Geschlechtergerechter Haushalt in Berlin

Die Idee eines geschlechtergerechten Haushalts ist, öffentliche Mittel an alle Bürgerinnen und Bürger so zu verteilen, dass Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen gleichermaßen davon profitieren. Die öffentlichen Mittel leisten somit einen Beitrag, Diskriminierung zu beseitigen und Geschlechtergerechtigkeit als demokratische Aufgabe zu verwirklichen. In Berlin wird seit 20 Jahren daran gearbeitet, den Haushalt geschlechtergerecht zu machen.

Gender Budgeting oder Gender Budget sind die Fachbegriffe, der international genutzt werden und als Teil der Qualitätsentwicklung von öffentlichen Haushalten (“Good Financial Governance”) etabliert sind. Im deutschsprachigen Raum ersetzt der Begriff “Geschlechtergerechter Haushalt” zunehmend die englischen Begriffe.

Beginn vor 20 Jahren – der Beschluss des Parlaments

Dem Beschluss des Abgeordnetenhauses 2002 ging die Arbeit zivilgesellschaftlicher Frauenorganisationen und engagierter Einzelpersonen voraus, die für die Einführung von Gender Budgeting gekämpft und das Thema auf die politische Agenda gesetzt haben.

Unter dem gemeinsamen Vorsitz der Senatsverwaltung für Finanzen und der für Frauen und Gleichstellung zuständigen Senatsverwaltung wurde 2003 die bis heute tagende Arbeitsgruppe (AG) Gender Budgeting (heute AG Geschlechtergerechte Haushaltssteuerung) eingerichtet.

Hier arbeiten die für Haushalt zuständigen Akteurinnen und Akteure aus allen Senats- und Bezirksverwaltungen daran, den Anspruch der Berliner Verfassung auf gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen umzusetzen. Mitglieder des Abgeordnetenhauses und externe Expertinnen und Experten sind ebenfalls Mitglieder der AG.

Gerecht, bedarfsorientiert und transparent – die Umsetzung im Haushalt

Das Abgeordnetenhaus von Berlin entscheidet als Haushaltsgesetzgeber nicht nur darüber, wofür öffentliche Gelder ausgegeben werden sollen, sondern – etwa nach Maßgabe des Gender Budgeting – auch wie: nämlich gerecht, bedarfsorientiert und transparent.

So fordert das Abgeordnetenhaus mit Auflagen zum jeweiligen Doppelhaushalt von der Verwaltung eine stete Weiterentwicklung des Gender Budgeting ein – und das bereits seit dem Doppelhaushalt 2004/2005.

Seit dem Doppelhaushalt 2006/2007 werden Gender Budgeting Daten systematisch in den Einzelplänen abgebildet. Dies gilt sowohl für Haushaltstitel der Hauptverwaltungen, die nach dem kameralen Haushaltssystem arbeiten als auch für Produkte der Bezirke, die ihre Mittel in Produkthaushalten verwalten.

Ausweitung und Entwicklungen – wichtige Meilensteine

Im Laufe der Zeit hat der Gender Budgeting Prozess qualitative Entwicklungen durchlaufen. So wurde die Analyse differenzierter und erfasst, wer Finanzmittel aus dem Landeshaushalt (z.B. Betriebe) erhält und wem die Finanzmittel am Ende tatsächlich zugutekommen (z.B. den Auszubildenden).

Im Jahr 2010 wurden mit der damaligen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales die Grundlagen geschaffen, um Daten zur fachlichen Steuerung zu erheben. Im Jahr 2013 wurde ein verwaltungsinterner Wettbewerb zur Umsetzung innovativer Projekte ausgelobt. Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist die Einführung der Soll-Ist-Vergleiche mit dem Doppelhaushalt 2014/2015.

Das bedeutet, dass für einzelne Haushaltstitel geschlechtergerechte Ziele (“Soll”) definiert werden, deren Erreichung dann z.B. anhand der Zahl der Nutzerinnen und Nutzer (“Ist”) überprüft werden kann.

Die Stärken des Berliner Prozesses

Der Geschlechtergerechte Haushalt ist ein wichtiger Baustein in der Weiterentwicklung moderner öffentlicher Verwaltung. Der Berliner Prozess zeichnet sich durch folgende Stärken aus:

  • Integrierter Ansatz: Der Berliner Landeshaushalt ist ein wichtiges Steuerungsinstrument für die Umsetzung gesellschaftspolitischer Zielsetzungen. Die Herstellung und Sicherung der Gleichstellung und der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens (Art. 10 Abs. 3 S. 2 Verfassung von Berlin) wird daher explizit auch als Aufgabe der Haushaltspolitik und Mittelverwaltung verstanden. Ein solcher Querschnittsansatz ist anspruchsvoll, aber konsequent und zielführend. Er beinhaltet, dass Geschlechtergerechte Haushaltssteuerung Teil des regulären Haushaltsprozesses ist und die dafür erforderlichen Daten Teil der Haushaltspläne sind.
  • Fachliche Zuständigkeiten: Gender Budgeting wurde in Berlin bei der Senatsverwaltung für Finanzen verortet, die von Anfang an aktiv daran beteiligt war. Damit wird der verfassungsrechtliche Gleichstellungsauftrag explizit auch als Aufgabe der Haushaltspolitik und Mittelverwendung verstanden.
  • Starke Umsetzungsorientierung: Der Berliner Prozess war sehr früh als “learning by doing” angelegt. Statt auf befristete Pilotprojekte zu setzen, wurde der Geschlechtergerechte Haushalt von vornherein langfristig und entwicklungsorientiert gedacht. Im Rahmen der Weiterentwicklung und Ausweitung des Prozesses hat Berlin auch regelmäßig externe Expertise einbezogen.

