Antisemitismus in Neukölln

Stolpersteine

1. Teil einer Veranstaltungsreihe der VHS Neukölln zur lokalen Geschichte und Gegenwart des Judenhasses 2024/25

Die Verbreitung religiöser und völkischer Hassparolen, Beleidigungen und Bedrohungen jüdischer Menschen, Verunstaltung von Erinnerungszeichen für Opfer der Naziherrschaft und Anschläge gegen Antifaschist*innen haben nicht erst seit dem Massaker des 7. Oktober auch und gerade in Neukölln immer wieder für Schlagzeilen gesorgt.

Gleichzeitig zeugt die Benennung zentraler Bildungseinrichtungen und Straßen nach jüdischen Opfern und Gegnern der NS-Diktatur wie Helene Nathan und Kurt Löwenstein, Käte Frankenthal und Fritz Karsen von der intensiven Aufarbeitung der deutschen Verbrechensgeschichte im Bezirk. Stolpersteine, Tafeln und andere Gedenkorte erinnern an jüdisches Leid und mahnen zur Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus und anderer Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Doch um Lehren aus der Geschichte zu ziehen muss man sie kennen. Die VHS Neukölln startet deshalb im September 2024 eine mehrsemestrige Veranstaltungsreihe. In Ausstellungen, Vorträgen, Stadtführungen und Workshops erinnern wir an Opfer und beschäftigen uns mit Tätern, geistigen Wurzeln sowie Gewaltpraktiken der Judenfeindschaft in Neukölln.

Zu den einzelnen Veranstaltungen:

Vernissage: „Ausgestoßen und verfolgt“

Eröffnung der Ausstellung des Museums Neukölln zum Schicksal jüdischer Kinder und Jugendlicher während des Nationalsozialismus im Rahmen der Reihe „Antisemitismus in Neukölln“. Mit Bildungsstadträtin Karin Korte und Historiker Henning Holsten.
Ort: Kurt-Löwenstein-Haus
Termin: 6.9.2024, 16 Uhr

Weitere Informationen zur Ausstellungseröffnung:

Vortrag: „Neukölln im Nationalsozialismus“

Einführung in die Lokalgeschichte von NS-Herrschaft und Judenverfolgung im Rahmen der Reihe „Antisemitismus in Neukölln“. Mit dem Historiker Henning Holsten und dem Politologen Reinhard Wenzel.
Ort: Rathaus Neukölln, Puschkin-Zimmer
Termin: 13.9.2024, 19-21 Uhr

Zur Anmeldung zum Vortrag:

Die Geschichte der Judenfeindschaft ist in Neukölln eng verwoben mit den Kämpfen der Arbeiterbewegung, die hier besonders stark war. Da die jüdische Gemeinde sehr klein war, richtete sich der Judenhaß als politische Waffe vorwiegend gegen Sozialist*innen, die außer ihrer Herkunft gar keinen Bezug mehr zum Judentum hatten.

Gegen diese Repräsentanten einer imaginären „jüdisch-marxistischen Weltverschwörung“ richtete sich zunächst die terroristische Gewalt der Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme 1933. Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung trafen aber schon bald sämtliche als „jüdisch“ identifizierte Menschen und mündeten schließlich im Zivilisationsbruch des Holocaust.

Der Vortrag gibt einen Überblick über diesen Radikalisierungsprozeß und seine Folgen für die betroffenen Neuköllner*innen. Neben der Vorgeschichte werden auch Erinnerung und Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach dem Zusammenbruch des Regimes behandelt.

Online-Vortrag: „Antisemitismus – Eine deutsche Geschichte“

Prof. Peter Longerich gibt einen Überblick über judenfeindliche Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft und ihre historischen Wurzeln. Eine Übertragung im Rahmen der Reihe „Antisemitismus in Neukölln“ und vhs.wissen live.

Der Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 hat nicht nur gezeigt, wie gefährlich die Lage für Juden in Deutschland geworden ist – die Debatte hat auch offengelegt, dass antijüdische Einstellungen schon lange in der Mitte der Gesellschaft existieren. Peter Longerich zeigt in seinem Vortrag, dass wir den gegenwärtigen Antisemitismus in Deutschland nicht begreifen können, wenn wir ihn vor allem als Sündenbock-Phänomen verstehen, wie es hierzulande in Schule und Hochschule gelehrt wird. Denn der Blick in die Geschichte offenbart, dass das Verhältnis zum Judentum bis heute vor allem ein Spiegel des deutschen Selbstbildes und der Suche nach nationaler Identität geblieben ist.

