Kriterien und Nachweismöglichkeiten

Sechs aufgeschlagene Kataloge, übereinandergestapelt

Einhaltung der Kriterien des Fairen Handels optional

Es ist in der vergaberechtlichen Diskussion anerkannt, dass Gesichtspunkte des fairen Handels, wie die Vorfinanzierung der Produktion und das Bestehen langfristiger Handelsbeziehungen zwischen Erzeuger und Importeur, jedenfalls dann, wenn es um die in Erfüllung des Auftrags zu liefernden Waren geht, als auftragsbezogene Kriterien anzusehen sind. Auch die Begründungen zum GWB und zur VgV stellen klar, dass auch der Handel mit der vertragsgegenständlichen Leistung den erforderlichen Auftragsbezug aufweist. (BT-Drs. S. 109 (ebenso BT-Drs. 87/16, S.212-213)

Auch im BerlAVG wird im §11 Abs.1 unter Besondere Ausführungsbedingungen auf §128 des GWB verwiesen und ausgeführt, dass auch „weitergehende Gesichtspunkte bei der Erbringung von Leistungen festgelegt werden [können], insbesondere im Hinblick auf Kriterien des fairen Handels […]“.

Gut zu wissen: Vorgaben sind Mindestanforderungen

Die im Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) geforderte Einhaltung von Sozialstandards für sensible Produkte sind Mindestanforderungen, die öffentliche Auftraggeber verpflichtend einhalten müssen. Auch bei den ILO-Kernarbeitsnormen handelt es sich um Mindestanforderungen. Jeder ausschreibenden Stelle ist es freigestellt, über die Mindestanforderungen hinauszugehen. D.h. beispielsweise, dass zusätzlich zu den ILO-Kernarbeitsnormen weitere ILO-Normen wie die Einhaltung von Maßnahmen zum Gesundheitsschutz gefordert werden dürfen. Ebenso ist es jeder ausschreibenden Stelle freigestellt, Eigenerklärungen auszuschließen und glaubwürdige Nachweise einzufordern.

Kontrollgruppe hilft bei der Überprüfung, ob vertraglich festgelegte Vorgaben eingehalten werden

Seit Februar 2014 ist die vom Wirtschaftssenat eingerichtete Kontrollgruppe für die Überprüfung der Einhaltung der im BerlAVG geforderten Kriterien zuständig. Die Kontrollgruppe überprüft, ob für die Dauer der Auftragsausführung der Mindestlohn/Tariflohn gezahlt wurde, Frauenfördermaßnahmen durchgeführt wurden und ob die Grundsätze der umweltgerechten Beschaffung sowie die ILO-Kernarbeitsnormen eingehalten wurden (§ 5, Absatz 1 BerlAVG).

Jede Vergabestelle kann die Hilfe der Kontrollgruppe anfordern, um Aufträge zu überprüfen. Wichtig ist, dass vorher im Vertrag mit dem erfolgreichen Bieter festgelegt wird, dass die Kontrollgruppe die Befugnis hat, Kontrollen durchzuführen (vgl. Rundschreiben WiTechForsch II G Nr. 5/2014). Denn die Möglichkeit, proaktive Stichprobenkontrollen durchzuführen, besteht nicht.

Die Kontrollgruppe darf ausschließlich auf Antrag der öffentlichen Auftraggeber des Landes Berlin ausgewählte Firmen kontrollieren, die den Zuschlag erhalten und sich verpflichtet haben, die Regelungen des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes (BerlAVG) zu beachten. Ohne vertragliche Verpflichtung besteht keine Prüfungsgrundlage.

ILO

Arbeits- und Sozialstandards

Grundlegende Arbeits- und Sozialstandards (ILO-Kernarbeitsnormen)
In einer globalisierten Weltwirtschaft, in der Waren über Ländergrenzen hinweg produziert und gehandelt werden, helfen international anerkannte Standards, Menschen- und Arbeitsrechte zu schützen. Die ILO-Normen sollen verhindern, dass sich einzelne Staaten durch den Abbau von Arbeitnehmerrechten und der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen Vorteile im internationalen Handel verschaffen.

Im Jahre 1998 verabschiedete die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation – kurz ILO) – eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen – die Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit. Diese Prinzipien werden auch als die ILO-Kernarbeitsnormen bezeichnet. Sie umfassen acht Mindeststandards in Bezug auf Aspekte von Vereinigungsfreiheit und Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen, die Beseitigung der Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit sowie das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

Die ILO-Kernarbeitsnormen im Überblick

  • Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit und Festlegung zum Mindestalter (entsprechend dem Übereinkommen 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999, BGBl. 2001 II S. 1291 und dem Übereinkommen 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung, 1976)
  • Abschaffung der Zwangsarbeit (entsprechend dem Übereinkommen 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit 1930, BGBl. 1956 II S. 641 und dem Übereinkommen 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957, BGBl. 1959 II S. 442)
  • Vereinigungsfreiheit und Recht zu Kollektivverhandlungen (entsprechend dem Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes vom 9. Juli 1948, BGBl. 1956 II S.2073 und dem Übereinkommen 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen 1949, BGBl. 1955 II S. 1123)
  • Gleichheit des Entgelts und Diskriminierungsverbot (entsprechend dem Übereinkommen 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, 1958, BGBl. 1961 II S. 98 und dem Übereinkommen 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, 1951, BGBl. 1956 II S. 24)

Weiterführende Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)

Die ILO-Kernarbeitsnormen stellen Mindestanforderungen dar, decken aber eklatante Probleme durch mangelnden Arbeitsschutz, unsichere Beschäftigungsverhältnisse und unzureichende Löhne nicht ab.
Es ist von daher zielführend je nach Produkt weitergehende Standards, wie die hier genannten ILO-Normen in Ausschreibungen mit einzubeziehen.

