Perspektiven einer modernen Arbeitsschutzausbildung – Ein Projekt der Brandenburger und Berliner Arbeitsschutzverwaltungen

Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass analoge (Theorie-)Ausbildung für Dienstkräfte der Arbeitsschutzverwaltungen über längere Zeiträume in einer Zahl von Ländern faktisch eingestellt war. Neue Wege mussten und müssen erschlossen werden um so etwas zukünftig zu vermeiden. In diesem Zusammenhang stellt sich außerdem die Frage ob der in der Ausbildung bislang überwiegend praktizierte Frontalunterricht zielführend und zeitgerecht ist, oder ein Relikt vergangener Zeiten darstellt?

Wir leben in einer Welt, die es uns ermöglicht, von jedem Platz dieses Globus aus zu Lernen und zu Lehren. Diese Chancen werden wir nutzen. Digitalisierung bedeutet zudem bestehende Abläufe zu hinterfragen und neu zu denken.

Die Rahmenbedingungen der Arbeitsschutzausbildung werden durch die Laufbahn- und Prüfungsordnungen der Länder und dem vom LASI entwickelten Rahmenlehrplan vorgegeben. Sie umfassen die Inhalte der theoretischen und praktischen Wissensvermittlung sowie den Prüfungsumfang inklusive des zeitlichen Umfangs. Die zukünftigen Aufsichtskräfte sollen durch die Ausbildung befähigt werden, zum Ende des Vorbereitungsdienstes ihre Laufbahneignung nachweisen können. In der Gestaltung von Lernzielen, Kompetenzbildung und auch der Lern- und Lehrmethoden bestehen keine Vorgaben.

Brandenburg und Berlin haben sich es deshalb zur Aufgabe gemacht, das Lernen und Lehren neu zu denken und Impulse für die Neuausrichtung der Arbeitsschutzausbildung zu geben. Die nachfolgenden Lernprinzipien sollen dazu beitragen, zu verstehen, was umsetzbar ist, und herauszufinden, wie (Arbeitsschutz-) Ausbildung verbessert werden kann. Dabei gilt:

bq. Wir müssen nicht gleich so schnell sein wie Usain Bolt über hundert Meter. Es reicht, dass wir überhaupt erst einmal anfangen zu laufen. – Glenn Gonzales

Blended Learning (integriertes Lernen) bezeichnet eine Lernform, bei der die Vorteile von Präsenzveranstaltungen und E-Learning kombiniert werden.

Wir erfinden das Rad nicht neu

Wir nutzen vorhandene erstklassige (Online-) Lernressourcen für standardmäßige Lehrinhalte (z.B. DGUV oder der EU-OSHA). Dadurch werden Zeit und Ressourcen für interaktiven Unterricht, intensive Betreuung auf Einzel- und Gruppenebene sowie auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Anforderungen der Anwärterinnen und Anwärter sowie der Referendarinnen und Referendare (Vorbereitungsdienstleistende) ausgerichtete Workshops und Vorträge frei.

Selbstgesteuertes Lernen

Die zukünftigen Aufsichtsbeamtinnen und Aufsichtsbeamten sind für den Erwerb ihres Wissens eigenverantwortlich. Obwohl es eine Anleitung durch Ausbildende und Unterstützung durch Dozierende gibt, entscheiden die Vorbereitungsdienstleistenden selbst, worauf sie sich beim Lernstoff konzentrieren und in welchem Tempo sie lernen wollen. Wir wollen, dass die Anwärterinnen und Anwärter sowie der Referendarinnen und Referendare laufbahngerecht das Beste aus ihrem Vorbereitungsdienst machen und zu lebenslang Lernenden werden. Deshalb erlauben wir jedem Vorbereitungsdienstleistenden, seine individuelle Lernreise selbst zu gestalten.

Das umgekehrte Klassenzimmer

Die Vorbereitungsdienstleistenden selbstständig mit ausgewählten Lernressourcen und bereiten Fragen vor, die sie mit Hilfe der Ausbildenden und Lernbeauftragten bearbeiten. Die Idee dahinter ist, dass die Vorbereitungsdienstleistenden ihre Zeit effizient mit den Ausbildenden und Lernbeauftragten verbringen, statt passiv durch Vorlesungen zu lernen und sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, bei denen sie tatsächlich Unterstützung benötigen.

