Tempelhof-Schöneberg benennt Platz nach Richard-von-Weizsäcker

Vier Personen stehen nebeneinander vor einem Mast mit Straßenschildern. Das Schild Kaiser-Wilhelm-Platz ist rot durchgestrichen und darunter ist ein neues Schild Richard-von-Weizsäcker-Platz.

Von links nach rechts: Bezirksstadtrat Tobias Dollase, Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann, Bezirksstadtrat Matthias Steuckardt und Bezirksstadträtin Saskia Ellenbeck vor der neuen Beschilderung des Richard-von-Weizsäcker-Platzes

Pressemitteilung Nr. 082 vom 24.03.2022

Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann würdigt den 6. Bundespräsidenten als einen Politiker, der gesagt hat, was Verantwortung heißt

Früher Kaiser-Wilhelm-, jetzt Richard-von-Weizsäcker-Platz: Auf Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung im Januar 2021 wurde der zentrale Stadtplatz in Schöneberg nach dem 6. Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland benannt. Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann enthüllte am 24. März 2022 die neuen Straßenschilder.

Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann:

bq. “Richard von Weizsäcker war ein besonderer Politiker. Einer der fähig war, Schuld anzuerkennen und daraus zu lernen. Einer der gesagt hat, was Verantwortung heißt. Er hat sich stets für die Aussöhnung der Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg stark gemacht. Gerade die Aussöhnung mit den Menschen in der Sowjetunion und Polen lagen Richard von Weizsäcker sehr am Herzen. Die aktuellen Bilder vom Krieg in Europa würden ihn sicherlich sehr treffen. Mit der Umbenennung dieses lebhaften Platzes in Richard-von-Weizsäcker-Platz gibt es jetzt endlich einen Ort in Berlin, der an ihn erinnert.”

Die alte Beschilderung des Platzes bleibt rot, aber noch lesbar durchgestrichen für sechs Monate erhalten, um die Neuorientierung auf die geänderte Adresse zu erleichtern. Anwohnende, Gewerbetreibende, Polizei, Feuerwehr und BVG wurden über die Umbenennung informiert.

Rede von Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann

Es ist mir eine Ehre/Freude, heute diesen belebten Platz in Schöneberg mit Ihnen gemeinsam in Richard-von-Weizsäcker-Platz umzubenennen.

Die Initiative für die Umbenennung ging ursprünglich von den Grünen aus und wurde mit den Stimmen der CDU und FDP in der BVV im Januar 2021 beschlossen. Es war den Bezirksverordnet_innen wichtig, den Namen dieses besonderen Politikers im öffentlichen Straßenbild zu nennen, sodass man von der Regel, bei Straßenumbenennungen Frauen zu berücksichtigen, abgewichen ist.

Gerne hätte ich an dieser Stelle die Witwe, Marianne von Weizsäcker, heute begrüßt, aber sie kann – wie sie mir sicherlich mit einem Augenzwinkern schrieb – aufgrund ihres „jugendlichen Alters“ leider nicht teilnehmen. Frau von Weizsäcker hat in ihrem Brief warmherzig geschildert, wie sehr sie sich über die Ehrung ihres Mannes freut. Hieraus würde ich gern zitieren:

bq. “Dass dieses so sein wird, erfüllt mein Herz mit Dankbarkeit und tiefer Bewegung. … Sehr geehrter Herr Bürgermeister, ja, es ist eine große Ehre, die Sie meinem Mann mit der Benennung dieses Platzes mit seinem Namen erweisen. Er war ein bescheidener Mann, doch über diese Ehrung würde er sich aus tiefem Herzen freuen. Sich für Berlin, seiner Heimatstadt, als Regierender Bürgermeister einsetzen zu dürfen, hat er immer als Herausforderung und Auszeichnung empfunden. Daß es ihm in seinem Leben geschenkt wurde, in verantwortungsvoller Position als Bundespräsident den Fall der Mauer noch zu erleben, die Wiedervereinigung seiner Stadt, unseres Landes, bedeutete ihm mehr als ein Geschenk. Am Tage des Richard-von Weizsäcker-Platzes werde ich in meinen Gedanken, in meinem Herzen bei Ihnen sein voller Dank und tiefer Freude. Bleiben Sie gesund, behütet und beschützt – Ihre Marianne von Weizsäcker”

Richard von Weizsäcker wurde am 15. April 1920 in Stuttgart geboren und ist 94-jährig am 31. Januar 2015 im Kreise seiner Familie in Berlin-Dahlem verstorben.