Geschlechtergerechte Haushaltssteuerung in der Praxis

Die drei folgenden Berliner Beispiele zeigen auf, dass eine geschlechtergerechte Verteilung von öffentlichen Gelder bedarfsorientierter und wirkungsvoller ist.

Krankenhausflur mit medizinischem Personal und Patientin im Rollstuhl

Aufstiegs-BAföG - damit beruflicher Aufstieg von Männern und Frauen gleichermaßen gefördert wird

Das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (Aufstiegs-BAföG) des Bundes, umgangssprachlich zunächst als “Meister-BAföG” bekannt, finanziert die berufliche Fortbildung von Fachkräften. Eine Analyse im Rahmen des Berliner Gender Budgeting Prozesses zeigte, dass diese Förderung vor allem Personen in sogenannten “Männerberufen” zugutekam, weniger in frauendominierten Branchen, wie z.B. der Kranken- und Altenpflege oder dem Bereich Erziehung.

Der Begriff “Meister-BAföG” weckt fälschlicher Weise den Eindruck, dass die Förderung nur für das Handwerk sei. Als Maßnahme wurde daher empfohlen, z.B. an Fachschulen für Altenpflege und bei Landessiegerehrungen durch Auswahl von Auszubildenden aus den sogenannten “Care-Berufen” (Betreuung, Erziehung, Pflege) gezielt das “Aufstiegs-BAföG” zu bewerben.

Zwei Mädchen spielen in der Sandkiste

Gestaltung von Spielplätzen - damit Mädchen und Jungen gleichermaßen Platz zum Spielen haben

Öffentliche Freizeitflächen werden von Jungen und Mädchen teilweise unterschiedlich bespielt. Während Mädchen eher Reckstangen und Trampolins nutzen, werden Bolzplätze, BMX- und Skater-Parcours häufiger von Jungen besucht.

Sportangebote, die vor allem Mädchen dienen, sind im Verhältnis kleiner und meist nur in begrenzter Zahl verfügbar. Im Rahmen des Berliner Gender Budgeting Prozesses wurde untersucht, wie öffentlicher Raum gerechter verteilt und dem Spielverhalten aller Kinder, explizit auch dem der Mädchen, Rechnung getragen werden kann. Auch Bedürfnisse anderer Zielgruppen, wie beispielsweise Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen oder älteren Menschen wurden berücksichtigt.

Das Projekt “Gender Budgeting für die Unterhaltung und Erneuerung von öffentlichen Spielplätzen” des Bezirks Spandau hat 2013 den Wettbewerb als bestes Gender Budgeting Projekt in der Berliner Verwaltung gewonnen und wird seitdem von den meisten Berliner Bezirken umgesetzt.

Volleyball spiel sport mit gruppe von mädchen indoor in sport arena

Sportförderung - damit der Sport von Berlinerinnen genauso gefördert wird wie der von Berlinern

Die Angebote von Berliner Sportvereinen werden vor allem von Jungen und Männern genutzt. Sie machen rund zwei Drittel der Mitglieder aus. Frauen und Mädchen werden bei der Vergabe von Trainingsmöglichkeiten häufig auf Randzeiten verwiesen. Dies steht der Gründung von Frauen- und Mädchenmannschaften oft im Weg. Sportarten, die in der Regel von Frauen und Mädchen gewählt werden, wie u.a. Tanz und Fitness müssen in der Regel privat bezahlt werden. Öffentlich geförderten Sport machen damit vor allem Männer und Jungen. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wurden im Rahmen einer Sportstättenrenovierung die Bürgerinnen und Bürger befragt, wie sie sich eine attraktive Sporthalle vorstellen. Das Ergebnis war ein Nutzungskonzept, das die Interessen von Frauen und Mädchen in den Vordergrund stellt.

Das Konzept wurde im Rahmen des Berliner Gender Budgeting Wettbewerbs prämiert und wurde mittlerweile als Modellprojekt Frauensporthalle umgesetzt.

Die Leitstelle für Geschlechtergerechte Haushaltssteuerung (LGH)

Der Geschlechtergerechte Haushalt stellt als modernes Verwaltungshandeln neue Anforderung an die Zusammenarbeit zwischen Hauptverwaltung und Bezirken, zwischen den Haushalts- und Fachbereichen und zwischen Führungs- und Fachebene.

Im Jahr 2022 wurde daher für die Koordination und die konzeptionelle Weiterentwicklung die Leitstelle für Geschlechtergerechte Haushaltssteuerung in der Abteilung II Finanzpolitik und Haushalt der Senatsverwaltung für Finanzen eingerichtet. Ihre Aufgabe ist es, den Prozess für einen Geschlechtergerechten Haushalt in Berlin in enger Zusammenarbeit mit der AG Geschlechtergerechter Haushalt zu koordinieren und weiterzuentwickeln.

So wird die Mittelverwendung transparenter und der Finanzhaushalt stärker ziel- und wirkungsorientiert gesteuert und kann seinen Beitrag für eine gute Entwicklung der Stadt entfalten.

Stadtbürgerkonzept

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Hier finden Sie weitere Informationen von der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. Weitere Informationen