„Der Klimawandel wird auf der Baustelle entschieden!“

Eine Präsentation von 3 Personen vor einer Gruppe Zuhörern

*Beim „MPI Deep Dive – Zirkuläre Wertschöpfung in der Bauindustrie” zeigten Wirtschaft, Forschung und Politik, wie sie die Transformation im Bausektor nachhaltig gestalten wollen.
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Eines der Fokusthemen des Masterplans Industriestadt Berlin 2022–2026 (MPI) ist die zirkuläre Wertschöpfung: Ein „MPI Deep Dive“ Mitte Juli lenkte den Blick hier auf den Bereich Bauindustrie. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe hatte gemeinsam mit dem MPI-Projekt ringberlin auf dessen Modell-Campus in Berlin-Marienfelde eingeladen. Rund 100 Gäste erfuhren hier, wie zirkuläres Bauen in der Hauptstadtregion bereits heute umgesetzt wird, welche Geschäftsmodelle möglich sind und welche Schritte noch zu gehen sind. Zu ihnen sprachen Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen, Initiativen und Politik. Dr. Severin Fischer, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, hielt einen Impulsvortrag. Wie der MPI bei der Transformation unterstützen kann, erläuterte Britta Teipel, Leiterin des Fachgebiets „Industriepolitik“ der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe: „Der MPI ist Plattform, Netzwerk und Agenda Setter genau für Themen wie dieses.“



Portrait von Rebekka Steinlein
Die Baubranche ist aktuell der größte Umweltverschmutzer weltweit.
Rebekka Steinlein, Business Development Managerin bei Concular

60 Prozent des weltweiten Abfalls kommen aus der Bauindustrie

In ihrer Keynote verdeutlichte Rebekka Steinlein, Business Development Managerin bei Concular, die Dringlichkeit. Ihr Appell: „Es herrscht großer Handlungsbedarf: Der Klimawandel wird auf der Baustelle entschieden!“. Concular hilft, Baustoffe wiederzuverwerten und Rückbau rechtskonform umzusetzen. „Die Baubranche ist aktuell der größte Umweltverschmutzer weltweit“, so Steinlein. „Vor allem die Zahlen, die dahinter stehen, zeigen, dass sich ganz klar etwas ändern muss: 60 Prozent des weltweiten Abfalls kommen aus der Bauindustrie, in Berlin sind es 63 Prozent. Auch 40 Prozent der CO2 -Emissionen stammen aus dem Bauen. Maßnahmen wie Dämmung und die Installation neuer Heizungen müssen umgesetzt werden, um die Emissionen zu reduzieren. Der erste Entwurf der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) sieht zum Beispiel verpflichtende Gebäuderessourcenpässe ab 2025 vor, die genau dokumentieren, welche Materialien verbaut werden: „So können diese in Zukunft leichter wiederverwendet werden“, erklärte Steinlein. Sie hält auch die vorgesehenen „Pre Demolition Audits“ für sehr konstruktiv, bei denen vor dem Rückbau eines Gebäudes geprüft wird, welche Materialien noch genutzt werden können: „Das ist ein total wichtiger Hebel, damit wir aufhören, die Gebäude abzureißen und nichts davon weiterzuverwenden.“ 


Community baut sich „Projekt für Projekt“ weiter aus

Als gutes Beispiel dafür, wie zirkuläres Bauen aussehen kann, benannte Steinlein das CRCLR Haus Berlin, in dem auch die MPI Konferenz 2023 stattfand. Sie betonte, wie wichtig solche Initiativen als Vorbild sind und welche Rolle Netzwerken für das Gelingen von zirkulärem Wirtschaften spielt: „Die Community an Entwicklern und Herstellern baut sich Projekt für Projekt weiter aus. Und sie alle sehen dann, wie Kreislaufwirtschaft jetzt schon funktioniert.“

