Nachhaltig leben - Kann man das in der vhs Tempelhof-Schöneberg lernen?

Porträt Derk Ehlert

Interview mit dem Wildtierbeauftragten Derk Ehlert

Derk Ehlert ist Berlins Wildtierreferent und kümmert sich nicht nur um die Probleme der Berliner*innen mit Füchsen und Wildschweinen. Er ist Dozent der gefragtesten Kurse und Führungen der Berliner Volkshochschulen.

Sein Blick geht jedoch nicht nur zu den Feldlerchen auf dem Tempelhofer Feld, sondern weit in die Zukunft. Auch in die Zukunft der Volkshochschulen. Wir sprachen mit ihm über über seinen Weg zur vhs und die Veränderungen in der Erwachsenenbildung in den vergangenen Jahren. Und wie er die Rolle der Umweltbildung im Rahmen der Nachhaltigkeit sieht.

Was bedeutet es für Sie, für die vhs zu arbeiten?

Ich bin tatsächlich vor über 30 Jahren an die vhs gekommen mit einer kleinen Veranstaltung zur Vogelwelt. Vor 30 Jahren war es mehr eine Lehrveranstaltung, heute ist Umweltbildung ein permanenter Dialog und ich gebe zu, auch ein Event. Die Fahrt ins West-Havelland oder die Fahrt in den Spreewald, das sind Events. Und man muss sich deutlich besser und anders vorbereiten, das Niveau ist gestiegen. Aber auch das Engagement der Teilnehmenden hat sich verändert.

Nämlich?

Es erfordert heute viel mehr, weil die Teilnehmenden besser informiert sind. Die Erwartungshaltung ist auch gestiegen: Vor einigen Jahren ging es vielen Teilnehmenden allein um das Kennenlernen der Natur, heute wird zunehmend Sensationelles und ein Event erwartet. Dann ist nicht nur der riesige Seeadler interessant, der sich an einen Feldhasen macht. Sondern es kann genauso der Blattlauslöwe sein, ein ganz kleines Insekt, das da rumfliegt, das man den Leuten näherbringt.

Die Altersstruktur der Teilnehmenden hat sich verändert und zwar grundsätzlich: Waren es noch vor 20 Jahren eher Menschen, die frisch ins Rentenalter eintraten, sind es heute zunehmend Menschen Ende 30 bis Mitte 50. Auch das Interesse hat sich verändert. Es ist nicht mehr eine reine Lehrveranstaltung, welcher Vogel ist das? Wie sieht der aus? Es wird heute gefragt: Wie lebt er? Warum geht´s ihm schlecht? Wo zieht der hin und warum gibt es ihn in Berlin besonders häufig? Da wird deutlich mehr hinterfragt.

Schwan auf See

Haben sich über die Jahre auch die Inhalte verändert?

Ich kann heute keine Führung mehr über Amseln und Grünfinken im Tempelhofer Kleingarten machen. Das Tempelhofer Feld ist eine großartige und wichtige Fläche geworden. Es sind anspruchsvollere Veranstaltungen, beispielsweise zum Gehölzschnitt. Das war am Anfang reiner Theorieunterricht. Heute wollen das die Leute praktisch erleben, sie wollen rausgehen und Praxis im eigenen Garten haben.

Oder es gibt Veranstaltungen wie das Kennenlernen von verschiedenen Landschaftsräumen, die sich verändert haben. War es Anfang der 90er Jahre noch das unmittelbare Umfeld von Kleinmachnow, Groß- und Kleinbeeren – da kann ich heute keinen mehr hinschicken. Die Leute wollen heute an die polnische Grenze oder zu Exkursionsgebieten, in die man sonst nicht kommt.

Sie schaffen es in bewundernswerter Weise, das Interesse der Teilnehmenden zu gewinnen. 200 Menschen stehen auf Ihren Wartelisten. Wie kann man Lernanstöße für eine lebenswerte Zukunft geben? Wie können wir verantwortungsbewusst handeln, auch für nachfolgende Generationen? Haben Sie Beispiele aus Ihrer pädagogischen Praxis, wo die Teilnehmenden sich anschließend engagiert haben?

Ich mache die Veranstaltungen nicht nur, weil ich Spaß daran habe und den Umwelt- und Naturschutz vorantreiben möchte, sondern es liegt mir viel daran, dass ich etwas von den Hörenden bekomme, nämlich ganz viel Feedback und Ideen. Ich glaube das geht den meisten Dozenten und Dozentinnen so, dass man von den Hörerinnen und Hörern Ideen bekommt, Hinweise, Rückkopplungen – und auch Sachen hinterfragt werden, an die man selber nicht denkt. Themen neuer Veranstaltungen, aber auch ganz neue Reihen und Schwerpunkte. Das zweite ist, dass man selber Ambitionen hat, zur vhs zu gehen, zu unterrichten und sich zu engagieren.

Und in dem Zusammenhang ist die Basis der Teilnehmenden auch gleichzeitig der Motor, um bestimmte neue Dinge anzustoßen. Das merke ich jedenfalls, in Zeiten der Pandemie, in denen ich keine Veranstaltung machen kann und ich nach über 30 Jahren mal Luft habe, darüber nachzudenken.
Und da stelle ich dann fest, dass nicht die vhs mich braucht, sondern umgekehrt: Ich brauche wirklich die Teilnehmenden. Ja, ich stecke an – ich möchte auch anstecken. Also ich habe ein Interesse Menschen mitzunehmen und das ist auch die Energie, die mich antreibt.

