Gespräch mit Angela Laich – Anwohnerin des Dragonerareals

Anwohnerin Angela Laich

Biegt man am Mehringdamm in die Obentrautstraße ab, vorbei an der LPG, gelangt man bald an die Haustür von Angela Laich: Im ersten Stockwerk eines Berliner Altbaus lebt die Bildhauerin seit 1987, inzwischen zusammen mit ihrem Mann. Im Wohnzimmer dominiert eine deckenhohe Palme den Raum, an der Küchenwand hängen Bilder von einem Segelurlaub. Durch das Küchenfenster fällt zur Mittagszeit Sonnenlicht. Draußen: das Dragonerareal. Von hier aus blickt man direkt ins Innere des Sanierungsgebiets, etwas ferner ragt das Kreuzberger Rathaus in den Block. Bald soll sich hier baulich vieles verändern. Neuer Wohnraum und Gewerbe sollen entstehen. Angela Laich ist als Anwohnerin von den Plänen für das Sanierungsgebiet unmittelbar betroffen. Bei russischer Suppe und Brot finden wir ins Gespräch.

Frau Laich, durch ihr Küchenfenster blicken Sie auf das Dragonerareal, das Rathaus ist fünf Gehminuten entfernt. Auch die beliebte Bergmannstraße ist nicht weit von hier. Was ist das für ein Kiez?

Hier im Kiez hat sich in den letzten 30 Jahren vieles verändert. Seinerzeit war der Wohnungsmarkt ganz ähnlich überstrapaziert wie heute, und das Interesse an Kreuzberger Immobilien war aufgrund der Nähe zur Mauer gering. Der Bezirk galt als sozial schwach, die Bestandsgebäude verfielen. Eines gab es aber schon damals, die berühmte Kreuzberger Mischung: Lehrer, Ärzte, Künstler und Subkultur. Dann fiel die Mauer und plötzlich waren die Investoren an Kreuzberg interessiert. Das Haus, in dem ich hier lebe, wurde verkauft und saniert. Die Fenster wurden doppelt verglast, der Kohleofen verschwand. Das hatte natürlich zur Folge, dass die Mieten gestiegen sind: Innerhalb von zehn Jahren um rund 100 Prozent. Und damit begann die Gentrifizierung in Kreuzberg. Viele verloren nach dem Mauerfall ihre Jobs, und durch den Zuzug aus dem Osten war der Arbeitsmarkt plötzlich hart umkämpft. Dann kam Hartz IV, und man hat gefragt, wie viel Raum einem arbeitslosen Menschen eigentlich zusteht. Die Leute wurden gezwungen hier wegzuziehen. Auch das kleine Gewerbe konnte sich die Mieten nicht mehr leisten und verschwand.

Was haben diese Veränderungen für Ihre Nachbarschaft bedeutet?

Was es an nachbarschaftlichen Strukturen gegeben hat, ging durch die erzwungenen Umzüge kaputt. Viele Leute waren gezwungen in die Randgebiete zu ziehen und es kamen andere Menschen. Menschen, die nicht lange bleiben, wohl auch deswegen nicht, weil die Mieten hier inzwischen so hoch sind. Wer einen alten Mietvertrag besitzt, versucht zu bleiben, neue Mieter mit neuen Verträgen kommen und gehen.

Von diesem radikalen Wandel in Kreuzberg ist das Dragonerareal über all die Jahre fast unberührt geblieben.

Auf dem Gelände der ehemaligen Garde-Dragoner-Kaserne wurde immer wieder deutsche Geschichte geschrieben. Wissen Sie, als ich 1987 als Studentin in die Obentrautstraße zog, gab es von der SPD den Plan, hier einen Friedenspark zu errichten. Dieser sollte ein Mahnmal sein an die bewegte Geschichte des Areals. Ich wurde damals sogar gebeten, einen Entwurf einzureichen. Die Idee war, das Gelände zu beleben, Neues zu schaffen, aber vor allem auch: zu begrünen! Und die geschichtsträchtigen Gebäude zu erhalten. Das sollte eben eine richtige Parkanlage werden. Das ganze Vorhaben scheiterte aus finanziellen Gründen.

Jetzt gibt es neue Pläne für das Areal. Aktuell läuft das städtebauliche Werkstattverfahren, das auch Anwohner*innen und die ansässigen Gewerbetreibenden in die Planung mit einbezieht. Wie waren Sie daran bisher beteiligt?

Ich habe mich schon immer für alle Pläne für das Sanierungsgebiet interessiert und auch kritische Punkte eingebracht. Auch als es erste Voruntersuchungen gab, Berlin das Gelände erwarb, und das Werkstattverfahren startete, war ich von Anfang an mit dabei. Leider hatte ich bis vor kurzem den Eindruck, dass meine Kritik und meine Hinweise nicht eingeflossen sind. Deshalb habe ich die Planungsteams zu mir nach Hause eingeladen.

