Nördlich der Oberbaumbrücke im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain liegt der längste erhaltene Abschnitt der Berliner Mauer. Das 1,3 Kilometer lange Mauerstück entlang der Mühlenstraße wurde im Frühjahr 1990 von Künstlerinnen und Künstlern aus 21 Ländern mit 106 großformatigen Wandbildern bemalt. Zu den bekanntesten Motiven gehören der die Mauer durchbrechende Trabbi “Test the best” von Birgit Kinder, der Bruderkuss von Honecker und Breshnev und “Mein Gott hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben” vom russischen Künstler Dmitri Wrubel. Im September 1990 wurde das Bilderensemble als East Side Gallery offiziell eröffnet und ist seither ein international bekannter Besuchermagnet. Die ursprüngliche Planung, die Bilder mitsamt der Mauer als Ausstellung durch die ganze Welt zu schicken und anschließend zu versteigern, scheiterte. An seinem ursprünglichen Ort verblieben, steht das Gesamtkunstwerk seit November 1991 unter Denkmalschutz. Die East Side Gallery ist Sinnbild für die Teilung der Stadt geworden. Nirgendwo sonst ist heute noch auf ähnlich eindrucksvolle Weise sinnlich fassbar, welche Dimensionen der “Eiserne Vorhang” hatte, der Stadt und Land teilte. Darüber hinaus sind die Malereien der East Side Gallery, die in vielfältiger Form die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit thematisieren, ein Ausdruck der Freude über die Überwindung der Funktion dieses Bauwerks.
Die Spree lag hier in ganzer Breite auf Ost-Berliner Territorium und die Sektorengrenze verlief am Kreuzberger Ufer. Im Gegensatz zum üblichen Aufbau der Grenzanlage mit Grenzmauer, Todesstreifen und Hinterlandsicherungsmauer bestand dieser Grenzabschnitt nur aus Hinterlandsicherungsmauer und Sicherungszäunen. Die Grenzmauer gen Westen wurden nicht errichtet; die Spree übernahm die Funktion des Grenzstreifens und der Grenzmauer. Die Grenztruppen überwachten mit Patrouillenbooten diesen Abschnitt. Die sich entlang des Friedrichshainer Ufers erstreckende Mauer, die als East Side Gallery bekannt wurde, ist Teil der ehemaligen Hinterlandsicherungsmauer. Aufgrund der topographischen Lage am Flussufer und der exponierten Lage an der “Protokollstrecke”, die ausländische Staatsgäste auf ihrem Weg vom Flughafen Schönefeld ins Stadtzentrum entlang fuhren, wurde hier nicht die sonst übliche Konstruktionsweise für die Hinterlandsicherungsmauer – mehrere übereinander geschichtete Betonplatten zwischen Doppel-T-Trägern – eingesetzt, sondern die glatten Elemente der “Grenzmauer 75“, die einen gefälligeren Eindruck machen sollten.
Unmittelbar nordwestlich der East Side Gallery schließt ein denkmalgeschützter Rest Hinterlandsicherungsmauer aus den sechziger Jahren an. Diese Hinterlandsicherungsmauer besteht aus einer vor dem Mauerbau bereits existierenden Ziegelmauer des benachbarten Industriegeländes, die zu Grenzsicherungszwecken mit Hohlblocksteinen aufgemauert wurde. Die direkte Nachbarschaft der grob zusammengesetzten Mauer und der in den achtziger Jahren zu Repräsentationszwecken als Hinterlandsicherungsmauer aufgestellten glatten, einheitlichen “Grenzmauer 75” der East Side Gallery dokumentiert die Bemühung der DDR, die Grenze nach Westen und an öffentlichkeitswirksamen Orten in Ost-Berlin sauber und ordentlich, in gewisser Weise “harmlos” zu präsentieren.
Bereits nach kurzer Zeit benötigten die 1990 entstandenen Malereien der East Side Gallery restauratorische Maßnahmen: Ohne Grundierung und mit wenig haltbaren Farben auf den Beton gemalt, sind sie u.a. von Regen, Schmutz und Sonneneinstrahlung beschädigt, teils übersprüht oder übermalt. Für die Bilder “Vaterland” (Günther Schäfer) und “Sieben Stufen der Erleuchtung” (Narendra K. Jain) und die Mauersegmente, auf denen sie sich befinden, wurden im Sommer 2000 erfolgreich Muster-Restaurierungen durchgeführt. 2009 wurde schließlich der gesamte Mauerabschnitt der East Side Gallery saniert. Um die Mauer selbst baulich instand setzen und den langfristigen Erhalt des Denkmals sichern zu können, mussten die historischen Originalfassungen der Mauerbilder aufgegeben werden. Glücklicherweise konnte ein Großteil der internationalen Künstlerinnen und Künstler der East Side Gallery nach Beendigung der Maßnahmen dafür gewonnen werden, ihre Wandbilder erneut zu gestalten. Seitdem wird die East Side Gallery regelmäßig restauriert und von Graffitis und Tags gereinigt.
Seit 2008 befindet sich auf der Fläche zwischen Spree und East Side Gallery der East-Side-Park, mit dessen Gestaltung die Landschaftsarchitekten Häfner/Jimenez nach Gewinn eines Gestaltungswettbewerbs beauftragt wurden. Die Neugestaltung zur 1,6 Hektar großen Rasenfläche nimmt zwar Bezüge zur Geschichte des Ortes auf, zog aber dennoch eine unmittelbare Umdeutung der ehemaligen innerdeutschen Grenze nach sich: Die Wege, auf denen einst die Grenztruppen der DDR ihren Dienst taten, sind heute Flaniermeile am Wasser.