Peter Longerich lehrte moderne Geschichte am Royal Holloway College der Universität London und war Gründer des dortigen Holocaust Research Centre. Von 2013 bis 2018 war er an der Universität der Bundeswehr in München tätig. Er war einer der beiden Sprecher des ersten unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestags und Mitautor der Konzeption des Münchner NS-Dokumentationszentrums. Seine Bücher über “Heinrich Himmler” (2008), “Joseph Goebbels” (2010) und “Hitler” (2015) fanden weltweit Beachtung. Zuletzt erschienen “Wannseekonferenz” (2016) sowie “Antisemitismus. Eine deutsche Geschichte” (2021).

Ort: Zoom-Übertragung. Den Zugangslink erhalten Sie nach Anmeldung
Termin: 16.9.2024, 19:30-21 Uhr

Zur Anmeldung zum Online-Vortrag:

Stadtrundgang: „Orte von Verfolgung und Widerstand“

Führung zu historischen Tat-, Wohn- und Erinnerungsorten in Nordneukölln von Trille Schünke-Bettinger (Frauentouren, Gedenkstätte deutscher Widerstand).
Ort: Rathaus Neukölln, Haupteingang
Termin: 20.9.2024, 14-17 Uhr

Zur Anmeldung zum Stadtrundgang:

Nur wenige Spuren erinnern heute noch an das vom Nationalsozialismus zerstörte jüdische Leben in Neukölln. Gedenktafeln für die frühere Synagoge in der Isarstraße und ihren Rabbi Georg Kantorowsky, Helene Nathan als Namensgeberin der Stadtbibliothek, die nach Olga Benario benannte Galerie in der Richardstraße und zahlreiche Stolpersteine gedenken der jüdischen Opfer der Gewaltherrschaft, die 500 von 3000 Neuköllner Jüd*innen nicht überlebten.

Viele konnten durch die Hilfe von anderen fliehen oder in Berlin überleben. Es war eine Minderheit der Bevölkerung, die sich gegen die Nationalsozialisten einsetzte und Verfolgte unterstützte, aber gerade in den Arbeitervierteln Neuköllns gab es in der gesamten NS-Zeit Einzelpersonen und Netzwerke, die Verfolgte unterstützten. Manche riskierten dabei ihr Leben und leisteten aktiven Widerstand gegen das unmenschliche Regime.

Die Historikerin und Stadtführerin Trille Schünke-Bettinger führt an Orte der Machtausübung und des Widerstands, an ehemalige Wohn- und heutige Gedenkorte rund ums Rathaus Neukölln.

Aktion: „Neukölln putzt Stolpersteine“

Eingeleitet durch einen Vortrag des ehemaligen Museumsleiters Dr. Udo Gößwald, im Rahmen der „Berliner Freiwilligentage“ und der VHS-Reihe „Antisemitismus in Neukölln“
Ort: Silent Rixdorf, Wanzlikpfad 3
Termin: 25.9.2024, 16-19 Uhr

Zur Anmeldung zu der Aktion:

Erinnerung lebt von Partizipation. Deshalb organisiert auch dieses Jahr das Neuköllner Engagementzentrum Stolperstein-Spaziergänge, bei denen vom 20. bis 30. September alle 265 Stolpersteine im Bezirk besucht und geputzt werden sollen.

Eine Einführung in die Idee und Geschichte dieses größten dezentralen Mahnmals der Welt gibt am 25. September der langjährige Leiter des Museums Neukölln Udo Gößwald. Im Gespräch mit den Freiwilligen wird ihr Beitrag zu einer lebendigen Erinnerungskultur gewürdigt und die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements für eine offene Gesellschaft, in der Rassenhass und Ausgrenzung keinen Platz haben.

Informationen zu weiteren Orten und Terminen unter https://nez-neukoelln.de/ und info@nez-neukoelln.de

Workshop: „Neukölln unterm Hakenkreuz“

Alltagsgeschichtliche Quellen zur Naziherrschaft und Judenverfolgung in Neukölln. Geleitet von Alexander Valerius und Constantin Horscht.
Ort: Kurt-Löwenstein-Haus, Raum 009
Termin: 5.10.2024, 14-17:30 Uhr

Zur Anmeldung zum Workshop:

Ausgrenzung und Verfolgung ab 1933 waren auch in Neukölln nicht das Werk anonymer Mächte, sondern die Folge aktiven und passiven Handelns konkreter Personen. Überzeugungstäter und Mitläufer, Zuschauer und Profiteure antijüdischer Maßnahmen des NS-Staates trafen in Ausnahmesituationen und im Alltag Entscheidungen, die über Leben und Tod bestimmen konnten.

Durch gemeinsame Lektüre ausgewählter Originaldokumente beschäftigen wir uns in diesem halbtägigen Seminar mit dem Alltag im Bezirk, der Ausgrenzung der Neuköllner Juden und dem Verhalten ihrer Nachbarn. Deren Reaktionen reichten von Unterstützung über Gleichgültigkeit bis hin zu Komplizenschaft mit den Verfolgern.