Ende 2023 lief bereits ein thematischer MPI-Fördercall zum zirkulären Wirtschaften, bei dem acht Projekte ausgewählt wurden. Einige stellten sich beim MPI Deep Dive vor: Prof. Raoul Bunschoten erläuterte, wie über die Nahtlose Integration für den städtischen Holzbau der Einsatz von Holz als Werkstoff in Berlin gefördert werden kann. Der Professor für Stadtplanung und Urban Design an der TU Berlin hat mit „Bauhütte 4.0“ ein Konzept für nachhaltige Stadtentwicklung entworfen. Das MPI-Projekt soll nun eine unterbrechungsfreie und voll digitalisierte Prozesskette „von Wald zu Stadt und Stadt zu Wald sowie allem dazwischen“ etablieren – indem es die Zusammenarbeit zwischen Industrieunternehmen, Zulieferern, Demontagebetrieben und Startups im städtischen Holzbau fördert. 



Über die Köpfer einer Zuhörerschaft bei einem Vortrag fotografiert

MPI-Projekte zur Circular Economy stellten sich vor

Dina Padalkina, Gründerin und Vorstand von Circular Berlin e. V., berichtete, wie sie mit dem MPI-Projekt Fit für Circular Economy die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in der beruflichen Bildung verankern will: In zwei Berliner Berufsschulen werden dazu innovative Lehrmodule bei Auszubildenden für die Ernährungs- und Lebensmittelbranche sowie das Bauwesen eingeführt. Ein weiteres MPI-Projekt ist Industrie Digitalwirtschaft Circular Economy. Es vernetzt Vertreterinnen und Vertreter der Berliner Industrie und der Digitalwirtschaft im Rahmen einer Veranstaltungsreihe, unterstützt den Kompetenzaufbau und zeigt neue Anwendungsmöglichkeiten in der Circular Economy auf. Dr. Marianne Kuhlmann, Vorstandsvoritzende und Co-Founderin von Circularity e. V., der hinter dem Projekt steht, erklärte: „Wir möchten aufklären und differenzierte Informationen vermitteln, damit konkret das nötige Fachwissen vorhanden ist, das es braucht – sowohl technisch als auch aus der Management-Perspektive.“

Kreislaufwirtschaft bringt neue Geschäftsmodelle hervor

Laut Britta Teipel war dem MPI-Team wichtig, auf der Veranstaltung zu zeigen, dass Kreislaufwirtschaft nicht nur Regulierung bedeutet, sondern „ganz viel neue Geschäftsmodelle und Ansätze hervorbringen kann – auch Hand in Hand mit der Digitalisierung. Wir wollen, dass sich Berlin beim Thema zirkuläre Wertschöpfung einen Namen macht und unsere Projekte zeigen, dass das absolut möglich ist.“

Eine weitere Idee dafür, wie das unterstützt werden kann, liefert „B(e)Ware“, ein Forschungsprojekt des Natural Building Lab der Technischen Universität Berlin in Zusammenarbeit mit der NBL Studio gGmbH. Als Reallabor wird es ebenfalls von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe gefördert. B(e)Ware soll zeigen, wie Berliner Abfall – „B Ware“ – als wertvolle Ressource – „A Ware“ – genutzt werden kann. Konkret werden Gebäudetragwerke aus Abfallstoffen „Made in Berlin“ wiederverwendet. Dazu erprobt es Planungs- und Bauprozesse rund um solche Baustoffe.

KEK schafft Wissenstransfer und ist „Brückenbauer“


Robin Bruck von Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie stellte die Koordinierungsstelle für Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und Klimaschutz, kurz KEK, vor: „Wir bieten kostenfreie Services, um die drei Themencluster Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und Klimaschutz in Berliner Betrieben zu implementieren. Wir schaffen auch Wissenstransfer und man kann uns als Brückenbauer sehen: Wir können und sollen nicht Expertinnen und Experten für alle Themen sein, aber wir wissen, an wen man sich mit Fragen wenden kann.“ Die KEK hilft Unternehmen, Klimaschutz bei sich umzusetzen, bietet eine Detailberatung zu konkreten Energieeffizienzmaßnahmen, vernetzt Wirtschaftsbetriebe mit Forschungseinrichtungen und versendet einen monatlichen Newsletter mit Best-Practise-Beispielen.

