Empfehlungen zur Umsetzungspraxis des „Persönlichen Budgets“

Empfehlungen des Beirates von und für Menschen mit Behinderung zur Umsetzungspraxis des „Persönlichen Budgets“ nach Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)

  • Mai 2013

Wohlfahrts-, Sozial- und Behindertenverbände, das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie der Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderung Hupert Hüppe haben bereits 2011 kritisch darauf hin gewiesen, dass das Persönliche Budget nicht ankomme bei Menschen mit Behinderung.

Nach Schätzungen des Bundessozialministeriums haben 2011 lediglich 0,1 % aller behinderten Menschen Leistungen in Form des Persönlichen Budgets erhalten. Die notwendigen Beratungsangebote stünden nicht flächendeckend zur Verfügung, die Information komme nicht bei den Betroffenen an, zuständige Rehabilitationsträger stünden dem Rechtsanspruch unwillig gegenüber und der komplexe Verwaltungsaufwand schrecke Kostenträger und Leistungsberechtigte zum Teil gleichermaßen ab.

Sieht es bei uns im Bezirk auch so ernüchternd aus mit den Erfahrungen mit dem Persönlichen Budget, eingeführt als Instrument zur Stärkung einer selbstbestimmten Lebensführung auch schwerstbehinderter Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf?

Der Beirat von und für Menschen mit Behinderung beschäftigt sich seit Anfang 2012 mit den Rahmenbedingungen und den Erfahrungen behinderter Menschen, die ihren Rechtsanspruch auf das Persönliche Budget beim zuständigen bezirklichen Kostenträger realisieren möchten. Hierzu wurden Vertreter/innen von drei im Bezirk ansässigen bzw. überbezirklich tätigen Beratungsstellen als Referentinnen eingeladen (Die Kurve, Lotse Berlin und ASL-Arbeitsgemeinschaft für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen) und die Sozialstadträtin Frau Dr. Klotz. (Da Frau D r. Klotz an dem Sitzungstermin verhindert war, waren 2 Fallmanagerinnen von ihr beauftragt, über Erfahrungen des örtlichen Trägers der Sozialhilfe zur Umsetzung des Persönlichen Budgets im Bezirk zu berichten).

Des Weiteren wurde im Beirat die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bezirksverordnetenversammlung (BVV – Drucksache 0102/XIX) zum Thema ausgewertet. Ergänzend wurden eigene Erfahrungen bzw. die von Angehörigen oder aus dem sozialen Umfeld herangezogen, sowie Bürgeranfragen und Hinweise zum Themenfeld „Persönliches Budget“ an die Geschäftsstelle der Beauftragten für Menschen mit Behinderung berücksichtigt.

Der Beirat hat alle diese Informationen gesichtet und diskutiert und kommt zu folgendem Ergebnis:
Seit Bestehen des Rechtsanspruchs wird das Persönliche Budget in Tempelhof-Schöneberg nur in verschwindend geringem Maße, wenn auch stetig steigend , als Leistungsform beantragt.

Die vom Beirat zusammengetragenen Informationen lassen den Schluss zu, dass dies auch einer ungenügenden Informations- und Beratungsarbeit durch die bezirklichen Kostenträger zuzurechnen ist.

Die Beantwortung der Kleinen Anfrage zum Persönlichen Budget scheint dies – zumindest für den Bereich des Sozialamtes – zu bestätigen. Nach dessen eigener Aussage erfolgt über die Auslage der Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hinaus keine weitere pro-aktive Information und Beratung der Leistungsberechtigten, etwa im Rahmen der Hilfeplanung oder der Antragstellung allgemein.

Laut Antwort des Jugendamtes werden über die Auslage von Informationsbroschüren hinaus (eine in türkischer Sprache) Leistungsberechtigte im Rahmen der individuellen Hilfeplanung zu Möglichkeiten und Fragestellungen des Persönlichen Budgets beraten. Auch erhalten die Mitarbeiter/innen durch die Fachleitung aktuelle Informationen und Veranstaltungshinweise zum Thema „Persönliches Budget“.

