Interview mit Holger Gumz

Eingang zur Dragonale

Holger Gumz lebt seit 1975 in Berlin und seit Mitte der 1980er in Kreuzberg, ist eigentlich Landschaftsplaner, war u.a. im Projektmanagement tätig, hat schon immer eine große Leidenschaft für Musik und alles drumherum. Seit 2015 engagiert er sich in verschiedenen Initiativen auf dem Dragonerareal und ist Gründungsmitglied des neuen Vereins „UpStadt e.V.“, der einen Geschichts- und Lernort auf dem Dragonerareal einrichten möchte. Wir haben ihn gefragt, was ihn bei seinem Engagement bewegt, wie die Idee des Geschichts- und Lernorts entstanden ist und wie hier die nächsten Schritte aussehen.

Hallo Holger, du bist Delegierter des Vernetzungstreffens Rathausblock im Zukunftsrat, du arbeitest in der ZusammenStelle, bist aktiv in der Nachbarschaftsinitiative Dragopolis und seit einiger Zeit in der Initiative Kreativ Haus Kreuzberg, die eine Einrichtung etablieren möchte, in der u.a. Kenntnisse, Räume zum Üben und Technik genutzt und austauscht werden können. Was motiviert dich denn, dich so aktiv für die Entwicklung des Dragonerareals einzusetzen?

Holger Gumz

Angefangen hat alles mit einer Bürgerversammlung zu den Plänen mit dem Dragonerareal im Jahr 2015. Dort haben einige Anwesende festgestellt, dass sie das Gelände gar nicht kannten und haben sich ein paar Tage später hinten auf dem Dorfplatz verabredet, um es gemeinsam kennenzulernen. Und da haben wir gemerkt, dass es ein tolles, verwunschenes Gelände ist, alle waren sehr beeindruckt von diesem besonderen Ort in der Stadt. Und dann haben wir überlegt, dass wir auch andere Menschen dazu animieren wollen das Dragonerareal kennenzulernen. Daraus ist die erste Veranstaltung entstanden: Ein kleines Fest, für das unter anderem das Monopoly-Spiel umgestaltet wurde zu einem „Dragopoly“. Das war der Start für die Nachbarschaftsinitiative Dragopolis: Leute, die davor nicht besonders viel miteinander zu tun hatten, aber die sich für bestimmte Themen interessieren. Bis heute verbindet uns die Kreativität und der Spaß an gemeinsamen Aktionen, nach meiner Meinung weniger ein geschlossenes politisches Weltbild.

Neben der „Dragonale“, einem jährlichen Fest auf dem Dragonerareal, habt ihr in den letzten Jahren viele Veranstaltungen organisiert, die die Revolutionsjahre 1918/1919 thematisieren. Nun wurde ein neuer Verein gegründet, der einen Geschichts- und Lernort auf dem Areal etablieren möchte. Wie ist es dazu gekommen?

Zum Thema „Gedenkort“ gab es schon sehr früh im Verfahren Gespräche. Wir von Dragopolis – zum Teil auch mit Unterstützung von anderen Initiativen und insbesondere vom Gretchen – haben in den letzten Jahren viele Veranstaltungen organisiert, darunter Theaterstücke, Filmvorführungen, Diskussionsveranstaltungen und Lesungen mit Musik zum Todestag der sogenannten „Parlamentäre“, die im Januar 1919 auf dem Hof der damaligen Dragoner-Kaserne ermordet wurden. Insbesondere für die Lesungen haben wir eng mit der Initiative Geschichtsort Januaraufstand zusammengearbeitet, dort gibt es ein fundiertes historisches Wissen. Wir sind ja ansonsten keine „gelernten“ Historiker, uns treibt vor allem die Neugier und die Spannung, die in den Biographien dieser Parlamentäre liegt. Im April 2018 fand dann in Zusammenarbeit mit der AG Geschichte des Ortes ein zeitgeschichtliches Symposium zum Dragonerareal statt. Das war ein wichtiger Meilenstein: Es gab sehr kompetente Gäste und Vortragende und die Beteiligten haben sich schließlich dafür ausgesprochen, nicht nur einen Gedenkort, sondern einen aktiven Geschichts- und Lernort zu etablieren.

Und diese Idee wurde anschließend auch in die Kooperationsvereinbarung für das Modellprojekt aufgenommen…

Ja, im Symposium war ein starkes Thema „Wie kann Erinnerungskultur aussehen?“. Dabei geht es nicht nur um das Gestern, sondern auch um das Heute und die Zukunft. Etwas platt könnte man sagen: Was kann man aus der Geschichte von diesem Ort lernen? Und dabei wurde uns klar, dass der Ort nicht nur regional bedeutsam ist, sondern dass er auch etwas mit der deutschen Geschichte zu tun hat und Verbindungen zu europäischen Aufständen und Bewegungen bestehen. Hinzu kommt das Verständnis, dass die Ermordung der Parlamentäre nach dem Ersten Weltkrieg die ersten politischen Morde waren – noch vor Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und dann zeigte sich im Gespräch mit einem Nachfahren eines getöteten Parlamentärs, dass es einen roten Faden gibt in den Lebensbiographien, der etwas mit Befreiung, beziehungsweise mit einer befreiten solidarischen Gesellschaft zu tun hat. Das gibt unheimlich viel Kraft und Freude, diese Themen weiter voranzutreiben.

Was ist denn bisher konkret passiert zur Vorbereitung eines Geschichts- und Lernortes und wie sehen die nächsten Schritte aus?

