In der Nacht vom 9. zum 10. November brannten in Mitte Synagogen. Nationalsozialisten zerstörten Geschäfte jüdischer Inhaber*innen, misshandelten und verschleppten Jüdinnen und Juden in Folterkeller und Konzentrationslager. 85 Jahre später gedachten Vertreter*innen des Bezirksamts und der Bezirksverordnetenversammlung Mitte an vier Orten im Bezirk der Ereignisse in der Reichspogromnacht.
Der Güterbahnhof Moabit symbolisiert das Grauen des Nationalsozialismus. Am dortigen Gedenkort versammelten sich Schüler*innen der Theodor-Heuss-Gemeinschatsschule, Vertreter*innen der jüdischen Gemeinde, der BVV Mitte und Bezirksstadträtin Dr. Almut Neumann, um an die mehr als 30.000 Menschen zu erinnern, die vom Güterbahnhof aus in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Die Bezirksstadträtin erinnerte an die Worte “Nie wieder!”. “Doch es passiert gerade wieder”, sagte sie mit Blick auf die Auswirkungen des Kriegs im Nahen Osten. In diesen dunklen Wochen zeige sich, dass der Dialog nicht abreißen dürfe. Es brauche geschützte und moderierte Räume, damit Schüler*innen dort sprechen und aufgefangen werden können”, sagte Almut Neumann.
Schüler*innen des Französischen Gymnasiums, Bezirksstadtrat Carsten Spallek, Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung Mitte und des Vereins „Sie waren Nachbarn“ haben am 9. November am Gedenkort Levetzowstraße an alle Menschen erinnert, denen vor 85 Jahren Schreckliches widerfahren ist. In einer szenischen Lesung thematisierten Schüler*innen der 10. Klasse das Thema Hass: „Hass ist wie ein Brand in der Seele…Hetzen ist vorsätzliche Brandstiftung…seid mutig, seid beherzt, nehmt die Feuerlöscher in die Hand.“ Spontan unterstützt wurden die Oberschüler von einer vierten Klasse der evangelischen Schule Charlottenburg. Gemeinsam stimmten sie „Hevenu Schalom Alechem“ an.
Bezirksstadtrat Carsten Spallek: „Es erfüllt mich mit Demut und Freude, dass wir heute gemeinsam derer gedenken, die auf schrecklichste Weise ihr Leben verloren haben und derer, denen es auch in diesen Tagen widerfährt. Menschliches Leid kennt keine religiösen Grenzen, deswegen gilt gerade in dieser Zeit: Hinhören und Zuhören!“
Am heutigen Mahnmal in der Levetzowstraße stand bis 1955 die Synagoge der jüdischen Gemeinde zu Berlin. 1941 wurde sie von den Nationalsozialisten als Sammellager für die Deportation der Jüd*innen in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager genutzt. 1955 musste das jüdische Gotteshaus abgerissen werden – zu groß waren die Schäden durch Luftangriffe.
Am Mahnmal Siegmunds Hof, wo einst eine Synagoge stand, erinnerten sich Schüler*innen des Tiergarten-Gymnasiums an das Schicksal der Menschen, deren Namen auf den Stolpersteinen in der Umgebung eingeprägt sind. Sie wurden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet. Andere 10. Klassen erinnerten an den jüdischen Widerstand und an die ehemalige Synagoge in der Levetzowstraße. Dr. Mario Offenberg von der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zog Parallelen vom Nationalsozialismus in die heutige Zeit. Damals seien viele Menschen gleichgültig gewesen: “Die Volksgemeinschaft hat bei den Verbrechen gegen die Juden weggeschaut oder gegafft.” Es müsse ein Gebot gegen die Gleichgültigkeit geben, “denn auch jetzt passieren Dinge, die wir uns vor ein paar Jahren nicht hätten vorstellen können”, mahnte Offenberg. Im Unterschied zu damals gebe es heute einen funktionierenden Rechtsstaat, doch sei auch dieser keine
Selbstverständlichkeit und müsse geschützt werden. “Bestimmte Dinge, die Minderheiten heute betreffen, können eines Tages uns alle betreffen”, sagte Offenberg. Bezirksstadtrat Benjamin Fritz dankte den Schüler*innen für ihren Beitrag zur Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht. Dem Bezirksamt Mitte liege es am Herzen, dass man den Weg des Miteinanders weiter gemeinsam gehe. “Vielfalt ist ein hohes Gut”, sagte Fritz, “wir dulden nicht, wenn diese mit Gewalt eingeschränkt wird. Diese klare Botschaft soll heute von diesem Ort ausgehen.”