[Anmerkung der Redaktion: Im Zwischenkolloquium wurden Hinweise von Bürger*innen diskutiert, u.a. auch ökologische Aspekte. Die Veranstaltung war nicht öffentlich, das Protokoll ist auf der Seite des städtebaulichen Werkstattverfahrens einsehbar.]

Welche Punkte kritisieren Sie?

Klimawandel und Tier- und Umweltschutz sind die entscheidenden Themen in unserer Zeit. Die Bebauungspläne für das Sanierungsgebiet in ihrer jetzigen Form sehen eine extreme Verdichtung vor. Das geht auf Kosten bestehender Grünflächen und der natürlichen Belüftung des Areals. Zudem wird das historische Pflaster buchstäblich zerstört werden, und die Auswirkungen werden nicht nur positiv sein. Vergangenes Jahr gab es in Deutschland 1.500 Menschen, die an der Hitze gestorben sind. Wie viele Hunderttausend Jungbäume und Tiere im Land Berlin den Hitzewellen zum Opfer fielen, kann man nur ahnen. Wenn ich mir die Pläne für dieses Gelände hier anschaue und wie die Belüftung hier funktioniert, sehe ich große Probleme auf uns zukommen.

Die Bau- und Nutzungsanforderungen für das Dragonerareal und angrenzende Grundstücke sehen die Entwicklung eines ökologisch und energetisch nachhaltigen, klimaresilienten Stadtquartiers vor. Es gibt seit einigen Monaten auch eine Arbeitsgruppe, die sich explizit mit dieser Thematik befasst. Warum glauben Sie trotzdem, dass auf ökologische Themen zu wenig Rücksicht genommen wird?

Denken Sie zum Beispiel an die Kastanienreihen hinterm Finanzamt. Genau diese Schneise ist ein wichtiger Luftkanal, der auf die Temperaturen im Areal großen Einfluss nimmt. Eine Aufforstung könnte zu verbesserten klimatischen Bedingungen auf dem Sanierungsgebiet führen. Mit den geplanten Riegelbauten wird sich die Luftzirkulation meines Erachtens jedoch verschlechtern. Darunter würden dann Menschen, Tiere und Bäume leiden. Außerdem ist bis heute noch nicht erfasst, welche Tiere im Rathausblock leben. Dort drüben gibt es zum Beispiel eine Fuchsfamilie. Auch Fledermäuse und Wildbienen sind hier heimisch: geschützte Arten, die auf der roten Liste stehen. Bevor der Bagger kommt, müssen wir uns überlegen, was mit diesen Tieren passiert. Das ist mir wichtig. Wir teilen diesen Kiez nicht nur mit den Menschen, sondern auch mit den Tieren.

Die AG Ökologie hat sich vor einigen Wochen ein Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung des Sanierungsgebiets gegeben. Wird dort genauer auf das Thema Artenschutz eingegangen?

Nein, weil es hierfür zunächst Gutachten und eine Bestandsaufnahme benötigt. Die AG hat deshalb entschieden, das Umwelt- und Naturschutzamt Kreuzberg aufzufordern, diese Dinge in Auftrag zu geben.

[Hinweis der Redaktion: diese Gutachten werden im Bebauungsplanverfahren einsehbar vorgelegt.]

Welche Beteiligungsmöglichkeiten haben Sie im Verlauf des Modellprojektes bislang wahrgenommen?

Es begann bereits im Jahr 2015 mit den Vorbereitenden Untersuchungen, um städtebauliche Missstände im Rathausblock zu identifizieren und den ersten Präsentationen. Oft war ich aber berufsbedingt verhindert. Außerdem möchte ich mich nicht in das Wirrwarr von Strukturen und Sub-Strukturen des Verfahrens begeben. Diese wirken komplex und sind nicht leicht zu durchschauen, wer welche Rolle in dem Verfahren einnimmt. Ich gehe lieber selbst und unmittelbar auf die Akteure zu, zum Beispiel auf das Bezirksamt.

Fühlen Sie sich mit Ihren Anliegen ernst genommen im Modellprojekt?

Ich habe in den letzten Jahren viel gemacht, geredet, mich eingebracht. Lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass die Anwohner*innen im Prozess vergessen werden. Aber inzwischen fühle ich mich ernstgenommen.

Kürzlich hatten Sie in Ihrer Wohnung Besuch von den Planungsteams. Wie kam es dazu?

Auf meine Einladung hin haben mich die Architekten der Planungsteams hier zu Hause besucht. Ich war auf der letzten Zwischenpräsentation der Entwürfe im BVV-Saal im Rathaus Kreuzberg und habe mich gemeldet und die Architekten in meine Küche geladen.

Und was haben Ihre Gäste zu Ihren Themen gesagt?

Die fanden das sehr interessant, haben Fotos geschossen und sich Notizen gemacht. Wir haben viel miteinander geredet. Ich denke, meine Anliegen sind bei den Planungsteams angekommen.

Das Gespräch führte David Schmidt.