Portrait Matthias Menger
Wir haben beim Bau des Modell-Campus ringberlin unter anderem 1.500 Drahtgitterglasscheiben wiederverwendet:
Matthias Menger, Geschäftsführer ringberlin, KOIMO Development GmbH

Zirkulärer Umbau des Industriestandorts

Matthias Menger, Geschäftsführer der ringberlin Projektgesellschaft, präsentierte, was der Modell-Campus ringberlin über zirkuläre Wertschöpfung berichten kann. In einem alten Industrieareal wird dort auf 100.000 Quadratmetern nach zirkulären Prinzipien ein kollaboratives Gründer:innenzentrum mit Makerspace gebaut. Zu günstigen Mieten sollen sich innovative Unternehmen, Startups und KMU niederlassen können, es werden Werkstätten, Coworking- und Bürobereiche sowie Testflächen eingerichtet und es ist viel Grünfläche eingeplant. Matthias Menger rechnet damit, dass rund 5.000 bis 6.000 Arbeitsplätze entstehen. Er betonte die Wichtigkeit eines Makerspaces: „Ein Lastenrad beispielsweise, das entwickelt man nicht am Schreibtisch: Dafür braucht man eine Werkbank, Geräte, Maschineninfrastruktur und Menschen, die sich damit auskennen und anleiten können. So etwas wird in einem Makerspace möglich.“



Die Immobilie wird zirkulär gedacht: Von einem regenerativen Energiekonzept über die Nutzung eines Regenwasserspeichers zur Kühlung und zur Bewässerung der Außenanlagen bis zur Nutzung vorhandener Baumaterialien. Lufterhitzer wurden fachgerecht zurückgebaut und verkauft. Und auch für die 1.500 Drahtgitterglasscheiben, die in den Gebäuden verbaut sind, fand das Team in Kooperation mit Glasfischer Glastechnik eine Lösung. „Die wären bei anderen Projekten im Bauschutt gelandet“, so Menger. Jetzt werden sie unter anderem mit Systemtrennwänden verbunden, die Concular aus einem anderen Projekt erhalten hat – ringberlin arbeitet hier eng mit dem Unternehmen zusammen. „Weiterhin prüfen wir derzeit, wie wir Stahlträger wiederverwenden können.“

Portrait Severin Fischer
Die wirtschaftliche Dynamik bei den Themen, die Kreislaufwirtschaft betreffen, ist derzeit besonders hoch. Das ist eine Riesenchance.

Dr. Severin Fischer, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe

Dr. Severin Fischer, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, begrüßte, dass am Standort Technologien, Konzepte und Lösungen von morgen entwickelt werden sollen. „Wir haben uns mit dem MPI als Landesstrategie zum Thema gesetzt, dass wir überall dort, wo wir vor Transformationsthemen in der Industrie stehen, versuchen wollen, genauer hinzuschauen. Circular Economy, die Kreislaufwirtschaft, ist dabei ein sehr wichtiger Bereich, den wir entsprechend zu einem der Fokusthemen gemacht haben.“ Insbesondere seien Anreize zur Technologieentwicklung wichtig. Er sieht auch im Moment ein gutes Zeitfenster, um diese Themen zu adressieren: „Die wirtschaftliche Dynamik bei den Themen, die Kreislaufwirtschaft betreffen, ist derzeit besonders hoch. Das ist eine Riesenchance.“