Alexander Valerius und Constantin Horscht sind Historiker und haben 2022 den Podcast „Alltag und Verbrechen. Neukölln im Nationalsozialismus“ produziert.

Vortrag: „Abgrenzen – Ausgrenzen – Vertreiben“

Pfarrer Dr. Bernd Krebs zur Geschichte der protestantischen Judenfeindschaft im 19. und 20. Jahrhundert.
Ort: Bethlehemkirchsaal, Richardstraße 97
Termin: 16.10.2024, 18-20:15 Uhr

Zur Anmeldung zum Vortrag:

“Ich habe mich immer …als Antisemiten gewusst”, bekannte Otto Dibelius, evangelischer Generalsuperintendent für die Kurmark und Berlin, 1928 in einem Rundbrief an die Pfarrerschaft seines Aufsichtsbereiches. Er brachte damit zum Ausdruck, was vielen Pfarrern und Laien als selbstverständlich erschien.

1933 gewann die nationalsozialistische Gruppe “Deutsche Christen” bei den Kirchenwahlen in Neukölln über 90 Prozent der Stimmen. Hakenkreuzfahnen wurden in den Kirchen aufgehängt. “Nicht-arische” Mitarbeiter entlassen. Nur eine winzige Minderheit stellte sich dem entgegen. Der Entrechtung und Deportation der jüdischen Mitbewohner widersetzten sie sich nicht. Wie konnte es dazu kommen? Was bedeutet das für uns heute?

Dr. Bernd Krebs ist Kirchenhistoriker und war in verschiedenen Funktionen als Pfarrer in der evangelischen Kirche tätig.

Vortrag: „Volk und Heimat“

Der Historiker Henning Holsten über völkische Traditionen und Narrative um Herkunft und Zugehörigkeit in Rixdorf und Neukölln.
Ort: Rathaus Neukölln, Puschkin-Zimmer
Termin: 8.11.2024, 19-21 Uhr

Zur Anmeldung zum Vortrag:

Die Radikalisierung des traditionellen christlichen Antijudaismus zum rassisch begründeten Antisemitismus vollzieht sich im 19. Jahrhundert parallel zum Aufstieg des völkischen Nationalismus. „Volk“ und „Heimat“ sind zentrale Kategorien der Bestimmung von Zugehörigkeit zur oder Ausschluß aus der nationalen Gemeinschaft. Lange vor der Pervertierung im Ideal der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ wurden sie genutzt, um „vaterlandslose Gesellen“, „Reichsfeinde“ und „Undeutsche“ auszugrenzen.

Der Vortrag stellt volkstümelnde Turner, deutschnationale Heimatforscher, völkische Ideologen und nationalsozialistische Heimatdichter vor, die in Rixdorf und Neukölln vor und nach 1933 Versuche unternommen haben, zu bestimmen was „deutsch“ und was „jüdisch“ ist, wer hier Heimatrecht hat und wer nicht. Alte Fragen, die heute neu gestellt werden.
Henning Holsten ist Lokalhistoriker, Ausstellungsmacher und Stadtführer.

Vortrag: „Muslimischer Antisemitismus“

Dr. Martin Cüppers, Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg über arabische Kollaboration mit den Nazis und die historischen Wurzeln des Nahostkonflikts.
Ort: Rathaus Neukölln, BVV-Saal
Termin: 15.11.2024, 19-21 Uhr

Zur Anmeldung zum Vortrag:

Die Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 in Israel und der damit begonnene Krieg unterstreichen die Notwendigkeit, den Beginn des Nahostkonflikts nicht erst – wie vielfach üblich – auf die Gründung des Staates Israel 1948 zu datieren. Folgen des Ersten Weltkriegs und vor allem Gewaltausbrüche ab den 1920er-Jahren im britischen Mandatsgebiet markieren vielmehr wichtige Grundbedingungen, die bis in die Gegenwart nachwirken. Eine bedeutende Rolle spielte dabei Mohammed Amin al-Husseini, den die britische Mandatsmacht 1921 zum Mufti von Jerusalem ernannte. Nachhaltigen Einfluss entfaltete außerdem das nationalsozialistische Deutschland, das 1942 sogar versuchte, die Region militärisch zu erobern. Der Vortrag wird die Bedeutung dieser Phase der Konfliktgeschichte darstellen und Kontinuitäten daraus vermitteln.

Dr. Martin Cüppers ist seit 2014 wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg und lehrt an der Universität Stuttgart. Zusammen mit Klaus-Michael Mallmann veröffentlichte er 2006 die Studie „Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina“.