Sinti und Roma in der DDR

Sinti-Familie vor ihrem Wohnwagen mit DDR-Plakette

Sinti-Familie vor ihrem Wohnwagen mit DDR-Plakette

Nach der Verfolgung durch das NS-Regimen ließen sich einige wenige Sinti- und Roma-Familien in der DDR nieder. Offiziell gehörten Sinti und Roma zu den „Verfolgten des Naziregimes“, eine Anerkennung dieses Status erhielten jedoch nur wenige. Stereotype und Stigma lebten in der DDR fort – sowohl in den staatlichen Institutionen als auch in Teilen der DDR-Bevölkerung.

Vorgeschichte, Verfolgung durch die Nationalsozialisten

Heutzutage sind Sinti und Roma eine anerkannte nationale Minderheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik hat sich zum Schutz dieser Minderheit, ihrer Sprache und Bräuche verpflichtet. Dies war nicht immer so. Neben jüdischen Menschen galten auch Sinti und Roma unter der nationalsozialistischen Herrschaft als „Volks- und Reichsfeinde“. Die Konsequenz war eine organisierte Verfolgung und Vernichtung der ca. 30.000 in Deutschland lebenden Sinti und Roma. Sie waren Maßnahmen wie Zwangssterilisation, Zwangsarbeit und der Verschleppung in Konzentrations- und Arbeitslager ausgesetzt. Nur wenige Angehörige der Minderheit überlebten den Porajmos (Romanes, zu Deutsch: „das Verschlingen“), also den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma. Von den vor dem Völkermord auf dem Gebiet der SBZ und späteren DDR lebenden 5.000 Angehörigen der Sinti und Roma gab es nach dem NS-Regime nur noch ca. 600 Überlebende.

Anerkennung in der DDR

Sinti und Roma galten in der DDR von Anfang an als Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Damit stand ihnen – theoretisch – der Status „Verfolgter des Naziregimes“ zu, der mit einer Vielzahl an sozialpolitischen Vergünstigungen und Unterstützungsleistungen einherging. Doch nur ein Bruchteil der in der DDR lebenden Sinti und Roma war faktisch als Verfolgte des NS-Regimes anerkannt. Die Gründe dafür waren vielfältig.

Das SED-Regime ordnete die Verfolgten der NS-Herrschaft in unterschiedliche Gruppen ein. Auf der Basis der ideologischen Grundsätze der SED ergab sich eine Hierarchie, an deren Spitze Menschen standen, die durch ihre antifaschistische Tätigkeit verfolgt und inhaftiert worden waren. Das betraf also vor allem Kommunistinnen und Kommunisten, die im NS-Regime offen Widerstand geleistet hatten. Sie erlangten einen regelrechten Heldenstatus in der DDR. Menschen, die aus rassistischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden, genossen dagegen ein weniger hohes Ansehen.

Sinti und Roma waren skeptisch gegenüber Behörden, auch aufgrund ihrer Erfahrungen während der Zeit des Nationalsozialismus, war doch der brutale Massenmord bürokratisch geplant worden. Für eine Anerkennung als „Verfolgter des Naziregimes“ mussten sich Menschen jedoch als den Sinti und Roma zugehörige Personen melden. Das war für viele angesichts ihres Traumas ein schwieriger Schritt. Denjenigen, die den Schritt wagten, stellte das SED-Regime zahlreiche Hürden in den Weg. Vor allem mussten Sinti und Roma beweisen, dass sie wirklich aufgrund rassistischer Motive verfolgt wurden und nicht wegen des Stigmas als sogenannte „Asoziale“. Dies zu beweisen war häufig kaum möglich, denn die DDR-Behörden führten in vielen Fällen die Kriminalakten des NS-Regimes weiter, bezogen sich also auch dort auf rassistisch-motivierte Stereotype und Kriminalisierung.

Eine überlebende Sinteza in ihrer Wohnung

Eine Sinteza, die die Verfolgung durch die Nazis überlebt hat, in ihrer Wohnung

Stigma und Stereotype

Deshalb gingen viele Sinti und Roma in die Bundesrepublik, solange dies noch möglich war. Andere wurden durch das SED-Regime ausgewiesen. Viele Sinti und Roma wurden erneut aus ihren Leben herausgerissen, wie es ihnen bereits im NS-Regime widerfahren war. Die Geschichte einer Minderheit, die immer wieder vertrieben wurde, setzte sich somit fort.

In der DDR bestanden zudem rassistische Strukturen und Einstellungen fort, auch wenn das SED-Regime öffentlich seine antifaschistische Grundhaltung bekundete. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Sinti und Roma berichten immer wieder über den Rassismus, der ihnen beispielsweise im Klassenzimmer oder am Arbeitsplatz widerfuhr. Sei es die Nutzung rassistischer Sprache oder das Betonen rassistischer und verletzender Stereotype – einige davon waren fest im DDR-Sprachgebrauch verankert und sind es teilweise bis heute.