Wir waren sehr erfreut, dass der Geschichts- und Lernort in der Kooperationsvereinbarung zwischen den Kooperationspartner*innen festgehalten wurde. Jetzt steht im Prinzip noch die Rahmengebung durch eine Projektvereinbarung an. Andere Vorarbeiten wurden ja bereits durch die Initiativen und auch der AG Geschichte des Ortes gemacht (z.B. das Symposium). Die drei beteiligten initiativen (Nachbarschaftsinitiative Dragopolis, Initiative Geschichtsort Januaraufstand, Initiative Upstall Kreuzberg), aus denen zwischenzeitlich ja UpStadt e.V. gegründet wurde, haben ein Konzept vorgelegt, das auch in die Aufgabenstellung des städtebaulichen Werkstattverfahrens eingeflossen ist. Das Thema ist im Modellprojekt also fest verankert.

Aber einen konkreten Ort gibt es noch nicht, oder?

Der Siegerentwurf des städtebaulichen Werkstattverfahrens schlägt vor, den Geschichts- und Lernort in einem historischen Stallgebäude im Gebäudestrang hinter dem Kiezraum unterzubringen. Das muss in der Kooperation aber noch endgültig besprochen werden. Wir möchten auch ohne festen Ort durch kleinere Aktivitäten präsent bleiben und beispielweise den schrittweisen Aufbau einer Ausstellung in leerstehenden Gebäuden initiieren, sofern das möglich ist. Auch der Kiezraum könnte – wenn er denn hoffentlich bald zugänglich ist – zum Beispiel für Lesungen genutzt werden. Grundsätzlich möchten wir sowieso nicht, dass der Geschichts- und Lernort ein isolierter Ort wird, der sich nur um ein Thema kümmert. Wir Engagierte sind eng in das Modellprojekt Rathausblock eingebunden und uns sind auch andere Themen wie beispielsweise auch das Gewerbe vor Ort wichtig. Außerdem sollte der Ort mit dem Kiez und der Nachbarschaft in Verbindung stehen. Und es sollte auch um Themen gehen, die sich in der „Jetzt-Stadt“ widerspiegeln. Dabei ist es natürlich wichtig sich anzusehen, wo diese ihre Wurzeln haben.

Für den diesjährigen Tag des offenen Denkmals bereitet ihr gemeinsam einen musikalisch-geschichtlichen Spaziergang auf dem Dragonerareal vor. Was habt ihr da genau geplant?

Das machen wir jetzt schon zum dritten Mal. Die Grundidee war, ein interessantes Format zu finden, das diesem spannenden Ort gerecht wird, also kein dröger Geschichtsvortrag, und die Leute auch über die aktuellen Planungen zu informieren. Dabei haben wir immer versucht noch andere Expert*innen aus dem Umfeld einzubeziehen und mit interaktiven Elementen wie einem Puzzle oder einem Quiz zu arbeiten. Jedes Jahr gibt es beim Tag des offenen Denkmals einen anderen Schwerpunkt, an dem wir uns auch orientieren. Dieses Jahr ist es „Denk_mal nachhaltig“. Das Thema Nachhaltigkeit bietet ganz verschiedene Anknüpfungspunkte auf dem Dragonerareal und zum laufenden Verfahren. Zum Beispiel die zukünftige Nutzung von bestehenden Räumen: Man braucht teilweise keine neuen Flächen und man kann viel aus alten Gebäuden retten, das schont Ressourcen. Bei unserem Spaziergang wollen wir eine Brücke schlagen von der Geschichte des Ortes, über die aktuellen Nutzungen bis zur Zukunftsplanung. Mehr will ich nicht verraten, sonst ist ja die Spannung weg. Ach ja, es wird auch wieder eine musikalische Begleitung geben und natürlich findet alles unter Einhaltung der Corona-Verordnungen statt.

Zum Abschluss unseres Gesprächs fragen wir unserer Interviewpartner*innen oft nach ihrer Vision für das Dragonerareal. Wie würdest du deine beschreiben?

Auf dem Dragonerareal sollte ein Stadtquartier entstehen, in dem Menschen wieder enger zusammenkommen, gemeinschaftliche Treffpunkte haben und sich um ihren Kiez kümmern. Dadurch können auch Dinge verhindert werden, die durch Prozesse entstehen, die Leute auseinanderbringen – zum Beispiel durch Entwicklungen am Wohnungsmarkt oder durch Rassismus. Das ist wahrscheinlich ein ziemlich hoher Anspruch, aber das ist eine Utopie, der ich schon seit frühen Aktivitäten z.B. in der Jugendzentrumsbewegung in der „Provinz“ und den Zeiten des Arbeitens in Kollektiven anhänge und für die ich hier wieder eintreten möchte. Zwischenzeitlich war ich mal eine Weile weniger aktiv. In Gruppen, in denen ich war, wurde zum teil sehr dogmatisch geredet und es gab viel zu wenig Freude und Spaß, an dem was man machen wollte. Das ist für mich durch die Initiativen auf dem Dragonerareal und auch durch das Vernetzungstreffen wiedergekommen. Hinzu kommt, dass ich schon so lange hier im Kiez wohne und irgendwann konnte ich nicht mehr nur schimpfen und nörgeln oder nur „hedonistisch“ unterwegs sein – ich wollte mich wieder für etwas einbringen.

Vielen Dank für das Gespräch!