Michael Plötz:
Westliche Friedensbewegungen im Kalkül von SED und MfS: Der Kampf um den NATO-Doppelbeschluss in den frühen 80er Jahren
Nach der Entspannungsperiode der 70er Jahre kam es 1979 zu einem dramatischen Wettersturz in den Ost-West-Beziehungen. Ursache für den Ausbruch dieses “Zweiten Kalten Krieges” war zum einen die sowjetische Expansion in der Dritten Welt, die Ende Dezember 1979 in der Invasion Afghanistans gipfelte, zum anderen eine sowjetische Militärpolitik, die trotz Abrüstungsrhetorik die ganzen 70er Jahre über einseitig militärische Potentiale angehäuft hatte. Aufgrund des nuklearen Patts zwischen den Supermächten war gerade für Westeuropa eine neue Bedrohungslage entstanden. Durch die Stationierung der SS-20-Rakete sorgte Breshnews Politbüro seit 1975 für eine stetige Verschlimmerung des westeuropäischen Sicherheitsdilemmas. Anfang Dezember 1979 fasste die NATO deshalb ihren Doppelbeschluss, der Verhandlungen über eurostrategische Waffen anbot, zugleich aber mit der Aufstellung neuer US-Mittelstreckenraketen drohte, falls es bis Ende 1983 zu keiner befriedigenden
Verhandlungslösung kommen sollte.
Hierauf formierte sich in Westeuropa eine machtvolle Friedensbewegung gegen den Doppelbeschluss. Wie die Dokumente der SED, des MfS und des Friedensrats der DDR belegen, entsprang diese Bewegung keineswegs nur der spontanen Furcht vor dem Atomkrieg. Vielmehr hatten die kommunistischen Einflussapparate bereits 1975 eine “Friedensoffensive” eingeleitet, die die NATO-Staaten zu einseitiger Abrüstung zwingen sollte. Seit etwa 1982 entglitt den Kommunisten jedoch die Kontrolle über die westlichen Friedensbewegungen. Wichtige Leitfiguren wie Petra Kelly oder der Niederländer Mient Faber verbanden den Kampf gegen die Atomwaffen alsbald mit dem Kampf für Menschenrechte; sie bemühten sich um die Zusammenarbeit mit den Dissidenten Osteuropas in einer blockübergreifenden Friedensbewegung. Die SED und ihre Einflussapparate sahen sich deshalb in einen “Zweifrontenkrieg” verwickelt, bei dem sie nicht nur gegen die Militärpolitik der NATO, sondern auch gegen die
so genannten “Spalterkräfte” in der Friedensbewegung kämpften. Die Niederlage, die die Sowjetkommunisten in diesem Kampf erlitten, erweist sich in der Rückschau als Auftakt für die friedlichen Revolutionen des Jahres 1989.
Michael Ploetz, geboren 1967 in Stuttgart. Studium der Geschichte in Tübingen. 1993-1998 Forschungstätigkeit am Kriegsforschungsinstitut des Londoner King’s College, u.a. über die Strategie der Sowjetunion im so genannten Zweiten Kalten Krieg (1979-85). Seit 1999 Mitarbeiter des Forschungsverbunds SED-Staat in Berlin.