Alexander Fussan

LERNENDE MASCHINEN - EIN SEGEN?!

Beitrag von Alexander Fussan im MagaTSin der vhs Tempelhof-Schöneberg im Frühjahr 2023

Was ist Machine Learning bzw. maschinelles Lernen?

Gegenfrage: Kennen Sie noch Tante Emma? Ja genau, dieser kleine, überschaubare Lebensmittel-Einzelhandel um die Ecke, den es bis zum Ende letzten Jahrhunderts auch in vielen Großstädten noch gab. Heute ist Tante Emma eher eine Rarität, vor allem in urbanen Lebensräumen. Wer sich an Tante Emma erinnert, weiß vielleicht noch, dass Sie auf wenigen Quadratmetern ein begrenztes Sortiment an Lebensmitteln an eine überschaubare Anzahl an Kund*innen verkauft hatte. Sie wusste ziemlich genau, was die Bedürfnisse ihrer Kundschaft waren und bevorratete sich entsprechend mit Waren des täglichen Bedarfs.

Tresen in einem Tante Emma Laden

Was das mit Machine Learning zu tun hat? Nun, heutzutage kaufen wir bei großen Handelskonzernen oder in Online-Shops. Aber welche Verkäufer*in kennt denn noch die Kund*innen persönlich und weiß, welche Bedürfnisse diese haben? Die Kundenbeziehungen im Einzelhandel haben sich weitestgehend anonymisiert, das ist erst einmal die schlechte Nachricht.
Die (vermeintlich) gute Nachricht ist, dass wir als Kundinnen und Kunden heutzutage bei unseren Transaktionen digitale Spuren hinterlassen, egal ob wir online oder offline einkaufen. Diese Spuren sind die Daten zu den Transaktionen, die z.B. über Kundenkarten oder eben virtuelle Warenkörbe generiert werden. Und das Wissen über die Bedürfnisse der Kund*innen, das Tante Emma in früheren Zeiten in ihrem Kopf (oder auf Papier) hatte, steckt heute in den Daten, die wir hinterlassen.

Sofern dies rechtlich zulässig ist, dürfen diese Daten auch ausgewertet werden. Die Methoden des maschinellen Lernens spielen dabei eine tragende Rolle, denn sie zählen zu den „intelligenten“ Analysetechniken und sind in der Lage, algorithmenbasiert das Wissen über die Bedürfnisse der Kundschaft aus diesen Daten zu extrahieren. Das, was Tante Emma früher einmal war, ist heutzutage also der aus den Daten lernende Algorithmus des maschinellen Lernens.

Mind Map zu Machine Learning

Wie und wo profitieren wir noch davon?

Die Algorithmen des maschinellen Lernens werden inzwischen natürlich nicht nur im Einzelhandel eingesetzt, sondern auch bei Banken und Versicherungen, in Behörden (z.B. in der Kriminalitätsbekämpfung), in naturwissenschaftlichen Bereichen oder auch in der Medizin. Letztlich überall dort, wo Daten gespeichert werden und ausgewertet werden dürfen.

In den USA sind kürzlich in einer medizinischen Studie verschiedene Algorithmen des maschinellen Lernens gegen eine Auswahl an erfahrenen Dermatologen angetreten, um auf Aufnahmen von Patienten einen Hautkrebs im Frühstadium zu erkennen. Nun raten Sie mal, wer diesen „Battle“ gewonnen hat? Die Algorithmen haben den Hautkrebs präziser vorhergesagt als der Durchschnitt der Dermatologen. Das eröffnet natürlich ungeahnte Möglichkeiten in der Früherkennung von Krankheiten und ermöglicht damit die frühzeitige Einleitung geeigneter Behandlungsmethoden.

Diese Technologie der Neuzeit ist jedoch Fluch und Segen zugleich. Die missbräuchliche Anwendung von Algorithmen des maschinellen Lernens muss natürlich verhindert werden. Auch ethische Fragestellungen sind zu berücksichtigen, etwa wenn Algorithmen menschliches Verhalten vorhersagen. So nutzen einige Polizeibehörden in den USA beispielsweise ausgewählte Algorithmen, um vorherzusagen, welche Bürgerin und welcher Bürger demnächst ein Verbrechen begehen wird.

