11. November 2024
Das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung Mitte haben am 11. November 2024 an die Opfer der Reichspogromnacht erinnert. Zusammen mit Schüler*innen des Gymnasiums Tiergarten, des Lessing-Gymnasiums, der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule und des Französischen Gymnasiums fanden an vier Orten in Mitte Gedenkveranstaltungen statt.
Am Güterbahnhof Moabit, am Siegmunds Hof, am Levetzow-Denkmal und am Jüdischen Krankenhaus erinnerten die Schüler*innen mit Lesungen, Augenzeugenberichten und Gedichten an die schrecklichen Ereignisse im November 1938.
Wie kein anderer Ort im Bezirk steht der Güterbahnhof Moabit für das Grauen, das viele Jüd*innen aus Berlin durchleben mussten. Am dortigen Gedenkort versammelten sich Schüler*innen der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule, Vertreter*innen der jüdischen Gemeinde, der BVV Mitte und des Vereins “Gleis 69” sowie Bezirksstadtrat Christoph Keller und Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger, um an die mehr als 30.000 Menschen zu erinnern, die vom Güterbahnhof aus in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. “Es gilt gerade heute, jetzt in dieser Zeit, auf Zwischentöne zu hören. Hinhören und Zuhören sind notwendig, wenn Verstehen, Verständigung und Versöhnung gelingen sollen”, sagte Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger.
Schüler*innen des Französischen Gymnasiums, Bezirksstadtrat Carsten Spallek und Mitglieder des Vereins „Sie waren Nachbarn“ haben am Gedenkort Levetzowstraße an alle Menschen erinnert, denen vor 86 Jahren Schreckliches widerfahren ist. Eine szenische Lesung der Schüler*innen der 10. Klasse und das gemeinsame Entzünden von Kerzen standen im Fokus des Gedenkens. “Das, was die Schülerinnen und Schüler hier heute vorgetragen haben, macht Hoffnung. Davon brauchen wir mehr, nicht nur heute, nicht nur morgen, sondern dauerhaft”, sagte Bezirksstadtrat Carsten Spallek. Am heutigen Mahnmal in der Levetzowstraße stand bis 1955 die Synagoge der jüdischen Gemeinde zu Berlin. 1941 wurde sie von den Nationalsozialisten als Sammellager für die Deportation der Jüd*innen in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager genutzt. 1955 musste das jüdische Gotteshaus abgerissen werden – zu groß waren die Schäden durch Luftangriffe.
Im Jüdischen Krankenhaus ist man stolz darauf, auch während des Nationalsozialismus und des Krieges Menschen geholfen zu haben. “Wir waren und sind ein Ort der Hoffnung”, sagte Dr. Robin Kleinwächter, der ärztliche Vorstand. Bezirksstadtrat Ephraim Gothe erinnerte nicht nur an die Schrecken der Vergangenheit, sondern rief auch die Gegenwart in Erinnerung. Seit dem Anschlag vom 7. Oktober 2023 zeige sich täglich auf den Straßen, dass die Stadtgesellschaft längst nicht so tolerant und aufgeklärt sei wie lange angenommen. Vor allem in den Schulen sei eine Menge pädagogische Arbeit unerledigt. Orte wie die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee oder das House of One machten in hingegen stolz. Gothe: “Wir sind heute hier zusammengekommen, um uns gegenseitig im Willen zum ‘Nie wieder’ zu bestärken.” Die Schüler*innen des Lessing-Gymnasiums haben sich intensiv mit den Geschehnissen vom 9. November 1938 auseinandergesetzt. Ihre historische
Auseinandersetzung zeigte sich in selbst geschriebenen Gedichten, Zitaten von Zeitzeug*innen und einem kämpferischen Aufruf, sich gegen rechtsextreme Bestrebungen im Freundeskreis, in der Familie und auf politischer Ebene zu engagieren. Lehrerin Julia Tolksdorf appellierte an alle Anwesenden: “Nächstenliebe, Toleranz und Menschlichkeit – das sind Werte, die nie verloren gehen dürfen.” Gemeinsam mit Vertreter*innen der BVV Mitte und des Jüdischen Krankenhauses legten die Schüler*innen neben dem Eingang des Krankenhauses einen Kranz nieder und verharrten im stillen Gedenken.
Am Denkmal der israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel am Siegmundshof, wo einst eine Synagoge stand, erinnerten sich Schüler*innen des Tiergarten-Gymnasiums an das Schicksal der Menschen, deren Namen auf den Stolpersteinen in der Umgebung eingeprägt sind. Sie wurden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet. Darunter auch Albert Hensche. Im ersten Weltkrieg hatte er noch für Deutschland in Frankreich gekämpft, danach war er Markler in Berlin. 1938 wurde als Jude in Schutzhaft genommen, zwei Tage später kam er ins KZ Buchenwald, wo er noch im selben Jahr starb. “Jüdische Bürgerinnen und Bürger wurden systematisch gedemütigt und sind enteignet worden. Das darf nie wieder passieren. Wir haben die Verantwortung zu tragen, dass sich so etwas nicht wiederholt”, sagte Bezirksstadtrat Benjamin Fritz.