Collage aus zwei Bildern vom Vortrag vor einer Gruppe von Menschen

Holzbausteine und Trockenbauwände aus Stroh

Wie attraktive Geschäftsmodelle für zirkuläres Bauen aussehen können, präsentierten an diesem Nachmittag in Marienfelde auch die Startups Triqbriq, ecoLocked, sowie Stramen.tec im Rahmen von Elevator Pitches. Triqbriq ist ein Holzbausystem, das auf mikro-modularen Holzbausteinen besteht – den Briqs. Aus günstigem Holz mit Robotertechnik präzise hergestellt, werden sie einfach ineinandergesteckt und verdübelt. Damit können tragende Außenwände kosteneffizient, flexibel und schnell gebaut und bei Bedarf sortenrein entnommen sowie vollständig wiedergenutzt werden. EcoLocked verwandelt Gebäude in Kohlenstoffsenker und will damit „Carbon Removal“, also Technologien, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen und langfristig speichern, weltweit skalierbar machen. Das soll unter anderem über direkte Luftabscheidung, Wiederaufforstung und Mineralisierung geschehen. Stramen.tec stellt Trockenbauwände aus Stroh her: Das Team sieht in dem Material nicht das landwirtschaftliche Nebenprodukt, sondern eine Hightechfaser und presst daraus bei 200 Grad Celsius und mit hohem Druck Wandmodule, die unter anderem als Standard-, Brandschutz- oder Schallschutzwand eingesetzt werden können. 


Größtes Innovationspotenzial – größter Handlungsspielraum

In der anschließenden Podiumsdiskussion antwortete Staatssekretär Fischer auf die Frage, wie Berlin seine Vorreiterrolle noch weiter ausbauen kann: „Die Bauindustrie bietet großes Innovationspotenzial und wenn wir auf Kreislaufwirtschaft blicken, vielfachen Handlungsspielraum, der Veränderung entsprechend vorantreibt. Wir haben heute von sehr guten Ansätzen gehört, von denen möglichst viele Menschen erfahren müssen. Deshalb sind Netzwerktreffen so wichtig. Und das ist auch das, was wir unter moderner Innovations- und Industriepolitik in Berlin verstehen. Wir müssen es schaffen, die Verbindungen herzustellen und die Menschen zusammenzubringen.“



Manuel Ehlers, Teamleiter Nachhaltige Immobilen bei der Triodos Bank Deutschland, berichtete, wie Banken das Thema zunehmend in den Fokus nehmen: „Ressourcenschutz ist für uns genauso relevant wie andere Parameter, die unsere wirtschaftliche Stabilität erhalten. Gleichzeitig ist es gar keine Option, in dieses Thema nicht zu investieren.“ Laut Staatssekretär Fischer sind Pilotprojekte wie ringberlin wichtig, um zu zeigen, dass die Konzepte wirtschaftlich tragfähig sind: „Es braucht die, die Vorreiter sind und es braucht die, die sich am Ende auch trauen, das in eine industrielle Fertigung zu überführen.“

Handwerk beweist Innovationskraft


Wie motiviert das Handwerk ist, neue Geschäftswege zu gehen, verdeutlichte Kerstin Wiktor, Innovationsberaterin der Handwerkskammer Berlin: „Viele verbinden Handwerk nicht mit Neuem, dabei sind Handwerksbetriebe ja rund 90 Prozent der Zeit kreativ und tüfteln an neuen Lösungen für die Herausforderungen, die ihnen ständig begegnen. In der Industrie wird das dann schnell als Innovation bezeichnet, im Handwerk ist es Alltag. Wir tragen dazu bei, dass sich das ändert und fördern Innovationen systematisch, schaffen gute Rahmenbedingungen dafür.“ Für sie liegt der Schlüssel zum Erfolg in Kollaboration: „Wir können die guten Ideen, die im Handwerk gefunden werden, durch die Anreicherung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen noch stärker aufwerten.“ Mit der Initiative „Make Innovation Handwerk werden beispielsweise Handwerksbetriebe, Kammern, Verbände, Startups und Forschung vernetzt, um Ideen und Projekte zu diskutieren und umzusetzen.

„Trotz der großen Bandbreite des Themas ist es uns heute gelungen, wirklich tief in die zirkuläre Wertschöpfung in der Berliner Bauindustrie einzutauchen“, stellte Britta Teipel in ihrem Schlusswort fest. Ihr Team und sie nehmen neue Impulse mit – für die weitere Arbeit im Themenbereich und auch für die weiteren Branchen, die die Senatsverwaltung betreut. „Auch wir freuen uns darauf, mit diesem Ökosystem, das sich beim MPI Deep Dive zusammengefunden hat, im Austausch zu bleiben.“