Lernen ist praxisorientiert

Die Ausbildung beginnt nicht mit der Theorie und wendet sie später an. Vom ersten Tag an werden die Vorbereitungsdienstleistenden mit praktischen Problemen herausgefordert, die Neugier und Ehrgeiz wecken – und suchen dann nach der Theorie, die sie zu ihrer Lösung brauchen.

Lernen durch Projekte und Fallbeispiele

Die Theorie sollte immer mit Blick auf die Praxis gelehrt werden. Projekte und Fallbeispiele betonen Selbstbestimmung und Selbstorganisation nicht nur auf individueller, sondern auch auf Gruppenebene und bringen die Vorbereitungsdienstleistenden vom ersten Tag an mit der Realität in Kontakt.

Lernen wird in Kompetenz gemessen

Lernen wird nicht in Noten gemessen, sondern in Kompetenz. Die Vorbereitungsdienstleistenden werden von den Ausbildenden bewertet, wozu sie tatsächlich in Bezug auf die erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen fähig sind, nicht, wo sie lernen oder wie viel Zeit sie mit dem Lernen verbracht haben.

Peer-to-Peer-Lernen

Die fortgeschrittenen Vorbereitungsdienstleistenden helfen den Anfängern, z.B. in Form von Tutorien. Dieser Ansatz entlastet die Ausbildenden und Dozierenden und sorgt für die Erschaffung eines unterstützenden Arbeitsumfelds, in der sich alle wohl fühlen zu lernen und zu wachsen.

Lernen ist von Neugierde getrieben

Vorbereitungsdienstleistende sollten auch eigenen Interessen folgen und ihre Nische finden dürfen. Die Lehrenden unterstützen sie und leiten sie dabei an. Dadurch wird die Rolle des Dozierenden reaktiver und konzentriert sich auf die Frage, wie man die Lernerfahrung der Vorbereitungsdienstleistenden am besten unterstützen und verbessern kann.

Die verwendete Technik unterteilt sich in Lernplattform mit verschiedenen Funktionen wie z.B. Wiki, Dateiverwaltung und Kalender und Videokonferenzsystem für Online-Seminare, Gruppenarbeit und gemeinsames Lernen.

Teile dieser Lernprinzipien werden bereits seit einiger Zeit im Ausbildungsverbund der Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen angewendet. Das erfolgt jedoch eher nach dem Zufallsprinzip und ist von den Lehrenden und deren Neigungen abhängig. Maßstäbe für die Qualitätssicherung der Ausbildung in der Arbeitsschutzaufsicht und eine dazugehörende Qualifizierungsstrategie für die Lehrende oder zu- künftige Aufsichtskräfte existieren bisher nicht.

Berlin und Brandenburg haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht in einem ersten Schritt, die theoretische Wissensvermittlung im Ausbildungsverbund zu modernisieren. Neben der Anwendung der vorab genannten Lernprinzipien und -methoden wurde bereits eine rudimentäre Lernplattform für die Vorbereitungs- dienstleistenden eingerichtet. Der erste Schritt ist damit erfolgt und um bei den Worten von Glenn Gonzales zu bleiben „… fangen wir erst einmal an zu laufen“.

Die Lernplattform startete im Oktober 2021 mit einer Terminübersicht der Seminarwochen, den Unterrichtsmaterialien, sowie dem Videokonferenztool BigBlueButton als länderübergreifende Möglichkeit sich untereinander unabhängig vom Ort auszutauschen als Ergänzung zum Präsenzunterricht. In Vorbereitung befindet sich aktuell die Entwicklung von Selbstlernmodulen, die ein Teil des Präsenzunterrichtes langfristig durch Workshops und Projektarbeit bzw. dem „umkehrten Klassenzimmer“ ergänzen sollen.

Kontakt

Referat II E – Arbeitsschutz und technische Sicherheit

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