Kursgruppe bei Naturbetrachtung

Und mich interessiert das breite Spektrum. Nirgendwo, in keiner anderen Struktur von Lehrenden gibt es so einen Querschnitt wie in der vhs. Es ist ja ein Leichtes, Veranstaltungen anzubieten bei Fachexkursionen, bei Fachgremien, Universitäten oder anderen Organisationen. Da hat man aber immer bestimmte Teilnehmerkreise. In der vhs ist es extrem unterschiedlich. Da kommt eben die Studentin von nebenan bis hin zu Hochbetuchten und Hochbetagten. Die Summe aller, der Querschnitt, der daraus entsteht, das ist das Wesentliche, was ich auch mitnehme in mein Leben und meinen Alltag. Das sind Dinge, glaube ich, wo die vhs eine ganz große Verantwortung hat und es gibt auch keine Institution, die das in dieser Form anbietet. Und auch leicht anbietet. Also für diejenigen, die wenig Geld haben, dieselbe Veranstaltung wie für Menschen, die besser gestellt sind. Und das finde ich sehr gesund und wichtig für die Gesellschaft und auch das Vorantreiben bestimmter Schwerpunkte wie der Umweltbildung.

Was mir bis heute fehlt, vielleicht gelingt uns das ja gemeinsam, tatsächlich den Anteil der Teilnehmenden mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Das ist etwas, was auch der Stiftung Naturschutz und anderen Organisationen bisher nicht wirklich gelungen ist.
Sie sind vielleicht nicht uninteressiert und es liegt auch nicht an der Sprache aber da gibt es unterschiedliche Themenfelder und vielleicht ist ja Fridays for Future eine Möglichkeit, das Spektrum zu erweitern.

Die Einordnung der Nachhaltigkeit als Leitbild im 21. Jahrhundert – welche Rolle kann da die Erwachsenenbildung in Form von Umweltführungen spielen?

Das sieht man ja an den Teilnehmerzahlen, die weiterhin steigen. Zumindest konnte man das bei der VHS Tempelhof-Schöneberg sehen, dass das Interesse steigt, und jetzt auch durch die Pandemie weiterhin gestiegen ist. Aber wir sehen es auch an den Rückläufen der Fragen zu Umwelt- und Naturschutz. Sie haben deutlich zugenommen. Weil man zu Hause war und sich die Umwelt genauer angeschaut hat. Da bleibt die vhs ein ganz wichtiger Baustein in der Umweltbildung.

Es gibt keine andere Veranstaltung die ich so lange mache und Leute erreichenoder überzeugen kann und versuchen kann, ihnen die Angst zu nehmen vor bestimmten Dingen der Umwelt. Also dieses Verzahnen zwischen dem Leben und dem Umgang mit der Natur, dem Umgang mit Tieren und Pflanzen im Alltag. Und das hat heute einen ganz anderen Stellenwert in der vhs als noch vor 30 Jahren.

Kursgruppe bei Führung

Könnte man es auch so auffassen, dass das politischer geworden ist?

Was ist heute nicht politisch? Umwelt ist hochpolitisch. Es ist absolut notwendig und extrem dringend zu thematisieren. Es betrifft uns, es betrifft das Leben der nächsten Generationen. Wenn das nicht politisch ist! Es ist das Thema, und in ein paar Jahren werden wir uns von unseren Kindern fragen lassen müssen, warum wir nicht eher was gemacht haben. Und da ist ja der Artenschutz nur ein ganz kleiner Baustein.

Wo sehen Sie denn Potentiale, was für Themen fehlen im vhs-Programm?

Ich kenne kein Thema, welches die vhs nicht abdeckt. Ich glaube, die große Aufgabe wird es für die Volkshochschulen sein, zeitnah auf die Belange und Interessen der Teilnehmenden einzugehen und nicht nur in einem Doppelhaushalt-Zweijahres-Rhythmus. Da haben Sie sich aber schon bewiesen. Wie schnell haben die Volkshochschulen auf die pandemischen Bedingungen reagiert! Das wäre vor vier Javhshren noch undenkbar gewesen.
Das meine ich damit, dass man auf gesellschaftliche Themen eingeht. Ob es jetzt Friday for Future ist oder andere Bereiche, wo man reagieren muss. Und da müssen wir schnell sein. Das ist bisher zu kurz gekommen, bis 2020 meine ich. Im Augenblick machen Sie ja alle gemeinsam einen Quantensprung.

Wie könnte die Bildung für nachhaltige Entwicklung in 5 bis 10 Jahren aussehen?

Es ist jetzt eine andere Zeit, das geht einher mit der veränderten Mobilität, dem Stadtleben schlechthin, und insofern glaube ich, dass wir uns in 5 Jahren noch digitaler bewegen und auch schneller reagieren können und auch marktfähig bleiben. Wir sind auf dem Markt und müssen uns behaupten. Das ist und bleibt eine staatliche Aufgabe, Volksbildung ist eine staatliche Aufgabe und das einzige Instrument, an Erwachsene heranzukommen und ihnen Bildung anzubieten, kostengünstig.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mann mit Ziegenherde