Offener Brief - Rechte von Menschen mit Behinderungen bei Nachfolgeangeboten für das 9-Euro-Ticket gewährleisten
Sehr geehrte Frau Senatorin Jarasch,
derzeit verhandelt das Land Berlin mit dem Bund und den anderen Ländern über eine Anschlusslösung für das 9-Euro-Tickets, welches von Juni bis August 2022 gegolten hat. Eine Einigung ist für den 12. Oktober 2022, dem Termin der Verkehrsministerkonferenz, angekündigt. Mit dem vergünstigten Abo für 29 Euro im Tarifbereich AB bietet der Senat in Berlin bereits jetzt eine Übergangslösung an.
Ich begrüße diese Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV, fordere aber zugleich einen damit einhergehenden schnelleren Ausbau der barrierefreien Infrastruktur. Es muss sichergestellt werden, dass ein erhöhtes Fahrgastaufkommen keine negativen Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen hat. Bis dieses Ziel erreicht ist, müssen angemessene Vorkehrungen getroffen werden, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an Mobilität zu gewährleisten.
Zuletzt gab es immer wieder Berichte über Probleme, die durch das 9-Euro-Ticket für Menschen mit Behinderungen entstanden sind. Betroffene wandten sich auch an mich als Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen. Ein erhöhtes Fahrgastaufkommen bedeutet nicht nur, dass der Ein- und Ausstieg erschwert wird, sondern auch, dass Sitzplätze nicht in gleichem Umfang zur Verfügung stehen, Wege nicht mehr frei sind und insbesondere bei der Nutzung radgebundener Hilfsmittel kaum Platz verfügbar ist. Auch Aufzüge sind dadurch häufiger frequentiert und es muss deutlich mehr Zeit eingeplant werden. Zudem waren die Aufzüge infolge der Überbeanspruchung häufiger defekt. Vor allem Fahrgäste, die aufgrund von Behinderung, Kinderwagen oder schwerem Gepäck nicht wie andere auf die Treppen ausweichen konnten, waren die Leidtragenden.
Für eine Anschlusslösung und ein bundesweit geltendes kostengünstiges ÖPNV-Ticket müssen daher Maßnahmen ergriffen werden, damit die ohnehin schon durch Barrieren beeinträchtigte Mobilität von Menschen mit Behinderungen nicht zusätzlich erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird. Das bedeutet in erster Linie einen Ausbau der barrierefreien Infrastruktur, die Erhöhung der Taktung sowie mehr Personal. Da dies eher mittel- bis langfristig umsetzbar ist, schlagen wir vor, mit Verweis auf § 5 „Angemessene Vorkehrungen“ und § 11 „Teilhabe in allen Lebensbereichen“ des Landesgleichberechtigungsgesetzes (LGBG), übergangsweise die folgenden Vorkehrungen zu treffen:
- Vorrang für Reisende mit Behinderungen (bspw. bestimmte Wagen / Bereiche, Aufzüge, Wartebereiche an Bahnsteigen …) einschließlich akustischer sowie visueller Kennzeichnung
- Kampagne zur Bewusstseinsbildung
- Schulungen von Personal zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen und zum Handeln bei hohem Fahrgastaufkommen
- Personelle Aufstockung und qualitative Verbesserung von Begleitdiensten (Mobilitätsservicezentrale, VBB-Begleitdienst, …)
- Kontrolle o.g. Regelungen und ggf. Möglichkeit zur Sanktionierung von Fehlverhalten
- Niedrigschwellig zugänglicher Service / Beschwerdemanagement für Menschen mit Behinderungen
- Monitoring und Evaluation zur Beurteilung der Wirksamkeit
Im Sinne des Partizipationsgebots von UN-BRK und LGBG sollten die Maßnahmen gemeinsam mit den Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen erarbeitet werden.
Anders als bei anderen Verkehrsverbünden besteht durch die Beförderungsbedingungen des VBB überdies keine Möglichkeit, im Regionalverkehr des VBB auf die 1. Klasse auszuweichen und die Fahrtberechtigung auf Basis des Beiblatts zum Schwerbehindertenausweis durch Erwerb eines Zuschlags aufzustocken. Dies sollte dringend ebenfalls korrigiert werden.
Ich bitte Sie, sich für das Thema sowohl bei den Verhandlungen mit Bund und Ländern einzusetzen als auch auf Landesebene bereits die Erarbeitung eines Maßnahmenpakets in die Wege zu leiten, damit der Ausbau des ÖPNV wirklich der Mobilität von allen Menschen zugutekommt.
Für ein Gespräch stehe ich gerne zur Verfügung.
Fußzeile:
Vgl. z.B. Spiegel Online vom 02.09.2022, URL:
https://www.spiegel.de/auto/9-euro-ticket-und-behinderte-warum-das-ende-des-billigfahrscheins-auch-sein-gutes-hat-a-f72e581d-9bdf-4401-a389-677c41fe61f8 sowie Bayrischer Rundfunk vom 10.06.2022, URL: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/9-euro-ticket-probleme-fuer-menschen-mit-behinderung,T8LQDgq
Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung
Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen
- Tel.: (030) 9028-2918
- Fax: (030) 9028-3128
- E-Mail E-Mail an die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen