§ 8 Zusammenarbeit, Beteiligung, Unterstützung, Normenprüfung
(1) Die öffentlichen Stellen wirken im Rahmen ihrer Aufgaben auf das Erreichen der Ziele dieses Gesetzes hin. Sie arbeiten zur Verwirklichung der Ziele zusammen und unterstützen sich gegen¬seitig.
(2) Die öffentlichen Stellen sind verpflichtet, die Beauftragten für Menschen mit Behinderungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere die erforderlichen Auskünfte zu erteilen sowie erbetene Stellungnahmen abzugeben. Den Beauftragten für Menschen mit Behinderungen ist auf Antrag Einsicht in Akten zu gewähren, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Be¬lange entgegenstehen. Die Beauftragten für Menschen mit Behinde¬rungen dürfen personenbezogene Daten verarbeiten, soweit dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist.
(3) Die öffentlichen Stellen beteiligen Menschen mit Behinderun¬gen über deren Verbände und Organisationen bei allen Entschei¬dungsprozessen, die Menschen mit Behinderungen betreffen. Das Beteiligungsverfahren kann entsprechend § 19 gestaltet werden.
(4) Bei der Erstellung von Gesetzentwürfen und dem Erlass von untergesetzlichen Regelungen sowie im bestehenden Recht ist si¬cherzustellen, dass diese Menschen mit Behinderungen nicht dis-kriminieren oder in ihrem Recht auf gleichberechtigte, volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigen. Zur regel¬mäßigen Durchführung der Normenprüfung werden geeignete Re¬gelungen getroffen.
§ 9 Frauen und Mädchen mit Behinderungen
Die öffentlichen Stellen fördern die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen mit Behinderun¬gen in der Gesellschaft und sind bei der Erfüllung der ihnen über¬tragenen Aufgaben verpflichtet, alle zur Wahrung des § 7 Absatz 1 gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um mehrfacher Diskriminie¬rung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen vorzubeugen und entgegenzuwirken. Hierzu gehören insbesondere:
1. der Schutz vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Miss¬brauch, einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte,
2. Hilfe, Unterstützung und Schutz vor Diskriminierung, wobei je¬weils das Alter, das Geschlecht und die Behinderung der betrof¬fenen Person zu berücksichtigen sind,
3. Sicherung des Zugangs zu den Gesundheits- und Sozialdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, die die unter¬schiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern berücksich¬tigen, und
4. Entwicklung und Sicherung des Zugangs zu Programmen für den sozialen Schutz und der Armutsbekämpfung speziell für Frauen und Mädchen.
Zur Verbesserung der Situation von Frauen und Mädchen mit Be¬hinderungen ist auf die Überwindung bestehender geschlechtsspezi¬fischer Nachteile hinzuwirken.
§ 10 Kinder und Jugendliche mit Behinderungen
Die öffentlichen Stellen sind bei der Erfüllung der ihnen übertra¬genen Aufgaben verpflichtet, alle zur Wahrung des § 7 Absatz 1 ge¬botenen Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern und Jugendlichen alle Rechte genießen können. Insbeson¬dere haben sie dafür Sorge zu tragen,
1. dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen die gleichen Rechte in Bezug auf das Familienleben haben; dafür sind früh¬zeitig Informationen, Dienste und Unterstützung zur Verfügung zu stellen,
2. dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen von ihrem Recht auf Bildung Gebrauch machen können und
3. dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gleichberech¬tigt mit anderen Kindern und Jugendlichen an Spiel-, Erho¬lungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können.
Dabei steht das Wohl des Kindes oder der oder des Jugendlichen im Mittelpunkt. Die freie Meinungsäußerung von Kindern und Jugend¬lichen mit Behinderungen ist in allen sie berührenden Angelegen¬heiten zu gewährleisten. Ihre Meinung wird angemessen und ent¬sprechend ihrem Alter und ihrer Reife berücksichtigt.
