Interview mit Florian Haus

Mann hält Handy vor parkenden Autos hoch

Shared Mobility als eine der Kreislaufwirtschaftstrategien im Mobilitätssektor. Welche Akteure gibt es auf dem Berliner Markt und welchen Herausforderungen stehen sie gegenüber? Wir haben mit Florian Haus, Co-Founder und verantwortlich für Städte und Regulierungen, von der MILES Mobility GmbH gesprochen.

Portraitfoto von Florian Haus

Was sind die Herausforderungen Ihres Geschäftsmodells? Lassen sich diese auf die Shared Mobility insgesamt übertragen?

Um Carsharing anzubieten, braucht es natürlich eines – Autos. Das bedeutet, dass bereits zu Beginn große Investitionen erforderlich sind, um den Service überhaupt bereitzustellen. Besonders im stationsunabhängigen Carsharing reicht es nicht aus, nur 2-3 Fahrzeuge auf die Straße zu bringen; vielmehr ist eine bestimmte Fahrzeugdichte notwendig, um ein attraktives Angebot zu schaffen. Idealerweise sollten die Laufwege zum nächsten Fahrzeug 3 Minuten nicht überschreiten, damit das Carsharing-Angebot bequem und schnell erreichbar ist. Am Ende konkurrieren wir mit der Qualität des eigenen Autos und das steht im Regelfall vor der Tür und ist immer verfügbar. Daneben steht die komplexe Struktur des Betriebs. Während die App und die Fahrzeuge für unsere Kund:innen die sichtbaren Komponenten sind – und eventuell noch der rund-um-die-Uhr Kundenservice, sind im Hintergrund eine Vielzahl von Prozessen und Fachkräften notwendig, um einen reibungslosen Service und eine hohe Kundenzufriedenheit sicherzustellen. Dazu gehören unter anderem die regelmäßige Wartung und Reinigung der Fahrzeuge, datenbasierte Analysen zur optimalen Fahrzeugverteilung, der Austausch mit Bestandsstädten und potenziell neuen Städten, die Fahrzeugbeschaffung, die Schadenabteilung, das Team, das die Business-Kund:innen betreut und vieles mehr. Neben diesen eher unternehmensinternen Themen, ist ein großes und wichtiges Thema die Verkehrsplanung allgemein: Zwischen dem ersten Kontakt mit einer Stadt und dem tatsächlichen Launch eines neuen Standorts können auch mal 1-2 Jahre vergehen. Manchmal fehlt ein zentraler Ansprechpartner für neue Mobilitätsformen, oder es gibt Unsicherheiten hinsichtlich der Haltung gegenüber Carsharing oder ein Antrag muss durch verschiedene Gremien gebracht werden. Wir als Anbieter auf der anderen Seite müssen entsprechend planen, das gilt für Personal sowie die Fahrzeuge. Diese Herausforderungen haben sicher alle Anbieter.

Eine Idee hinter Shared Economy- Angeboten ist ja, dass Bürger und Bürgerinnen eventuell ihr eigenes Auto verkaufen bzw. auf die Anschaffung verzichten. Gibt es Zahlen, ob das tatsächlich passiert?

Tatsächlich sehen wir in einigen Städten wie Berlin, dass die Zahl der zugelassenen Autos pro 1.000 Einwohner:innen seit zwei Jahren sinkt. Im Jahr 2023 lag diese Zahl in Berlin bei 278 Autos, während sie in Deutschland insgesamt bei 583 Autos pro 1.000 Einwohnern liegt** (laut rbb24). Diese nachgewiesenen Entwicklungen erwarten wir für weitere Städte. Um mehr darüber zu erfahren, wie sich das Carsharing-Modell auf das Auto-Kaufverhalten auswirkt, haben wir im Mai 2023 selbst eine Umfrage unter 7.400 MILES-Nutzer:innen durchgeführt. Dabei haben wir gefragt, ob sie sich ein eigenes Auto kaufen würden, wenn es stationsunabhängiges Carsharing nicht mehr gäbe. 58 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sehr wahrscheinlich oder wahrscheinlich ein Auto kaufen würden, wenn es kein stationsunabhängiges Carsharing mehr gäbe. Interessanterweise 71,3 Prozent der befragten MILES-Nutzer:innen besitzen aktuell kein eigenes Auto, aber 58 Prozent von ihnen hatten in der Vergangenheit bereits ein Auto. Diese Zahlen zeigen, dass Carsharing eine wichtige Rolle dabei spielt, den Bedarf an einem eigenen Auto zu reduzieren. Das deckt sich mit vielen Studien, die in der Vergangenheit veröffentlicht wurden. Nahezu alle dieser Studien belegen die entlastenden Effekte durch das stationsunabhängige Carsharing. Die Studienlage wird für uns aber auch weiterhin ein zentrales Thema sein. Wir planen, selbst eine größere Studie aufzusetzen.

Das MILES Mobility- Angebot gibt es auch in anderen Städten in Deutschland und Belgien. Wie funktioniert die Shared Mobility dort und kann Berlin sich etwas abgucken?

Jede Stadt hat ihre eigenen Besonderheiten, wenn es um Shared Mobility geht. Zunächst spielen die Infrastruktur, das ÖPNV-Angebot, die Bevölkerungsdichte, aber auch der Aufbau der Stadt und die daraus resultierenden Nutzungsgewohnheiten eine große Rolle. In einigen Städten wird mehr innerhalb der Stadt gefahren, in anderen wiederum, bspw. im Rheinland, pendeln die Menschen viel zwischen verschiedenen Städten. Auch der Zeitraum, wie lange ein Carsharing-Angebot schon vorhanden ist, hat einen Einfluss auf die Nutzung. In Städten wie Berlin, Hamburg und München sind wir am längsten aktiv und haben dort auch die größte Flotte und die meisten Kund:innen. Besonders gut funktioniert es dort, wo die Städte das Carsharing auch politisch unterstützen. Das hilft den Angeboten und damit auch den Kund:innen. Auch hier sind bspw. München oder Hamburg als Positivbeispiele zu nennen.

Wie begegnen Sie Vorbehalten von z.B. Berliner Autobesitzer:innen, die nicht auf ihr Auto verzichten möchten oder können und sich leicht erreichbaren Parkraum in der Nähe ihrer Wohnung wünschen und dafür sogar bezahlen? Nehmen Miles-Autos Parkraum weg?

Wir verstehen die Bedenken vieler Autobesitzer:innen, die Sorge haben, dass Carsharing den ohnehin knappen Parkraum zusätzlich belastet. Doch tatsächlich entlastet Carsharing und ihre Nutzer:innen langfristig den Verkehr – sowohl den fließend als auch ruhenden. Denn das Angebot bildet einen wichtigen Baustein in der Mobilität der Menschen, die kein Auto besitzen, die ihr Auto abschaffen wollen oder die sich ein Auto anschaffen wollen. Hinzu kommt, dass unsere Fahrzeuge im Schnitt mehrere Stunden am Tag unterwegs sind. Sie gehen also sehr effektiv mit dem öffentlichen Raum um, während ein privater PKW häufig nur von einer Person rund 45 Minuten am Tag genutzt wird und in der Zwischenzeit herumsteht. Im Übrigen zahlen Carsharing-Fahrzeuge ebenfalls Parkgebühren, diese übernehmen die Anbieter und übersteigen die Anwohnerparkgebühren deutlich.

Das Interview mit Florian Haus wurde im November 2024 geführt.