Engagiert gegen Gewalt am Arbeitsplatz

Eine weibliche Person signalisiert durch offene Handfläche am ausgestrecktem Arm "Halt, beziehungsweise Stop!"

Deutschland hat das Übereinkommen Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt ratifiziert, das wurde am 30.5.2023 im Bundesgesetzblatt verkündet. Gewalt am Arbeitsplatz wird darin definiert als Bandbreite von inakzeptablen Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung. Der Beitritt zu dem Abkommen ist ein deutliches Signal und verschafft diesem wichtigen Thema Aufmerksamkeit.

Gewalt bei der Arbeit ist ein No-Go. Per Gesetz haben alle Beschäftigten Anspruch auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen. Arbeit muss so gestaltet werden, dass Gefährdungen für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit vermieden werden. Verbleibende Risiken und Belastungen sind möglichst gering zu halten. In der Praxis ist Gewalt und Belästigung bei der Arbeit jedoch ein Problem und fordert in Berlin auch die Arbeitsschutzakteure heraus.

Gewalt in Berlins Arbeitswelt – Daten und Fakten

Viele Berliner Beschäftigte sehen sich mit gewaltförmigen Verhalten an ihren Arbeitsplätzen konfrontiert, wie die Beschäftigtenbefragung Gute Arbeit Berlin 2022 zeigt. Diese wurde von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales herausgegeben und liefert repräsentative Ergebnisse zu den Arbeitsbedingungen in der Hauptstadt. Mit über 70 Prozent berichtet ein Großteil der Befragten über Konflikte oder Streitigkeiten mit Kundinnen und Kunden, Klientinnen und Klienten oder Patientinnen und Patienten. Im Bundesvergleich scheinen Berliner Beschäftigte häufiger entsprechende Situationen zu erleben. Außerdem hat etwa die Hälfte der Berliner Befragten angegeben, Respektlosigkeiten am Arbeitsplatz zu begegnen, was knapp ein Drittel als stark oder eher stark belastend empfindet. Der Bericht kann hier heruntergeladen werden:

Auch Gewaltunfälle spielen eine Rolle in Berlins Arbeitswelt. Hier kam es im aktuellsten Berichtsjahr 2021 laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zu insgesamt 790 gemeldeten Arbeitsunfällen, 661 durch betriebsfremde Personen, was etwa 84 Prozent entspricht. Dazu gezählt werden Ereignisse, bei denen Beschäftigte angegriffen, bedroht oder sonst wie gewaltförmig angegangen werden und die zu einer Arbeitsunfähigkeit von vier oder mehr Tagen geführt haben. In Berlin sind 3,6 Prozent der gemeldeten Unfälle Gewaltunfälle, was die höchste Quote aller Bundesländer bedeutet. Dies ist insbesondere auf die Wirtschaftsstruktur und den hohen Grad der Urbanisierung zurückzuführen. Bundesweit waren es im selben Jahr 11.972 solcher Unfälle. Besonders viele Fälle gibt es im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im öffentlichen Personenverkehr.

LAGetSi im Einsatz

Als zuständige Ordnungsbehörde kümmert sich das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) schon seit Jahren auch um das Thema Gewalt am Arbeitsplatz. Ein Beispiel aus der Vollzugspraxis: Der Betriebsrat einer Textil-Einzelhandelsfiliale hatte sich an die Arbeitsschutzbehörde gewandt. Nach einem Überfall fühlten sich die Beschäftigten bei ihrer Arbeit bedroht, auch diejenigen die nicht direkt betroffen waren. Schon zuvor waren Beschäftigte regelmäßig von Kunden beschimpft und beleidigt worden. Zum einen fürchteten sich nun viele davor, nach Arbeitsschluss die Filiale durch den schlecht beleuchteten Personalausgang zu verlassen, und ebenfalls überfallen zu werden. Zum anderen fühlten sich Beschäftigte von aggressiven Kunden bedroht, denen sie nichts entgegenzusetzen hatten, da sie allein in einzelnen Abteilungen der weitläufigen Filiale arbeiten mussten.

