Absturz mit Folgen

Arbeiter*innen bauen ein Gerüst auf in großer Höhe auf einer Baustelle im Freien.

Woran lässt sich die betriebliche Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen ablesen? Die Anzahl der Arbeitsunfälle kann ein möglicher Indikator sein.

Die gute Nachricht ist, dass die Zahl der Arbeitsunfälle in Deutschland über die Jahre aufgrund technischer Verbesserungen und eines organisierteren Arbeitsschutzes signifikant zurückgegangen sind. Die Statistik weist für das Jahr 1991 in ganz Deutschland mehr als 1.800.000 Arbeitsunfälle und für das Jahr 2020 weniger als 800.000 Arbeitsunfälle aus. Ein enormer Rückgang, der noch keine Zufriedenheit erzeugt. Denn auf europäischer Ebene wird bis zum Jahr 2050 die Strategie der sogenannten Vision Zero verfolgt. Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sollen auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Denn jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel. Insbesondere, wenn er tödlich verläuft.

Zur guten Nachricht gehört auch, dass das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi) in Berlin unermüdlich seinen Beitrag dazu leistet, Kontrollen in Betrieben durchzuführen und erforderliche Schutzmaßnahmen anzuregen und durchzusetzen, auch im Hinblick auf die Minderung des Unfallgeschehens. So wird Einfluss auf guten Arbeitsschutz vor Ort genommen und eine Sensibilisierung der Arbeitgebenden, Verantwortlichen und Beschäftigten angestrebt.

Die schlechte Nachricht ist, dass Absturzunfälle nach wie vor eine häufige Ursache für tödliche Arbeitsunfälle oder schwere Verletzungen darstellen (siehe „Schon gewusst“). Passiert in Berlin ein Arbeitsunfall mit schweren Verletzungen oder mit Todesfolge, ermittelt das LAGetSi vor Ort und bewertet aus Sicht des Arbeitsschutzes die Zusammenhänge, die zu dem Unfall geführt haben. So wird auch die Vermeidbarkeit eines Unfalls untersucht.

Aufzugschacht in der Rohbauphase

Aufzugsschacht

Ein konkretes Beispiel aus der Baubranche in Berlin verdeutlicht dieses Geschehen. So sollte ein Umbau eines ehemaligen Betriebes für eine Mischnutzung erfolgen. Zwei Beschäftigte erhielten den Auftrag, während der Rohbauphase in einem nachträglich in das Gebäude eingebauten Aufzugsschacht Abdeckungen für die neuen Führungsschienen des Aufzuges zu demontieren. Dabei sind beide Personen abgestürzt; eine Person wurde schwer verletzt, die zweite Person erlitt nur leichte Verletzungen. Als erste Maßnahme wurden vor Ort die baufortschreitenden Maßnahmen im Aufzugsschacht des betroffenen Treppenhauses gestoppt. Hier wurde vermutet, dass möglicherweise Bretter und Bohlen genutzt wurden, die als Arbeitsebene ungeeignet waren.

Die Auswertung des Unfallereignisses ergab, dass kurzfristig anberaumte andere Tätigkeiten eine ausreichende Arbeitsvorbereitung nicht mehr zuließen.

Ein Aufzugsschacht hat üblicherweise Balkenschuhe. In diese werden Balken eingelegt, darauf werden dann Bohlen quer verlegt. So entsteht eine sichere Arbeitsebene. In diesem Fall passten die vorgefundenen Balken und Bohlen nicht zueinander. Der Arbeitsebene fehlte also die notwendige Tragfähigkeit.

Mit einer Gefährdungsbeurteilung, die auch temporäre, sich wiederholende Tätigkeiten berücksichtigt, könnte in solchen Fällen vor jedem Tätigwerden eine Inaugenscheinnahme der Arbeitsebene schnell durchgeführt werden. Eine Prüfung der Lage der Balken und der Tragfähigkeit der Fläche gehört zur Arbeitsvorbereitung.

Absturz- und Bauwerkssicherungen, ein kritischer Blick auf das Arbeitsumfeld (Stichwort „arbeitstägliche Inaugenscheinnahme“) und das Tragen von persönlicher Schutzausrüstung helfen bei der Vermeidung von Absturzunfällen auf Baustellen ebenso wie das Arbeiten auf geeigneten standsicheren Leitern und der Einsatz von sicheren Gerüsten.

In Folge des beschriebenen Unfalls wurde die Gefährdungsbeurteilung der Tätigkeit durch den Arbeitgeber überarbeitet und aktualisiert. Auf deren Grundlage erfolgten dann die anlassbezogenen Unterweisungen der Beschäftigten.

