Das Strahlenschutzrecht hat die Aufgabe den Menschen und in diesem Zusammenhang auch die Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen ionisierender Strahlung zu schützen. Zu diesem Zweck gibt es eine Vielzahl von strahlenschutzrechtlichen Regelungen
im gesetzlichen und untergesetzlichen Regelwerk, die eine verantwortungsvolle und gerechtfertigte Anwendung ionisierender Strahlung
in der Medizin, Industrie, Forschung und Lehre nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft, Technik und Medizin sicherstellen sollen.
Durch das Aufsichtsprogramm soll es eine klare Regelung für die risikoorientierte Überwachung der Tätigkeiten mit ionisierender Strahlung geben, die vorhandenen Ressourcen der Aufsichtsbehörden effektiv eingesetzt werden und die Erkenntnisse zu einer kontinuierlichen Verbesserung des Strahlenschutzes beitragen.
Bevor im Folgenden auf die bisherigen Erfahrungen mit dem Aufsichtsprogramm eingegangen wird,
sollen zunächst die rechtlichen Grundlagen dargestellt werden.
Artikel 104 der Richtlinie 2013/59/EURATOM fordert, dass die Mitgliedstaaten u. a. durch Inspektionen sicherstellen,
dass die Exposition im Zusammenhang mit der Anwendung ionisierender Strahlung so niedrig wie möglich gehalten wird,
um Menschen vor der schädigenden Wirkung ionisierender Strahlung zu schützen.
§ 180 des Strahlenschutzgesetzes bezieht sich auf die Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht. In § 149 und Anlage 16
der StrlSchV erfolgt die Konkretisierung, in dieser Rechtsvorschrift werden die Randbedingungen für die Durchführung
des Aufsichtsprogrammes festgelegt.
Mit der im März 2022 veröffentlichten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufsichtsprogramm nach § 180 des Strahlenschutzgesetzes und § 149 der Strahlenschutzverordnung (AVV Aufsichtsprogramm) wird der Rahmen für einen einheitlichen Vollzug des Aufsichtsprogrammes hinsichtlich der Besichtigungsintervalle und Risikobeurteilung für die zuständigen Behörden bestimmt.
Die Vorgaben der Strahlenschutzverordnung und der Ausführungsvorschrift bilden somit die Grundlage für das im LAGetSi erstellte Konzept für die Umsetzung des Aufsichtsprogrammes.
Im Kern werden Tätigkeiten aus geplanten Expositionssituationen den risikoorientierten Kategorien I bis III zugeordnet
und dadurch die Regelintervalle von 2 bis 6 Jahren für die Durchführung von Vor-Ort-Kontrollen festgelegt. Die zeitlichen Intervalle
der Kategorie IV und V zugeordneten Tätigkeiten können aufgrund des geringen Expositionsrisikos von den Behörden selbst bestimmt werden. Zur Festlegung der Besichtigungsintervalle für die Kategorien IV und V werden neben dem Expositionsrisiko auch Erfahrungen aus vergangenen Aufsichtsprogrammen, wie z. B. dem DVT-Programm aus dem Jahr 2017 und Mängelfeststellungen herangezogen.
Vor der praktischen Umsetzung mussten die inhaltlichen und formalen Grundlagen erarbeitet werden. Hierzu wurden behördliche Schreiben entwickelt, wie bspw. Ankündigungen zu geplanten Besichtigungen, Vermerke und Revisionsschreiben.
Weiterhin wurden die Prüftiefe und der Umfang definiert, um Doppelabfragen bereits vorhandener Stellen wie z.B. durch Sachverständige oder qualitätssichernde Stellen zu vermeiden. Zudem sollten erkannte Mängel regelmäßig ausgewertet, weiterverfolgt und auf Beseitigung geprüft werden. Zu jeder Vor-Ort-Begehung zählt außerdem eine zielgerichtete Vor- sowie Nachbereitung.
Der Ablauf einer Vor-Ort-Besichtigung sollte grundsätzlich immer gleich erfolgen und beinhaltet zunächst eine Prüfung
der Strahlenschutzdokumentation, eine anschließende Begehung der relevanten Strahlenschutzbereiche sowie eine abschließende Auswertung der Feststellungen sowie die Abstimmung eines Vorgehens zur Mängelbeseitigung.
Unabhängig davon wird durch die Aufsichtsperson stets das Erfordernis von Maßnahmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht
(Bußgeld, Verwarnung) und Verwaltungsrecht (Anordnung) geprüft.
Um das Aufsichtsprogramm nach § 180 StrlSchG stufenweise umzusetzen, konzentrierte sich das vom LAGetSi erarbeitete Aufsichtskonzept zunächst auf die höchste Kategorie im Zusammenhang mit dem Umgang mit radioaktiven Stoffen (Kategorie I)
und berücksichtigte darüber hinaus auch Tätigkeiten aus der Kategorie II, welche sich durch eine hohe Anzahl an Einrichtungen bzw. potentiell exponierten Personen auszeichnen. In den Jahren 2022 und 2023 wurden auf dieser Grundlage Besichtigungen in den Bereichen nuklearmedizinische Therapie (Kategorie I) und nuklearmedizinische Diagnostik (Kategorie II), sowie der zerstörungsfreien Wertstoffprüfung (Gammaradiographie, Kategorie I) durchgeführt.