Das LAGetSi ging der Beschwerde nach und überprüfte vor Ort die Arbeitsbedingungen mit dem Fokus, wie Überfallanreize reduziert werden könnten. Daraufhin wurden im Austausch mit den Arbeitsschutzverantwortlichen Schutzmaßnahmen nach dem sogenannten STOP-Prinzip (S – Substitution, T – Technische Schutzmaßnahmen, O – Organisatorische Schutzmaßnahmen, P – Persönliche Schutzmaßnahmen) abgeleitet. Die Beschreibung der Maßnahmen erfolgte in der dazugehörigen Gefährdungsbeurteilung. Im Ergebnis wurden insbesondere eine Videoüberwachung und ein Türspion am Personaleingang als technische Schutzmaßnahmen eingeführt. Als organisatorische Maßnahmen wurde der Einsatz von mehr Personal auf den Verkaufsflächen empfohlen, um die Alleinarbeit zu minimieren. Dieser Empfehlung ist der Arbeitgeber mit Verweis auf sein Direktionsrecht bisher noch nicht nachgekommen. Fortan sollen außerdem Security-Mitarbeiter die Beschäftigten vor aggressiven Kunden schützen und nach Arbeitsschluss aus dem Gebäude begleiten. Zudem wurden, als persönliche Schutzmaßnahmen, die Beschäftigten in Kommunikations- und Deeskalationsstrategien geschult. Nach gegebener Zeit werden diese Maßnahmen von dem Arbeitgeber, überwacht vom LAGetSi, auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

Über den konkreten Vollzug hinaus engagiert sich das LAGetSi auch konzeptionell gegen Gewalt am Arbeitsplatz. Ein Busfahrer wird verprügelt, eine Verkäuferin bedroht oder eine Bankangestellte wird Opfer einer Geiselnahme? Solche traumatischen Erlebnisse können in einem Menschen stärkste seelische Erschütterungen auslösen und Gefühle der Hilflosigkeit oder des Entsetzens erzeugen. Beschäftigte, die solche Ereignisse bei ihrer Arbeit erleben müssen und traumatisiert werden, erleiden somit einen Arbeitsunfall. Das LAGetSi hatte bereits 2015 dafür einen Präventionsansatz entwickelt. Er bietet den Arbeitsschutzakteuren in den Betrieben eine Orientierung dafür, welche Maßnahmen einzuleiten sind. Dieser Präventionsleitfaden kann hier heruntergeladen werden:

Schon gewusst?

Gewaltvorfälle müssen vom Arbeitgeber beim jeweiligen Unfallversicherungsträger als Arbeitsunfall gemeldet werden. Betroffene haben Anspruch auf schnelle Hilfe, etwa auf fünf probatorische Sitzungen bei Psychotherapeuten, um eine Traumatisierung zu verhindern. Am besten ist es jedoch, wenn Gewalt am Arbeitsplatz von vorneherein verhindert wird. Die Vermeidung oder Prävention solcher Gefahren am Arbeitsplatz im Blick zu haben, dafür sind insbesondere die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung zuständig. Deren Spitzenverband hat nützliche Informationen zu dem Thema zusammengestellt:

Ein wichtiges Gesetz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, etwa bei sexueller Belästigung oder Gewalt am Arbeitsplatz. Informationen und einen Leitfaden zum Thema „Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ für Beschäftigte, Arbeitgeber und Betriebsräte gibt es auf den Webseiten der Antidiskriminierungsstelle:

Gesundheitliche Folgen aus Arbeitsunfällen wie Raubüberfällen können für Beschäftigte Leistungen nach SGBVII bedeuten – hierzu berät die Berliner Beratungsstelle Berufskrankheiten im sogenannten Anerkennungsverfahren.

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Referat II E – Arbeitsschutz und technische Sicherheit

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