Folgende Probleme in Produktions- und Lieferketten werden über die hier aufgeführten ILO-Übereinkommen berücksichtigt:
  • Geringe Löhne (Übereinkommen 131 über Mindestlohn)
  • Fehlende soziale Absicherung (Übereinkommen 102 über soziale Absicherung (umfasst medizinische Versorgung, Absicherung im Krankheitsfall, Arbeitslosenunterstützung, Mutterschaft etc.)
  • Exzessive Arbeitszeiten (Übereinkommen 1 und 30 zur maximalen Arbeitszeit)
  • Erniedrigende disziplinarische Maßnahmen und Gewalt (Übereinkommen 190 über Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz)
  • Risiken für Leben und Gesundheit (Übereinkommen 155, 170 und 187 über Arbeits- und Gesundheitsschutz)
  • Risiken speziell bei der Arbeit in Bergwerken und Minen (Übereinkommen 176 über Sicherheit und Gesundheit in Bergwerken)
  • Missachtung indigener Rechte und Zwangsvertreibung (Übereinkommen 169 über die Rechte indigener Völker)
Fairer Handel Tag Cloud

Kriterien des Fairen Handels

Eine weitere Möglichkeit über die ILO-Kernarbeitsnormen hinauszugehen ist die Einbeziehung der Kriterien des Fairen Handels in Ausschreibungen.

Fairer Handel ist bisher kein rechtlich geschützter Begriff. Der Faire Handel (das englische Äquivalent ist „Fair Trade“) hat zum Ziel, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Produzent*innen zu verbessern. Eines der wichtigsten Kriterien ist daher die Bezahlungeines existenzsichernden Lohnes, d. h. der Lohn muss ausreichen, um sowohl die Produktions- als auch Lebenshaltungskosten davon zu bestreiten. Daneben sind aber noch weitere Kriterien, wie Transparenz und Langfristigkeit relevant. Der Faire Handel umfasstsowohl gesiegelte Produkte als auch Produkte von Firmen, die den Fairen Handel als Unternehmenszweck begreifen und für mehr Gerechtigkeit im Welthandel eintreten. Darunter fallen bspw. Produkte von Fairhandelsunternehmen wie GEPA – The Fair Trade Company oder El Puente. „Fairtrade” ist ein eingetragenes Markenzeichen und kennzeichnet Produkte, die nach den Standards von Fairtrade International gehandelt wurden. Fairtrade International ist die internationale Organisation, die jeweils nationale Ableger hat. In Deutschlandist dies beispielsweise Transfair, in Österreich Max Havelaar.

Zusätzlich zu den ILO-Kernarbeitsnormen gelten für Produkte des Fairen Handels:
  • faire (existenzsichernde) Preise, die unter Mitbestimmung aller Beteiligten ausgehandelt werden)
  • eine zusätzliche Fairtrade-Prämie, die überwiegend in soziale Gemeinschaftsprojekte investiert wird
  • Recht der Produzent*innen auf eine Vorfinanzierung
  • langfristige Handelsbeziehungen
  • Gewährleistung sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen
  • Frauenförderung
  • Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit
  • langfristiger Erhalt natürlicher Ressourcen
  • Transparenz und Rückverfolgbarkeit der Lieferkette
  • Da Fairer Handel kein rechtlich geschützter Begriff ist, ist es empfehlenswert, wenn Sie, sofern Sie in Ausschreibungen fair gehandelte Produkte fördern möchten, sich auf die Definition des europäischen Parlaments zu beziehen. Somit haben Bieter einen festen Anhaltspunkt, was Sie mit Produkten aus fairem Handel meinen.
  • Wird in einer Ausschreibung der Nachweis für die Einhaltung sozial verantwortlicher Kriterien durch ein Lieferkettenmanagement gefordert, könnte die Mitgliedschaft in der WFTO (World Fair Trade Organisation) ein solcher Nachweis sein.
Frau hält Visitenkarte mit staatlichem Bio-Siegel in der Hand

Gütezeichen und andere Nachweismöglichkeiten

Nachweisführung durch Produktsiegel
Die Möglichkeit bei öffentlichen Ausschreibungen auch Gütezeichen, die soziale Kriterien überprüfen, als Nachweis zu verlangen, ist erstmals in den EU-Richtlinien aus dem Jahr 2014 ausdrücklich festgelegt worden. Die Regelung zur Verwendung von Gütezeichen gemäß § 34 VgV für den Oberschwellenbereich entspricht wortgleich den Regelungen in § 32 SektVO und § 7a EU Abs.6 VOB/A.