Wir empfehlen den zuständigen Kostenträgern im Bezirksamt, neben der Auslage von aktuellen Informationsmaterialien in möglichst verschiedenen Sprachen, regelhaft alle Leistungsberechtigten über die Möglichkeiten der Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets zu beraten und zu informieren, sowie auf unabhängige Beratungsstellen zum Persönlichen Budget zu verweis en, im Rahmen der Antragstellung auf Leistungen nach SGB XII und/oder der individuellen Hilfeplanung.

Die in der Beantwortung der Kleinen Anfrage gegebenen Begründungen für die erfolgten Ablehnungen der beantragten Persönlichen Budgets durch das Sozialamt werden vom Beirat von und für Menschen mit Behinderungen teilweise als unbefriedigend wahrgenommen.

Im Einzelnen soll dies an vier aufgeführten Ablehnungsgründen erläutert werden:

„ungeeignete Maßnahme“

Das Persönliche Budget ermöglicht dem Leistungsberechtigten – nach festgestelltem Anspruch auf behinderungsbedingte Unterstützungsleistungen und deren Umfang – selbstbestimmt über das Wann-Wie-Wo und durch Wen dieser Leistungserbringung zu bestimmen. Die einseitig vom Kostenträger gefällte Entscheidung, eine vom Leistungsberechtigten gewählte Form der grundsätzlich bewilligten Unterstützungsleistung sei „nicht angemessen“ oder „ungeeignet“, ist zumindest sehr fragwürdig. Bereits 2011 ist vom Bundessozialgericht entschieden worden, das Persönliche Budget diene dazu, dass leistungsberechtigte Menschen die für sie notwendigen Unterstützungsleistungen selbst bestimmen und sich frei verschaffen können.

„Spielsuchtproblematik der antragstellenden Person“ und „Probleme im Umgang mit Geld“

Da die Geschäftsfähigkeit des Leistungsberechtigten nicht Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf das Persönliche Budget ist, und deshalb z.B. auch minderjährige Kinder mit Behinderungen die ihnen zu stehenden Unterstützungsleistungen in Form des Persönlichen Budgets erhalten können, erscheint auch diese Begründung als nicht nachvollziehbar. Sollten Hinweise auf z.B. Spielsucht oder allgemeine Probleme im Umgang mit Geld bekannt sein, so kann durch eine Budgetassistenz oder durch eine/n vorhandenen gesetzlichen Vertreter/in der Gefahr des unsachgemäßen Umgangs mit der Geldleistung vorgebeugt werden.

„Durch andere Maßnahmen ausreichend versorgt“

Hier wird nicht deutlich, was hiermit gemeint ist. Entweder jemand ist leistungsberechtigt, dann kann diese Leistung auch in Form des Persönlichen Budgets in Anspruch genommen werden. Oder jemand hat – durch Prüfung des Kostenträgers – gar keinen Hilfebedarf, dann kann e s auch nicht zu einem Antrag auf das Persönliche Budget kommen, der dann folglich auch nicht abgelehnt werden kann.

Wir empfehlen, Qualifizierungs- und Schulungsmaßnahmen zum Persönlichen Budget für die Mitarbeiter/innen der zuständigen Bereiche im Sozialamt und im Jugendamt anzubieten, vorzugsweise durch qualifizierte Expertinnen und Experten in eigener Sache, das heißt durch Vertreter/innen der Interessensverbände behinderter Menschen, die sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet „Persönliches Budget“ qualifiziert haben, und deren Kompetenz in behinderten- und sozialpolitischen Gremien landesweit geschätzt wird .
Wir würden es begrüßen, wenn unsere Empfehlungen von der BVV und vom Bezirksamt zur Kenntnis genommen werden könnten, und bei Beratungen zum Thema „Persönliches Budget“ mit einbezogen würden.

Für den Beirat:
Schneider
Geschäftsführerin des Beirates von und für Menschen mit Behinderung

Dieses Dokument als PDF-Download

  • Empfehlungen zur Umsetzungspraxis des „Persönlichen Budgets“

    Dieses Dokument ist nicht barrierefrei.

    PDF-Dokument (160.5 kB) - Stand: Mai 2013
    Dokument: Beirates von und für Menschen mit Behinderung