlee erst zurechtfinden. In einem einjährigen Sonderlehrgang sollte sie ihr Abitur noch einmal absolvieren. Bis heute wohnt ihre Mutter in Singen, für Schlee aber war die provinzielle Atmosphäre nichts. »Ich bin relativ schnell weggezogen und hatte vor, Kunst zu studieren«, sagt sie. »Vorerst aber hatte ich Angst vor der eigenen Courage und traute mich nicht, mein Glück an der großen Kunsthochschule in München zu versuchen.«
Stattdessen begann Schlee eine Töpferlehre, die sie ein Jahr später abbrechen musste, weil der Betrieb pleiteging. Sie sattelte um und begann eine Ausbildung zur Buchhändlerin in Frankfurt am Main. »Von klein auf habe ich viel gelesen. Ich war gern Buchhändlerin und wäre es auch heute noch gern, nur gibt es leider keinen echten Buchhandel mehr: Ein Großteil der Bücher wird im Internet bestellt, während man im Buchladen die Spiegel-Bestseller und ansonsten Kaffee, Grußkarten und Magnete bekommt. Das ist frustrierend.«
Nach der Ausbildung arbeitete Schlee eine Weile in ihrem Beruf als Buchhändlerin, doch die Kunst ließ sie nicht los. Mit einer Freundin, die wie sie hatte Kunst studieren wollen, belegte sie einen Sommer-Kunstkurs in Trier, und beide reichten anschließend ihre Mappe an der Frankfurter Kunsthochschule ein. Aus dem spontanen Versuch wurde zwar nichts, doch er weckte neuen Elan: Mit besserer Vorbereitung wollten es beide doch noch in München versuchen.
Während sich Schlee auf diese Bewerbung vorbereitete, reiste sie für drei Monate nach Kanada. Sie wollte Englisch lernen, belegte weitere Kunstkurse – und lernte ihren jetzigen Mann John kennen, einen Kanadier. »Für den war München so weit weg wie der Mond. Er hatte nie vorgehabt, nach Deutschland zu kommen.« Bald jedoch sollte er seine Reise zum Mond antreten, denn Schlee erhielt aus München tatsächlich eine Zusage. Sie wurde in die Klasse für Bildhauerei und Keramik aufgenommen und begann in der bayerischen Hauptstadt mit dem langersehnten Kunststudium.
Zu diesem Zeitpunkt war Schlee 29 Jahre alt und kurz darauf schwanger. Ihr Mann, von Beruf Informatiker, fand keinen Job in Deutschland. »Mitte der Neunziger wanderten viele deutsche Betriebe in Billiglohnländer ab«, sagt Schlee. »Irgendwann überlegte ich, ob ich nicht auch in Kanada studieren könnte.«
Gedacht, getan. Ihr Mann bekam eine Arbeitsstelle in Toronto. Nach der Geburt ihres Sohnes zogen sie um, Schlee brach ihr Studium in München ab und nahm es ein Jahr später am Ontario College of Art and Design (OCAD) in Toronto wieder auf. »Ich kam dort mit einer kleinen Mappe an, erzählte denen, dass ich zwei Jahre in München studiert hatte, und durfte mich immatrikulieren.« Zwar machten die vergleichsweise hohen Gebühren einen wesentlichen Unterschied zum Studium in Deutschland aus, doch es gab auch Vorteile. »Unser Professor in München war die meiste Zeit nicht vor Ort gewesen und das Studium dort kaum strukturiert«, sagt Schlee. »In Toronto dagegen musste man mindestens fünf Scheine pro Semester vorlegen.«