Die für den Unterschwellenbereich geltende Vorschrift § 24 UVgO entspricht im Wesentlichen § 34 VgV. Die Prinzipien von § 34 VgV bzw. § 24 UVgO können auch außerhalb des Anwendungsbereichs der UVgO in der Unterschwelle angewandt werden. Diese Vorgaben erlauben die pauschale Verwendung von Gütezeichen, ohne die einzelnen ihnen zugrundeliegenden Kriterien zu benennen. Dennoch kann eine Nennung der zugrundeliegenden Kriterien empfehlenswert sein. So kann Bietern verdeutlicht werden, welche Anforderungen an das zu beschaffende Produkt gestellt werden.

Grundsätzlich können Gütezeichen auf zwei Arten im Vergabeverfahren genutzt werden. Zum einen als hilfreiches Werkzeug für die Nachweisführung, zum anderen können sie genutzt werden, um zu beschreiben, welche Anforderungen an den Leistungsgegenstand gestellt werden.

Eine Formulierung, um zu beschreiben, welche Anforderungen an den Leistungsgegenstand gestellt werden, könnte bspw. so lauten (André Siedenberg (2018): _Das angebotene Produkt muss sämtliche Anforderungen erfüllen, die zur Erteilung des [Gütezeichens xy] erforderlich sind._ Eine Formulierung für die Verwendung von Gütezeichen zur Nachweisführung könnte z. B. wie folgt aussehen (ebd. André Siedenberg): _Über die Erfüllung der im Leistungsverzeichnis genannten Standards ist mit dem Angebot oder an anderer Stelle des Vergabeverfahrens ein Nachweis in Form des [Gütezeichens xy] oder eines anderen Gütezeichens, welches gleichwertige Anforderungen an die Leistungstellt, abzugeben._

An die Verwendung von Gütezeichen werden vergleichsweise hohe Anforderungen gestellt. Diese sind in § 34 Abs. 2 VgV klar definiert und stellen sowohl inhaltliche Bedingungen als auch Vorgaben zur Entwicklung und zum Verfahren des Gütezeichens.
  1. Alle Anforderungen des Gütezeichens sind für die Bestimmung der Merkmale der Leistung geeignet und stehen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung.
  2. Die Anforderungen des Gütezeichens beruhen auf objektiv nachprüfbaren und nichtdiskriminierenden Kriterien.
  3. Das Gütezeichen wurde im Rahmen eines offenen und transparenten Verfahrens entwickelt, an dem alle interessierten Kreise teilnehmen können.
  4. Alle betroffenen Unternehmen haben Zugang zum Gütezeichen.
  5. Die Anforderungen wurden von einer/m Dritten festgelegt, auf den das Unternehmen, das das Gütezeichen erwirbt, keinen maßgeblichen Einfluss ausüben konnte.

Eine Übersicht, ob ein Gütezeichen diese Anforderungen erfüllt, können Sie im Kompass Nachhaltigkeit einsehen.

Nachweisführung, wenn kein Siegel vorhanden ist

Gütezeichen sind nur eine Option, um die Einhaltung bestimmter Kriterien nachzuweisen. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten für effektive Nachweise, die v. a. dann interessant sind, wenn es keine verlässlichen Gütezeichen bzw. Label gibt oder wenn man den Kreis der möglichen Bieter erweitern möchte. Alternative Überprüfungsmethoden, die von Vergabestellen bereits angewendet werden, sind beispielsweise die Berichtslegung anhand von zielführenden Maßnahmen, Qualitätskonzepte anhand von Fragenkatalogen, Bietererklärungen oder externe Audits.

Alternative Überprüfungsmethoden
  • Festlegung aktiver und zielführender Maßnahmen, die einen Beitrag zu mittel- und langfristigen Veränderungen entlang der Lieferkette leisten können – Zielführende Maßnahmen gibt es viele. Beispiele sind die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus für Arbeiter*innen, die Offenlegung der Lieferkette, die Durchführung externer Audits oder das Bemühen um eine unabhängige Zertifizierung.
  • Fragenkataloge – eignen sich sowohl für den Marktdialog als auch als Beiblatt in den Ausschreibungsunterlagen, um herauszufinden, ob die sozialen Kriterien eingehalten werden. Oftmals reichen wenige gezielte Fragen an den Auftragnehmer aus, um dies einzuschätzen. Beispiele für die Anwendung von Fragenkatalogen sind das schwedische Modell eines Fragenkatalogs zur Verlaufskontrolle oder der Fragenkatalog vom ITDZ-Berlin.
  • Bietererklärungen – werden beispielsweise in den Niederlanden standardmäßig eingefordert. Die niederländische Bietererklärung stellt drei Ankreuzmöglichkeiten bezüglich der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zur Auswahl, die jeweils unterschiedliche Konsequenzen für den erfolgreichen Bieter haben.