Das LAGetSi konnte folgende Mängelschwerpunkte feststellen:
Im Bereich Gammaradiographie (Kat I), (Werkstoffprüfung) bezogen sich diese z.B. auf die unzureichende Dokumentation
der arbeitstäglichen Personendosis, sowie auf die mangelhafte Umsetzung der gestiegenen Anforderungen im Bereich der Sicherung hochradioaktiver Stoffe (HRQ), über den Mindestschutz nach DIN 25422 hinaus.
Für den ortsfesten, ortsveränderlichen Umgang sowie die Beförderung von hochradioaktiven Stoffen gelten strengere Anforderungen
an die Sicherung, da hochradioaktive Stoffe durch ihre deterministische Strahlenwirkung ein erhöhtes Risiko darstellen und daher spezifische Sicherheitsmaßnahmen erforderlich sind, um unbefugten Zugriff, Diebstahl oder Missbrauch (z.B. Freisetzung) zu verhindern.
Bei diesen Mängelschwerpunkten konnte die Nachverfolgung über laufende Genehmigungsverfahren abgewickelt werden.
Bei den Begehungen im Bereich nuklearmedizinische Therapie (Kat I) und Diagnostik (Kat II) wurden Defizite in der schriftlichen Dokumentation festgestellt:
Die Forderung nach § 72 StrlSchV wurde zum Teil nicht erfüllt. Hiernach ist der Strahlenschutzverantwortliche verpflichtet,
innerhalb von sechs Monaten nach Beginn einer Tätigkeit, prüfen zu lassen, ob die Festlegung von Dosisrichtwerten für beruflich strahlenexponierten Personen (insb. Kategorie A) zur Optimierung des Strahlenschutzes geeignet ist; vor allem wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Sowohl die Ergebnisse der Prüfung als auch die Festlegung der Dosisrichtwerte müssen aufgezeichnet werden.
Weiterhin war die Kennzeichnung von Strahlenschutzbereichen (z.B. Feuerwehrgefahrengruppe) teilweise unzureichend;
es fielen außerdem beschädigte Oberflächen, wie bspw. der Fußbodenbelag im Kontrollbereich auf, was ein Problem der Dekontamination darstellt. Weitere festgestellte Mängel umfassten den Umgang mit radioaktiven Abfällen (ungeeignete Behälter,
kein aktuelles Konzept) oder unzureichende Dekontaminationsmöglichkeiten (keine berührungslose Armatur, fehlende Handbrause).
Im nuklearmedizinischen Therapie- und Diagnostikbereich wurden jedoch keine bußgeldrelevanten Verstöße festgestellt,
sodass die Nachverfolgung seitens des LAGetSi durch Revisionsschreiben verhältnismäßig war.
Im Jahr 2023 wurde das begonnene Aufsichtskonzept auf die Besichtigung von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung
am Menschen erweitert (medizinische Beschleuniger in der Strahlentherapie, Kat I). Der inhaltliche Schwerpunkt wurde hier zunächst
auf die innerbetriebliche Durchführung der Qualitätssicherung und Organisation gelegt. Darunter ist zu verstehen, dass die technischen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen für den ordnungsgemäßen Betrieb im Fokus der Besichtigungen standen.
Die durchgeführten Prüfungen lassen den Schluss zu, dass die innerbetriebliche Qualitätssicherung als gut zu beurteilen ist.
Kleinere Mängel wurden hier bei der Dokumentation der Tätigkeit der MedizinphysikerInnen festgestellt.
Die Personalsituation lässt sich insgesamt als angespannt beschreiben. Der Nachweis der Mindestanforderungen an die erforderliche Anzahl an ÄrztInnen, MedizinphysikerInnen und Personal für die technische Durchführung wurde erbracht, lässt aber kaum Spielraum
bei Personalengpässen zu. Ein ähnliches Bild der Personalsituation zeichnet sich im Bereich der nuklearmedizinischen Therapie ab –
hier fehlen insbesondere fachkundige MedizinphysikexpertInnen.
Das vom LAGetSi erarbeitete Aufsichtskonzept soll durch kontinuierliche Erweiterung und unter Berücksichtigung des AVV Aufsichtsprogramms mit dem Ziel fortgeschrieben werden, eine vollständige Erfassung aller nach der Risikobeurteilung relevanten Tätigkeiten im Zuständigkeitsbereich abzudecken. Für das Jahr 2024 ist die Ausweitung des Aufsichtsprogrammes auf den Bereich Brachytherapie vorgesehen.
Durch eine regelmäßige und systematische Auswertung der Ergebnisse des Aufsichtsprogrammes sollen Mängelschwerpunkte identifiziert werden und dann wiederum in die Schwerpunktsetzung der künftigen Prüfungen einfließen.
Dadurch wird auch seitens der Vollzugsbehörden zu einer stetigen Verbesserung der Qualität im Strahlenschutz beigetragen.
Die Ergebnisse des Aufsichtsprogrammes werden in Kurzfassung jährlich durch die Strahlenschutzbehörde veröffentlicht.