Buchempfehlung von Ilona Vogt, Grundschullehrerin und Koordinatorin für Lerngruppen ohne Deutschkenntnisse, Schulaufsicht Berlin-Mitte / Sprachförderzentrum Berlin-Mitte
Der Bereich Sprachbildung ist in den letzten Jahren auch im Bereich der schulischen Bildung immer stärker in den Fokus gerückt. Ein großer Teil der Schulanfänger weist in diesem Bereich große Förderbedarfe auf. So ist es für Lehrkräfte in der Grundschule naheliegend, sich auch mit Literatur zu beschäftigen, die sich der vorschulischen Sprachbildung widmet, um auf Erfahrungen aufbauen zu können und vom großen Erfahrungsschatz von Expertinnen der vorschulischen Sprachförderung zu profitieren.
Als Lehrerin in einer Grundschule fühlt man sich durch den Titel des vorliegenden Buches nicht sofort angesprochen. Die Kita-Praxis scheint dann doch ein wenig weit weg vom eigenen Betätigungsfeld. Aber insbesondere für die Lehrkräfte in den unteren Klassenstufen gilt ganz sicher, dass über die reine Unterrichtszeit hinaus sehr viel Zeit mit den Kindern gestaltet wird – eben Alltagszeit. Da sind die Wege im eigenen Schulgebäude und auf dem Schulgelände, weil Fachräume, die Sporthalle oder der Schulgarten aufgesucht werden. Es gibt die Zeiten des Ankommens und Verabschiedens, die gemeinsame Frühstückszeit, die Pausengespräche, Ausflüge, Wandertage und noch viele andere Situationen, die – anders als der Unterricht – nicht vorbereitet, aber täglich gemeistert werden müssen. Viele dieser Situationen werden von den Pädagogen*innen ritualisiert gestaltet, um den Kindern eine Orientierungshilfe zu geben. Dass in den Alltagssituationen und den damit verbundenen
Handlungen ein hohes sprachanregendes Potenzial steckt, ist sicherlich nicht jedem bewusst und wird dementsprechend zu wenig genutzt. Dies gilt auch für Ideen, wie notwendige Ansprachen durch Handlungen gestützt werden können und so eine implizite Sprachförderung beinhalten. Und genau hier setzt der vorliegende Band an.
Anliegen der Autorinnen ist, an vielen Beispielen aufzuzeigen, wie alltagsintegrierte Sprachbildung gestaltet werden kann. Allen Beispielen im Buch (und an dieser Stelle greife ich ein wenig vor – fast alle dieser Beispiele sind auf die Schule übertragbar) folgt unter Punkt 3: „Was steckt dahinter?“ die Erklärung, welche pädagogischen Aspekte hinter den sprachförderlichen Ideen der Autorinnen stecken. Nein, keine Angst, es geht nicht darum nun auch die Alltagszeit wie eine Unterrichtsstunde zu planen. Das Buch zeigt an vielen Beispielen auf, wie es gelingt, Handlungen sprachlich zu begleiten oder Sprache mit Handlungen zu verbinden und so an der Sprachbildung der Kinder zu arbeiten. Nur der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Relevanz des Buches sicher nicht im Kita-Alltag endet. Berichte vieler Kolleginnen aber auch der eigene Erfahrungsschatz bestätigen leider immer wieder, dass ein großer Teil der Kinder in den Klassen der
Schulanfangsphase (SAPh) eine mangelnde Sprachkompetenz mitbringt und so die Voraussetzung für eine erfolgreiche Bildung von Beginn an erschwert ist.
Das 1. Kapitel widmet sich der Sprache im Kita-Alltag. Alle Beispiele dieses Kapitels sind eins zu eins auf den Schulalltag übertragbar oder bieten Varianten für ältere Kinder (somit auch Schulkinder) an. Besonders interessant erscheinen die Möglichkeiten, die aufgezeigt werden, Kinder in die Vorbereitung der alltäglichen Abläufe einzubeziehen. Dies wird sehr deutlich am Beispiel: „Der selbst organisierte Morgenkreis“ (Seite 12/13). Wenn man ihn wie dort beschrieben organisiert und durchführt, hat man neben dem Effekt der sprachlichen Förderung auch eine Entlastung, die ein Morgenkreis so mit sich bringt.