Sinti-Familie vor ihrem Wohnwagen mit DDR-Plakette

Leben in der DDR und Repräsentation

Stereotype, die auf der einen Seite rassistische Äußerungen hervorrufen, sorgen auf der anderen Seite auch für eine Faszination für Sinti und Roma. Die im Gegensatz zum streng regulierten Staat stehende propagierte Freiheit der Sinti und Roma, die häufigen Ortswechsel, die so fremd erscheinende Kultur faszinierte einige Menschen in der DDR. Diese Exotisierung basierte jedoch häufig auf den gleichen Vorurteilen, auf denen auch rassistische Äußerungen basierten. Das Bild von Sinti und Roma war häufig durch filmische und literarische Darstellungen geprägt: Das Buch „Ede und Unku“ gehörte in der DDR zur Schullektüre und beruhte auf einer wahren Begebenheit. Die wenigsten DDR-Bürgerinnen und -Bürger hatten jedoch in ihrem Alltag Berührungspunkte zu Sinti und Roma.

Sinti und Roma in der DDR schufen sich ihre Freiräume und lebten häufig im gewohnten familiären Verband. Dabei führten einige Familien die Tradition fort, im Winter ein Winterquartier zu errichten und im Sommer Wohnwagen zu bewohnen. Andere lebten ganzjährig in Wohnungen, integriert in die Gemeinschaft im Mietshaus. Ein gutes Bild vom Alltag schuf der Fotograf Markus Hawlik-Abramowitz, der im Jahr 1983 im Rahmen einer Fotoserie ein Porträt der in der DDR lebenden Sinti-Minderheit angefertigt hat.

Sinti und Roma konnten ihre Kultur und Tradition nur in seltenen Fällen öffentlich teilen. Eine Ausnahme stellt dabei die Musik dar. In der DDR als Berufsmusikerin oder -musiker zu arbeiten war nur schwer möglich und wurde den meisten Angehörigen der Sinti und Roma untersagt. Der in den 1980er-Jahren gegründeten Band Sinti-Swing-Berlin gelang das allerdings und sie bekam sogar die Möglichkeit, eine Platte aufzunehmen.

Gedenkstein zur Erinnerung an die Opfer des Porajmos in Berlin-Marzahn

Gedenkstein zur Erinnerung an die Opfer des Porajmos in Berlin-Marzahn

Erinnerung

Einer der prägendsten Orte der jüngsten Geschichte der Sinti und Roma befindet sich bis heute in Berlin-Marzahn. Dort waren unzählige Angehörige der Sinti und Roma von 1936 bis 1945 in einem NS-Zwangslager interniert. Auch nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht und Übernahme durch die Alliierten wurde das Lager noch bis 1947 aus Ermangelung an Wohnraum als Unterbringung für einzelne Familien genutzt.

Fast vierzig Jahre dauerte es, bis dieser historische Ort eine Markierung erhielt. 1986 konnte nach einer privaten Initiative des Pfarrers Bruno Schottstädt und des Autors und Aktivisten Reimar Gilsenbach ein Gedenkstein errichtet werden. Dieser erinnert bis heute an die ermordeten Sinti und Roma im Zwangslager Marzahn. Generell führte die bereits beschriebene Opferhierarchie im SED-Staat dazu, dass den Opfern der Sinti und Roma nur selten gedacht wurde. Meist blieb ihre traumatische Geschichte unsichtbar, und es ist vor allem dem Engagement einiger weniger zu verdanken, dass die Geschichte der Sinti und Roma in der DDR überhaupt Aufmerksamkeit erfuhr.

Erst 2011 wurde auf dem Gelände des ehemaligen NS-Zwangslagers und dem heutigen Otto-Rosenberg-Platz (benannt nach dem langjährigen Vorsitzenden des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg) eine Ausstellung errichtet, die aus dem Ort des Gedenkens auch einen Ort der Information machte.

Über das Leben von Sinti und Roma in der DDR gibt es nur wenige wissenschaftliche Arbeiten. Reimar Gilsenbach hat sich während der DDR nicht nur ehrenamtlich für viele Sinti-Familien engagiert, sich für ein Gedenken an den Porajmos eingesetzt und ihnen bei Behördengängen geholfen, ihm ist es zu großen Teilen auch zu verdanken, dass es überhaupt Darstellungen des Lebens von Sinti in der DDR gibt. Bis heute fußen die wenigen Arbeiten darüber auf seinen Beobachtungen und Recherchen. Das Buch „Sinti in der DDR. Alltag einer Minderheit“ aus dem Jahr 2020 veröffentlicht erstmalig die Fotografien von Markus Hawlik-Abramowitz. Die Gedenkstätte Berlin-Marzahn bietet auf ihrer Website Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die auch über ihre Erfahrungen in der DDR sprechen. Deutlich wird, dass sich bis heute ein Großteil der Darstellungen über das Leben von Sinti und Roma in der DDR mit dem Kampf um Anerkennung als Opfer des NS-Regimes und die in der DDR andauernden Stereotype beschäftigen.