§ 11 Teilhabe in allen Lebensbereichen
(1) Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebens¬führung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermög¬lichen, sind öffentliche Stellen im Rahmen ihrer Zuständigkeit und nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften verpflichtet, ge¬eignete Maßnahmen mit dem Ziel zu treffen, für Menschen mit Be¬hinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Um¬welt, zu Beförderungsmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, zu ge¬währleisten.
(2) Bauliche Anlagen, öffentliche Wege, Plätze, Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr sowie sonstige Anlagen im Sinne von § 4 sind nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften oder der Regelungen des Nahverkehrsplans und den mit Verkehrsunterneh¬men abgeschlossenen öffentlichen Dienstleistungsaufträgen im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parla¬ments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Perso¬nenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) 1191/69 und (EWG) 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) barrierefrei zu gestalten, soweit andere öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen sind bei der Planung, Ausgestal¬tung und Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur, der Fahrzeuge sowie des sonstigen Angebots des öffentlichen Personennahverkehrs zu beachten.
(3) Öffentlich zugängliche Bestandsbauten der öffentlichen Stel¬len sollen mittelfristig barrierefrei umgestaltet werden, soweit dies bautechnisch und unter Ausschöpfung verfügbarer Mittel möglich ist. Die Senatsverwaltungen erstellen bis zum 1. Januar 2024 und die übrigen öffentlichen Stellen erstellen bis zum 1. Januar 2026 Be¬richte über den Stand der Barrierefreiheit dieser Bestandsbauten. Beruhend auf den Berichten nach Satz 2 erstellen die öffentlichen Stellen verbindliche und überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum Abbau der Barrieren in den Bestandsbauten. In Belangen desöffentlichen Personennahverkehrs gehen die Regelungen des Nah¬verkehrsplans und mit Verkehrsunternehmen abgeschlossener öf¬fentlicher Dienstleistungsaufträge im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 sowie die Regelungen des Personenbeförderungsge¬setzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16. April
2021 (BGBl. I S. 822) geändert worden ist, und des Berli¬ner Mobilitätsgesetzes vom 5. Juli 2018 (GVBl. S. 464), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 27. September 2021 (GVBl. S. 1117) geändert worden ist, in den jeweils geltenden Fassungen vor.
(4) Die öffentlichen Stellen sind unbeschadet anderweitiger ge¬setzlicher Bestimmungen verpflichtet, gegenüber Dritten, die nicht dem Geltungsbereich dieses Gesetzes unterfallen, auf den Abbau und die Beseitigung bestehender Barrieren und Benachteiligungen hinzuwirken.
(5) Gewähren öffentliche Stellen Zuwendungen nach § 23 der Landeshaushaltsordnung vom 30. Januar 2009 (GVBl. S. 31, S. 486), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 17. Dezember 2020 (GVBl. S. 1482) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung als institutionelle Förderungen, so sollen sie durch Neben¬bestimmungen zum Zuwendungsbescheid oder vertragliche Verein¬barung darauf hinwirken, dass die institutionellen Zuwendungsemp¬fänger die Grundzüge dieses Gesetzes berücksichtigen.
§ 12 Sicherung der Mobilität
Für Menschen mit Behinderungen, die auf Grund besonderer Um¬stände das Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs für Fahr¬ten zur sozialen Teilhabe nicht nutzen können, werden mit dem Ziel einer möglichst gleichwertigen Mobilität nach Maßgabe des Haus¬haltsgesetzes angemessene individuelle Beförderungsangebote zur Überwindung von Barrieren oder anderen Nutzungseinschränkungen entwickelt und barrierefreie Mobilitätsalternativen, einschließlich eines besonderen Fahrdienstes vorgehalten. Der besondere Fahr¬dienst ist insoweit kein Angebot des öffentlichen Personenverkehrs im Sinne von § 228 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), das zuletzt durch Artikel 43 des Gesetzes vom 20. August 2021 (BGBl. I S. 3932) geändert wor¬den ist, in der jeweils geltenden Fassung. In Bezug auf den besonde¬ren Fahrdienst als barrierefreie Mobilitätsalternative regelt die für Soziales zuständige Senatsverwaltung das Nähere über die
Berechtigungskriterien, die Eigenbeteiligung der Nutzerinnen und Nutzer, die Beförderungsmittel und das Beförderungsgebiet durch Rechtsverordnung.
