Kieler Eck – Von der Führungsstelle zur Gedenkstätte
Umstellt und überragt von Wohnungsbauten der 1990er Jahre liegt am Spandauer Schifffahrtskanal der Wachturm der ehemaligen Führungsstelle Kieler Eck. Als Zeugnis für die innerstädtische Grenze erzählt er zugleich von ihrem Fall und verweist auf den hohen Verwertungsdruck sowie die Neunutzung der Mauergrundstücke. Die nach der Wende in unmittelbarer Nachbarschaft entstandenen Neubauten verstellen den Blick zwischen dem Wachturm und den Resten des Grenzsystems, dessen Sicherung er diente, wie der südlich auf dem Invalidenfriedhof erhaltenen Hinterlandsicherungsmauer.
Von den ehemals 302 Wach- und Beobachtungstürmen entlang des 155 Kilometer langen Grenzstreifens um West-Berlin sind heute auf Berliner Gebiet nur noch drei erhalten: die in Funktion und Bauweise vergleichbaren Führungsstellen am Kieler Eck und am Schlesischen Busch in Treptow sowie der Rundblickbeobachtungsturm an der Erna-Berger-Straße in der Nähe des Leipziger Platzes. Führungsstellen dienten der Leitung und Kontrolle der umliegenden Wachtürme sowie der Überwachung größerer Geländeabschnitte. Hier ging der Alarm ein, den die seit 1967 aufgestellten Signalzäune bei Berührung auslösten, zudem waren hier die bei Grenzdurchbrüchen ausrückenden Alarmgruppen der NVA-Grenztruppen stationiert.
Die Wachtürme des Typs „Führungsstelle“ sind ab 1963 nachweisbar und nach Aussage von ehemaligen Angehörigen der DDR-Grenztruppen den Wachtürmen an der sowjetisch-chinesischen Grenze entlehnt. Auf einer Grundfläche von 4,2 × 4,2 Metern erheben sich vier aus Betonfertigteilen gebildete Geschosse, deren unterstes als Keller halb in der Erde versenkt ist und zur Aufnahme der technischen Einrichtungen wie Wasser- und Elektrizitätsanschlüssen sowie der Telefonverbindungen zu den Beobachtungstürmen diente. Im Erdgeschoss befanden sich Toilette und Arrestzelle, im ersten Obergeschoss der Aufenthaltsraum für den kommandierenden Offizier und die Freiwache und im zweiten Obergeschoss der eigentliche Beobachtungsstand mit breiten, bandartigen Fenstern aus Drahtglas. Die Geschosse sind untereinander mit Falltüren und steilen Treppen aus Eisenrosten verbunden. Auf der begehbaren Dachplattform befand sich ein Suchscheinwerfer, der auch vom Beobachtungsgeschoss bedient werden konnte. Die mit Eisenklappen verschließbaren Schießscharten im mittleren Geschoss zur Rundumverteidigung gehen vermutlich auf das sowjetische Vorbild zurück. Der in einem guten baulichen Zustand erhaltene Wachturm der Führungsstelle Kieler Eck steht seit 1995 unter Denkmalschutz. Die Wachtürme dieses Typs sind markanter Ausdruck des Ausbaus der innerdeutschen Grenze zu einem ständig “perfektionierten” und nahezu undurchdringlichen Todesstreifen.
Seit August 2003 beheimatet der Wachturm eine Gedenkstätte für den ersten erschossenen Flüchtling an der Berliner Mauer: Der 24-jährige Maßschneider Günter Litfin wurde bereits am 24. August 1961 – elf Tage nach Beginn des Mauerbaus – beim Versuch, West-Berlin schwimmend zu erreichen, im Humboldt-Hafen von Angehörigen der DDR-Transportpolizei erschossen.