Von Weizsäcker war Zeit seines Lebens ein politischer Mensch, Mitglied der CDU, vierfacher Vater, Familienmensch und Staatsmann. Er wurde 1969 in den Bundestag gewählt. Von 1981 bis 1984 war er Regierender Bürgermeister von Berlin mit dem Amtssitz Rathaus Schöneberg.

Von 1984 bis 1994 war er der sechste Bundespräsident der Bundesrepublik und damit der erste Bundespräsident, der die Wiedervereinigung Deutschlands politisch gestaltet hat. Von Weizsäcker gehörte zu den beliebtesten Politikern in der Bundesrepublik. Dies lag daran, dass er mit großer Empathie ausgestattet die Menschen mit seinen Worten berührte und erreichte.

Sein politisches Wirken für unser Land im In- und Ausland war enorm. Mit seiner stets besonnenen und ruhigen Art konnte er die Herzen der Menschen erreichen. Zeit seines Lebens hat er sich mit der NS-Vergangenheit und der Aufarbeitung der Schuld auseinandergesetzt. Er hat sich stets für die Aussöhnung der Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg stark gemacht. Das friedliche Zusammenleben mit neun verschiedenen Nachbarstaaten war keine Selbstverständlichkeit, sondern mit Respekt und Vertrauen erarbeitet worden. Insbesondere die Aussöhnung mit den Menschen in der Sowjetunion und Polen lagen ihm sehr am Herzen.

Wie sehr würden ihn die aktuellen Bilder vom Krieg in Europa treffen!
Bilder, die wieder zeigen, wie brutal Krieg ist und wie das Gift einer verlogenen Propaganda wirkt. Er hat seine eigenen Erfahrungen während der nationalsozialistischen Diktatur sehr eindrücklich in einem Interview beschrieben. Er selbst ist als junger Mann mit 19 Jahren in den Krieg gezogen. Sein älterer Bruder Heinrich fiel bereits am zweiten Kriegstag und wurde von ihm selbst begraben.

Sein Vater Ernst von Weizsäcker wurde für seine Tätigkeit als Staatssekretär im NS-Außenministerium 1949 in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zu sieben Jahre Haft verurteilt. Richard von Weizsäcker gehörte damals als junger Assistent zu den begleitenden Verteidigern.

Diese persönlichen Erlebnisse waren es wohl, die von Weizsäcker stets nach Aussöhnung, Frieden, Demokratie und Freiheit streben ließen und damit politisch viel in Bewegung setzen.

Seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 hat viele Menschen in Deutschland tief im Herzen bewegt. Er hat den Deutschen vor Augen geführt, dass nicht die Niederlage des 2. Weltkrieges und nicht die Kapitulation das Entscheidende war. Im Vordergrund steht der Satz von Richard von Weizsäcker, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung für alle war. Dieser Satz gilt als Meilenstein in der öffentlichen Aufarbeitung der NS-Zeit in Deutschland. Ehrlich, aufrichtig und schonungslos hat er die Verbrechen der NS-Zeit benannt.

Es ist wahrscheinlich die bedeutendste Rede nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland gewesen! Die Rede gilt bis heute als eine erinnerungskulturelle Zäsur. Sie ist tief in der Erinnerung der Menschen verhaftet, die dies damals miterlebt haben. Für die Nachgeborenen ist die Rede auch heute noch ein wichtiges Dokument, um zu verstehen, wie groß die Schuld der Täter war – wie wichtig die Verantwortung mit der Geschichte und die Aussöhnung ist. Das war und bleibt sie bis heute. Die daraus folgende Politik war von Friedensgedanken getragen.

Richard von Weizsäcker war ein besonderer Politiker. Einer der fähig war, Schuld anzuerkennen und daraus zu lernen. Einer der gesagt hat, was Verantwortung heißt.

Mit der Umbenennung dieses lebhaften Platzes in Richard-von-Weizsäcker-Platz gibt es jetzt in Berlin endlich einen Ort, der an ihn erinnert. Es ist zugegebenermaßen ein etwas zugiger und verkehrsreicher Ort, aber bei schönem Wetter ein beliebter Treffpunkt der Menschen aus dem Kiez. Ich denke, das hätte „Richie“ Weizsäcker, wie ihn die frechen Berlinerinnen und Berliner liebevoll nannten, gefallen.