§ 13 Kommunikationsformen
(1) Die Deutsche Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache anerkannt. Lautsprachbegleitende Gebärden sind eine gleichberech¬tigte Kommunikationsform der deutschen Sprache.
(2) Hörbehinderte Menschen (gehörlose, ertaubte, schwerhörige, taubblinde und hörsehbehinderte Menschen) und sprachbehinderte Menschen haben zur Wahrnehmung eigener Rechte das Recht, mit öffentlichen Stellen in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprach¬begleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunika¬tionshilfen zu kommunizieren. Die öffentlichen Stellen haben die Berechtigten darauf hinzuweisen und dafür auf Wunsch der Berech¬tigten im notwendigen Umfang die Übersetzung durch Gebärden¬sprachdolmetscherinnen oder Gebärdensprachdolmetscher oder die Verständigung mit anderen geeigneten Kommunikationshilfen sicherzustellen und die notwendigen Aufwendungen zu tragen. §§ 2, 3, 4 Absatz 1 und § 5 der Kommunikationshilfenverordnung vom 17. Juli 2002 (BGBl. I S. 2650), die zuletzt durch Artikel 12 Ab¬satz 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3229) ge¬ändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung finden entspre¬chende Anwendung.
(3) Eltern und andere Personensorgeberechtigte mit Behinderun¬gen, insbesondere gehörlose, hörbehinderte und sprachbehinderte Eltern und andere Personensorgeberechtigte, haben einen Anspruch auf barrierefreie Kommunikation mit Schulen sowie Kindertages¬einrichtungen und Kindertagespflegestellen in Deutscher Gebärden¬sprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere ge¬eignete Kommunikationshilfen, soweit dies zur Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen der elterlichen Sorge nach § 1626 des Bürger¬lichen Gesetzbuches erforderlich ist. Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere über die Verwendung der Deutschen Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen für die Kommunikation mit Schulen sowie Kindertageseinrichtun¬gen und Kindertagespflegestellen zu regeln.
(4) Die öffentlichen Stellen wirken darauf hin, dass für Menschen mit intellektuellen Einschränkungen geeignete Kommunikations¬hilfen zur Verfügung gestellt werden.
§ 14 Gestaltung von Schriftstücken
Öffentliche Stellen haben bei der Gestaltung von Bescheiden, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen und Vordrucken eine Behinderung von Menschen zu berücksichtigen. Insbesondere haben blinde und sehbehinderte Menschen Anspruch darauf, dass ihnen sämtliche Anträge zur Niederschrift abgenommen werden und Bescheide, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke nach Maßgabe der entsprechend anzuwendenden §§ 1 bis 5 und § 6 Absatz 1 und 3 der Verordnung über barrierefreie Dokumente in der Bundesverwaltung vom 17. Juli 2002 (BGBl. I S. 2652), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 25. November 2016 (BGBl. I S. 2659) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung ohne zusätzliche Kosten in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren erforderlich ist. Vorschriften über Form, Be¬kanntmachung und Zustellung von Verwaltungsakten bleiben unbe¬rührt. Werden
Dokumente auf elektronischem Wege zugänglich ge-macht, sind die Anforderungen des Barrierefreie-IKT-Gesetzes Berlin zu berücksichtigen.
§ 15 Leichte Sprache
(1) Öffentliche Stellen sollen mit Menschen mit Behinderungen in einfacher und verständlicher Sprache kommunizieren. Auf Verlan¬gen haben sie ihnen insbesondere Bescheide, Allgemeinverfügun-gen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke in einfacher und verständlicher Weise zu erläutern.
(2) Ist die Erläuterung nach Absatz 1 nicht ausreichend, haben die öffentlichen Stellen auf Verlangen Menschen mit Behinderungen Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke in Leichter Sprache zu erläutern.
(3) Öffentliche Stellen sollen Informationen vermehrt in Leichter Sprache bereitstellen.