Unsere Welt hat sich gewandelt. Die Digitalisierung ändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und kommunizieren. Sie stellt neue Anforderungen an die öffentliche Verwaltung und wirft zugleich ethische Fragen auf. Auf der 4. Veranstaltung der Reihe „Akademieforum 100 – Zukunft Verwaltung“ macht Dr. Nikolai Horn, Philosoph und Mitglied der Arbeitsgruppe Ethik der Initiative D21 deutlich: „Bei Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz ist Ethik in aller Munde. Aber was meinen wir eigentlich damit?“, „Was ist das Gute?“, sei hier zentrale Leitfrage, um Prinzipien und Maßstäbe guten Handelns und Urteilens der Verwaltung zu definieren und anzuwenden. Je nachdem, was für ein Menschenbild zu Grunde gelegt wird (z. B. individualistisch oder kollektivistisch), ergeben sich andere Prägungen und rechtliche Rahmenbedingungen. Hierdurch kommt es beispielsweise, dass in Deutschland der informationellen Selbstbestimmung eine viel größere Bedeutung beigemessen wird als in anderen Ländern.
In seinem Vortrag erläutert Dr. Horn, welche Determinanten den öffentlichen Sektor im digitalethischen Sinne am meisten beeinflussen. So bedeuten die zunehmende Vernetzung und Verfügbarkeit von Informationen Chancen und Risiken zugleich. Die Datafizierung erhofft sich durch die Erhebung und Analyse von Daten eine größere Objektivität. „Doch nicht alles, was digitalisierbar ist, ist auch objektiv.“ Selbst der beste Algorithmus vermag es beispielsweise nicht, den besten Bewerber auszuwählen. Zudem werden im Zuge der Digitalisierung mitunter falsche Kausalitäten hergestellt – anstatt eher das „Was“ als das „Warum“ gelten zu lassen. „Haushalte, die überwiegend Margarine kaufen, haben eine überdurchschnittlich hohe Scheidungsrate“, zitiert Dr. Horn hierzu augenzwinkernd eine Studie. Schließlich merkt er zum permanenten Datenaustausch an, dass zwar 70 % der Deutschen für umfassenden Datenschutz sind, aber kaum all ihre Einwilligungen kennen.
Mit der Heilig-Kreuz-Kirche hätte die Thematik wohl keinen passenderen Veranstaltungsort finden können. Im beschaulichen Rahmen, abseits von Hektik und Lärm der Großstadt hatte jeder Teilnehmer die Chance in sich zu gehen, die philosophischen Aspekte von Digitalisierung zu betrachten und in Ruhe über die aufgeworfenen Fragestellungen zu reflektieren: Wie selbstbestimmt bin ich über meine Daten, wenn ich allem einwilligen muss? Was zählt mehr, Transparenz oder die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen? Meine Privatsphäre oder der Erkenntnisgewinn? Wie valide ist eine digitale Entscheidung? Und wer übernimmt die Verantwortung, wenn diese „falsch“ war? – Die Digitalisierung bringt viele ethische Zielkonflikte mit sich. Dabei sei der vielfach vorherrschende „Spektakularismus“, wie Dr. Horn es nannte (z.B. Mind-Uploading oder „Sexroboter“), fehl am Platze. Denn so gerät das Unspektakuläre aus dem Blick, das oft die größten Auswirkungen auf die Realität hat.
Gute Nachrichten hat er abschließend für die öffentliche Verwaltung: „Ihr Handeln dient unmittelbar dem Gemeinwohl. Das schafft viel mehr Spielraum für ethische Fragen als in der Wirtschaft. Die Verwaltung kann hier einen Trend setzen und eine Vorreiterrolle einnehmen.“ Wolfgang Schyrocki, Direktor der Verwaltungsakademie Berlin, unterstreicht dies und betont die Bedeutung der VAk, um die Berliner Verwaltung schulungsseitig auf diese Aufgaben vorzubereiten.