Das 2. Kapitel beschäftigt sich mit dem Sprechen als soziale Komponente. Hier erübrigt sich fast von selbst der Kommentar zur Relevanz für die Grundschule. Wer kennt nicht die Situationen, dass sich nach Pausen der Unterrichtsbeginn verzögert, weil Auseinandersetzungen, die auch oft körperlich ausgetragen werden, geklärt werden müssen. Diese Situationen entstehen auch im Unterricht. Ursächlich hierfür ganz sicher die Sprachlosigkeit, weil Kinder immer weniger in der Lage scheinen, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu versprachlichen oder sich in die Gefühlswelt der Betroffenen zu versetzen. In den Beispielen des Buches finden sich hilfreiche Tipps und Anregungen, wie Kinder dazu herangeführt werden können, ihre Sprache als wirkungsvolles Mittel zur Gestaltung des täglichen Miteinanders einzusetzen. Zwei Beispiele erfordern den Einsatz einer Handpuppe. Aus eigener Erfahrung kann gesagt werden, dass der Einsatz von Handpuppen auch Kinder in den ersten
Schuljahren anspricht und mit viel Freude aufgenommen wird. Die vorgestellten Freundschaftsspiele können ohne weiteres in Klassen praktiziert werden.
Im 3. Kapitel werden Möglichkeiten angeboten, um die sprachlichen Basisqualifikationen zu fördern. Es werden Übungen zur Mundmotorik, zur Schärfung der phonologischen Bewusstheit und weitere Sprachspiele vorgestellt. Da die phonologische Bewusstheit eine unbedingte Voraussetzung zum Schriftspracherwerb darstellt, ist sie auch immer wieder Thema auf Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte in der Schulanfangsphase, aber auch für Lehrkräfte in den Sprachlernklassen. Die in der Broschüre vorgestellten Übungen stellen eine Bereicherung an Ideen auch für diesen Personenkreis dar. Lediglich der Vorschlag von Seite 46 – zusammen einkaufen – ist während des Unterrichts weniger gut realisierbar, im Ganztag oder Hort aber durchaus denkbar. Das Planen und das gemeinsame Frühstück ist umsetzbar und kann der Idee entsprechend gestaltet werden.
Das 4. Kapitel befasst sich mit Möglichkeiten, die Sprachbildung mit Bewegungen und Musik zu verknüpfen und mit der Rhythmisierung des (Schul-)Tages. Die vorgestellten Ideen geben Anregungen, wie Lied- oder Gedichttexte begreifbar gemacht werden können oder wie das Verstehen von Geschichten mit Klängen und Geräuschen gestützt werden kann. Da man die Ideen ohne weiteres auf eigene Texte übertragen kann, sind diese Vorschläge außerordentlich hilfreich auch für den Grundschulpädagogen.
(Der Vorschlag von Seite 62 ist für die Grundschule nicht angemessen und in der Altersempfehlung (für Kinder im Alter von 2–4 Jahren) auch so ausgewiesen.
Im 5. Kapitel geht es um das Sammeln von mathematischen Erfahrungen. Im ersten Beispiel auf Seite 66 – einen Mengenbegriff aufbauen – ist besonders Abschnitt 3 „Was steckt dahinter“ auch für den Grundschulpädagogen interessant. Gelegenheiten zum Zählen bieten sich im Schulalltag ständig an. Diese aufzugreifen und zu nutzen, mit den Zahlen zu arbeiten und in verschiedene Darstellungsformen zu bringen, die Mengen begreifbar zu machen, ist Anliegen der Autorinnen.
Im 6. Kapitel werden Ideen aufgezeigt, wie Sprache unter Einbeziehung der Sinne erlebbar werden kann. Auch hier gilt für alle Beispiele, dass sie für die Arbeit in einer SAPh-Klasse geeignet erscheinen.