Ist das nicht eher Segen als Fluch?

Nun, wir als Mensch machen Fehler, treffen auch immer wieder mal falsche Entscheidungen. So ist es jedoch auch bei den Algorithmen des maschinellen Lernens, die ja quasi von uns gelernt haben, einen Hautkrebs oder potenzielle Verbrecherinnen und Verbrecher zu erkennen. Falsche Vorhersagen können da natürlich wenigstens unangenehm, maximal aber auch lebensgefährlich sein wie z.B. in der Medizin.

Oder schauen Sie auf das selbst fahrende Auto, das derzeit von einigen Automobilkonzernen entwickelt wird. Da entscheiden Algorithmen, ob das Verkehrszeichen an der nächsten Kreuzung ein Stoppschild oder ein Vorfahrtsschild ist. Sie merken, es ist (noch lange) nicht alles Gold, was da glänzt.

Kursleiter A. Fussan im Kursraum der vhs TS

Wie werden Kurse zu maschinellem Lernen an den Berliner Volkshochschulen angenommen?

Inzwischen außerordentlich gut. Maschinelles Lernen ist eine Teildisziplin der Data Science. Die Data Science umfasst im Grunde alle Anwendungsbereiche, die mit Daten zu tun haben (z.B. auch das Data Storytelling) und ist eine Querschnittsdisziplin: Nicht nur Unternehmen suchen inzwischen händeringend Fachkräfte in den verschiedenen Anwendungsbereichen der Data Science, z.B. für das Marketing, die Produktion, die Logistik, das Controlling oder das Personalwesen. Auch Behörden, natur- oder sozialwissenschaftliche Bereiche und eben medizinische Einrichtungen fragen grundlegend ausgebildete Personalressourcen in diesem noch recht jungen Berufsfeld nach.

Als ich vor sieben Jahren meinen ersten Kurs überhaupt an der vhs Tempelhof-Schöneberg gegeben habe, war die Nachfrage noch recht überschaubar. Heute sind meine Kurse oft ausgebucht oder erreichen zumindest die erforderliche Teilnehmerzahl. Ich empfehle allerdings den Interessent*innen, die neu in diese Themen einsteigen möchten, nicht unmittelbar mit einem Programmierkurs für maschinelles Lernen zu beginnen. Zunächst sollte sich jede und jeder die methodischen Grundlagen algorithmenbasierter Lernverfahren aneignen und intuitiv verstehen, wie diese Algorithmen funktionieren. Nur dann ist es auch nachvollziehbar, was da z.B. in Python programmiert wird.

Also gibt es verschiedene Kurse zu Data Science und maschinellem Lernen?

Ja genau. Die Data Science ist eine vielfältige und vielschichtige Disziplin, deren einzelne Teilbereiche natürlich auch ineinandergreifen. Ab 2023 möchte ich daher eine „Data Science Matrix“ zu meinen Kursen veröffentlichen, die den Teilnehmenden eine klare Orientierung geben soll, welche Kurse es gibt, wie diese sich inhaltlich voneinander abgrenzen oder auch miteinander zusammenhängen und aufeinander aufbauen.
Es gibt auch komplette Wochenkurse wie z.B. die Data Science Summer School und Data Science Winter School. Aufgrund der Vielfalt und Vielschichtigkeit des Themas soll die „Data Science Matrix“ übergreifend für alle Berliner Volkshochschulen anwendbar sein.

Ich denke, das ist eine absolute Win-Win-Situation, für die Teilnehmenden wie auch für die Volkshochschulen. Perspektivisch plane ich eine Zertifizierungsmöglichkeit im vhs-Bereich, damit die Teilnehmenden auf Wunsch die Möglichkeit haben, sich für den offenen Stellenmarkt zu qualifizieren. Vielleicht gelingt dies ja schon bald. Tante Emma wäre bestimmt begeistert.