Einmal mehr zeigt sich die Notwendigkeit einer aktuellen und arbeitsplatz- bzw. tätigkeitsbezogenen Gefährdungsbeurteilung als wichtiges Kernelement modernen Arbeitsschutzes.

Es mag formal klingen, rettet aber Leben. Wenn die vorausgehende Planung einen umfassenden Blick auf erforderliche Arbeitsbereiche, Tätigkeiten und Arbeitsmittel berücksichtigt, kann für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Ort auch kurzfristig eine solide Arbeitsbasis geschaffen werden. An dieser Sicherheit können alle Beteiligten mitwirken. Die Führungskraft bei der Planung der Arbeiten, Vorgesetzte vor Ort, z.B. bei der Reihenfolge und Planung der Tätigkeit im Einzelnen und die Beschäftigten selbst. Denn sind die Beschäftigten regelmäßig und auch situativ für Gefahren und Risiken sensibilisiert, wird im Betriebsalltag eher innegehalten und nach den richtigen Umsetzungen geschaut. Ablenkung, Zeitdruck und „schnelle Lösungen“ im Arbeitsalltag beinhalten das höchste Unfallrisiko.

Hier sind die betrieblichen Verantwortlichen und die betrieblichen Arbeitsschutzexpert*innen besonders gefordert, auch den kurzzeitigen Gefährdungen mit sicheren technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen zu begegnen.

Gelebter Arbeitsschutz rettet Menschen. Achten Sie auf die Arbeitsvorbereitung und Ihre Gefährdungsbeurteilung!

Berlin hat statistisch betrachtet bundesweit eine der geringsten Arbeitsunfallquoten. Mit 17,8 Verunfallten pro 1.000 Vollarbeiter und Jahr wurde der Trend der Vorjahre im Wesentlichen bestätigt, die Unfallzahlen haben sich weiter verringert. Im Berichtsjahr 2020 liegt die bundesweite Unfallquote meldepflichtiger Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter bei durchschnittlich 18,45. Dies ist die niedrigste Arbeitsunfallquote seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Unfallquoten der einzelnen Länder sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht.

Jahre 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Ø 2015-2020
BRD Unfallquote 24,4 24,6 21,16 24,2 21,9 18,45 22,45
Berliner Unfallquote 17,3 18,5 18 18 17,8 17,8 17,9

Quelle: BAuA, Bericht “Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit” – Ein datenbasierter Überblick über den Arbeits- und Gesundheitsschutz in Deutschland

Im Jahr 2020 haben sich in Berlin 38.521 meldepflichtige Arbeitsunfälle ereignet und damit 5.489 weniger als im Vorjahr. Davon waren je vier schwere oder gar tödliche Unfälle. Für das Berichtsjahr 2021 sind in Berlin bisher drei tödliche Arbeitsunfälle gemeldet worden.

Schon gewusst?

Absturzunfälle sind eine sehr häufige Ursache tödlicher Arbeitsunfälle: Von Januar 2009 bis Dezember 2016 meldeten die staatlichen Ämter für Arbeitsschutz in Deutschland 1.499 tödliche Arbeitsunfälle an die BAuA, 423 Unfälle (d.h. rd. 28 %) sind auf Abstürze zurückzuführen. Auf Baustellen sind dabei häufig Stürze durch Bauwerksdächer, durch nicht tragfähige Bauteile wie Lichtbänder oder Dachplatten zu verzeichnen. Leitern und Tritte waren an rd. 14 % der tödlichen Absturzunfälle beteiligt (Quelle: „Tödliche Arbeitsunfälle: Absturzunfälle, BAuA, 2017). Im Übrigen sind auch im privaten Bereich Abstürze Schwerpunkt des Unfallgeschehens: So berichtet die Aktion „Das sichere Haus (DSH) Hamburg“ nach Auswertung der aktuellen Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes des Jahres 2017 von über 9.000 tödlichen Sturzunfällen im Privatbereich durch Ausrutschen, Stolpern oder einen Fall von der Leiter.

Weitere Informationen

Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erstellt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) jährlich einen statistischen Bericht zum Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in Deutschland Handlungshilfen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Informationen der BG Bau, z.B. zur Gefährdungsbeurteilung Strategischer Rahmen der EU zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz (2021-2027) Zur Planung von Baustellen (Merkblatt zur Baustellenverordnung)

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Referat II E – Arbeitsschutz und technische Sicherheit

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