Das 7. Kapitel ist dem Umgang mit Büchern und Geschichten gewidmet. Hier wird sicher jede*r Grundschulpädagog*in dankbar für die Vorschläge sein, kennt man doch die Situation, dass Lerngruppen kaum noch in der Lage scheinen, über einen gewissen Zeitraum einer Geschichte zu folgen. So ist die Verwendung von Bilderbuchkinos in Schulen inzwischen zwar etabliert und fester Bestandteil im Unterricht, doch um die Geschichten erlebbarer und begreifbarer zu machen, dürften die Hinweise auf Einbeziehung weiterer Requisiten hilfreich für viele Kolleginnen sein. Die Methode des interaktiven Erzählens passt in den Schulalltag und lässt sich ohne weiteres umsetzen.
Das 8. Kapitel widmet sich der Sprache und den Umwelterfahrungen. An fünf Beispielen zeigen die Autorinnen auf, wie Umwelterfahrungen pädagogisch aufbereitet werden können, um den Kindern zu ermöglichen, naturwissenschaftlichen Phänomen auf die Spur zu kommen. Schaut man in den Rahmenplan des Sachunterrichts findet man unter den Zielen folgende Formulierung: „Ausgangspunkt des Lehrens und Lernens ist, soweit möglich, das Konkrete und die Realbegegnung, im und auch außerhalb des Klassenraums. Dabei erweitern die Schülerinnen und Schüler nicht nur ihr Wissen über die Welt, sondern auch darüber, wie sie selbst neue Erkenntnisse erwerben können.“
Folgt man den Vorschlägen der Autorinnen entspricht das Vorgehen voll und ganz dieser Zielstellung und bietet Wege an, die zum wirklichen Begreifen und Verstehen führen. Alle Vorschläge lassen sich den Themenfeldern des Rahmenplans Sachunterricht zuordnen.
Im 9. Kapitel geht es um die Zusammenarbeit im Team und wie diese initiiert und gestaltet werden kann. Auch dieses Kapitel bietet Ideen an, die in SAPh-Teams auf Interesse stoßen könnten, da sich einige Lehrkräfte noch immer als Einzelkämpfer begreifen und fühlen. Die Übung auf Seite 122 zum Üben des korrektiven Feedbacks ist neben einem lockeren Einstieg in eine Beratung auch das Kennenlernen einer Methode, die vielleicht nicht allen Lehrkräften vertraut ist. Die Idee der Seite 134 „Der gemeinsame Blick aufs Kind“ liefert gute Argumente für eine gemeinsame Förderplanung oder auch für das Vorgehen einer Fallbesprechung, muss aber nicht genau so wie beschrieben umgesetzt werden.
Das 10. Kapitel liefert Ideen, um die Zusammenarbeit mit den Familien zu gestalten. Im ersten Beispiel wird angeregt, die Bildungsbereiche des Berliner Bildungsprogramms transparent darzustellen. Die Idee kann in der Schule genauso mit den Inhalten des Rahmenplans umgesetzt werden.
Sehr gelungen ist die Idee der Seite 114: „Aushänge für mehrsprachige Eltern“. Da in der Schule viele Kinder nicht mehr zur Schule gebracht oder abgeholt werden, ist die Idee für die Schule vielleicht nicht mehr so praktikabel, aber als Aushang in der Klasse bei anstehenden Ausflügen sicher sehr hilfreich. Wenn „der Rucksack“ mit den Kindern gepackt wird (Wortschatzaufbau) und dann im Klassenraum aushängt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Kinder gut ausgerüstet zum Ausflug erscheinen, deutlich höher.
Die anderen Vorschläge des Kapitels könnten dann hilfreich sein, wenn ein Themen-Elternabend organisiert werden soll.
Die Idee des Lesecafes (Seite 156) kann gut mit der Idee der mehrsprachigen Bilderbuchbetrachtung mit Familien (Seite 98) kombiniert werden und auch klassenübergreifend organisiert werden.
Fazit: Der vorliegende Band bietet für Grundschulpädagogen/innen vielfältige Möglichkeiten, wie im Alltag über Förderprogramme und Sprachbildungskonzepte hinaus an der Sprachbildung durch sprachlich begleitetes Handeln bzw. durch handelnd begleitete Sprache gearbeitet werden kann. Beim Lesen der Vorschläge entstehen wie von selbst eigene Ideen und das nicht nur für die Alltagszeit – viele Ideen sind auch für die Gestaltung des sprachsensiblen Unterrichts sehr hilfreich.
© Ilona Vogt
SprachFörderZentrum Berlin Mitte