Interview mit Dr. Jens Thieme

Ein Mann recycelt Platinen

Recyclingrohstoffe als international gehandelte Rohstoffe: Wie sieht die stoffliche Verwertung von Abfällen in einer modernen Recyclingwirtschaft in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland aus? Wir haben mit Dr. Jens Thieme, Head of Sales & Digital Services Waste Operations Germany der ALBA Group über Recycling von Rohstoffen und das Abfallrecht gesprochen.

Portraitfoto von Jens Thieme

Sekundärmaterialien werden immer wichtiger, da Ressourcen immer knapper und der Wettbewerb darum größer werden. Ein guter Teil der Recyclingrohstoffe wird allerdings ins Ausland verkauft. Können diese Rohstoffe nicht besser in regionale Wertschöpfungsketten aufgenommen werden?

Die weltweite Ressourcenknappheit ist in der Tat eine der Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Um die Lücke zu schließen, ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft – insbesondere in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland – der Schlüssel.

Geeignete Abfälle werden über aufwändige technische Anlagenprozesse aufbereitet und als sogenannte Sekundärrohstoffe der Wirtschaft wieder zur Verfügung gestellt. Einfacher ausgedrückt könnte man auch sagen, dass so großen Abfallströmen wieder ein neues Leben geschenkt wird. Die stoffliche Verwertung von Abfällen steht damit in einer modernen Recyclingwirtschaft immer im Vordergrund.

Recyclingrohstoffe werden damit aber auch zu einem Wirtschaftsgut, das wie alle Rohstoffe auch international gehandelt wird. Dies ist sinnvoll, um etwaige Marktschwankungen in Binnenmärkten abzufedern und so über weitere Absatzchancen für diverse Wertstoffe ein stabiles Geschäftsmodell zu ermöglichen. Schwächelt in dem einen Markt etwa die Bauwirtschaft und mit ihr die Nachfrage nach Sekundärstahl, kann gleichzeitig in einem anderen Teil der Welt der Hunger auf Baustoffe weiterwachsen.

Um den Anteil der Sekundärrohstoffe, die Deutschland oder Europa verlassen, zu reduzieren, braucht es aber keine Ausfuhrverbote oder zusätzliche Regulatorik. Denn die Vorgaben, nach denen Abfälle über nationale oder EU-Grenzen verbracht werden dürfen, sind bereits hinreichend streng. Vielmehr wären Impulse für mehr Wirtschaftswachstum in Deutschland und dem Euroraum wünschenswert. Dann würde der Ressourcenhunger hierzulande steigen und zusätzliche Transporte zum Beispiel über den Seeweg entfallen.

Das würde Deutschland unabhängiger von Rohstoffimporten machen und die Umwelt zusätzlich schonen.

Der Preis wiederaufbereiteter Rohstoffe ist heute in der Regel höher als für neue Materialien. Woran liegt das und wie müssen sich die Rahmenbedingungen ändern, um Sekundärrohstoffe wettbewerbsfähiger zu machen?

Zunächst muss die Eingangsthese geschärft werden. Denn wie bereits zuvor ausgeführt handelt es sich bei Sekundärrohstoffen um Wirtschaftsgüter. Diese werden nicht subventioniert und stehen damit im uneingeschränkten Wettbewerb zu Neu- oder Primärrohstoffen. Wären nun Sekundärrohstoffe regelmäßig teurer als neue Materialien, wäre die Recyclingwirtschaft zum Scheitern verurteilt. Kaum jemand würde für gebrauchte Stoffe mehr Geld ausgeben. Selbst das ökologische Gewissen hört beim Geldbeutel oftmals auf.

Glücklicherweise ist daher für wesentliche Materialströme das Gegenteil der Fall und diese Sekundärrohstoffe sind – mit Ausnahme temporärer Marktverwerfungen – qualitativ und preislich wettbewerbsfähig.

Nehmen wir etwa die Papier- und Glas-Industrie, die bei der Produktion mittlerweile zu zwei Drittel auf Sekundärrohstoffe angewiesen sind. Allein der verminderte Energieaufwand reduziert die Kosten hier im Vergleich zu Primärrohstoffen erheblich. Ebenso bei Stahl und Metall: Das Recycling von Aluminium benötigt 95 % weniger Energie als die Produktion von Primäraluminium. Beim Recycling von Stahl beträgt die Energieeinsparung noch immer stolze 80 %. Entsprechende Einsparungen entstehen hier auch bei den Kosten für den CO2-Ausstoß. Die Technik für ein sortenreines Recycling im Stahl- und Metallbereich ist da. Die Industrie rüstet bereits um, weil die Preise für Energie und CO2-Zertifikate gemäß EU-Vorgaben immer weiter steigen.

Dennoch gibt es natürlich Verbesserungsbedarf. So wäre etwa im Bausektor, der mit rund 40% zum Gesamt-CO2-Ausstoß in Deutschland beiträgt, ein erweiterter Einsatz von klimafreundlichen Sekundärbaumaterialien wünschenswert. Dies erfordert jedoch ein Umdenken auf breiter Linie. Hierzu müssen Architekten und Bauingenieure geschult und regulatorische Hürden abgebaut werden. Solange Sekundärbaustoffe nicht als gleichwertig gelten oder ihnen die Produkteigenschaft vorenthalten wird, greifen die Stakeholder auf bewährte Primärprodukte zurück.

Mit gutem Beispiel sollte hierbei die öffentliche Hand vorangehen und bei öffentlichen Bauaufträgen gleichwertigen Sekundärbaustoffen immer Vorrang einräumen.

In Berlin läuft derzeit das Pilotförderprogramm Berliner Reallabore, bei dem es auch darum geht, regulatorische Hemmnisse zu identifizieren und ggfs. temporär auszusetzen. Gibt es Regeln im Abfallrecht, die die Transformation zur Circular Economy erschweren und die Sie sich daher einmal ausgesetzt wünschen?

Regulatorische Hemmnisse gibt es in der Tat einige. Hierzu drei Beispiele: Die Gewerbeabfallverordnung beispielsweise ist in ihrer jetzigen Form unbrauchbar, da es zu viele Ausnahmeregelungen gibt und die Vorgaben von den Kommunen kaum vollzogen werden. Doch wer hält sich an ein Tempolimit ohne Polizeikontrolle? Die gut gemeinten Ziele für mehr Trennung und stoffliche Verwertung werden damit verfehlt.

Auch das Elektrogerätegesetz wird von den Vollzugsbehörden kaum ernst genommen: Discounter und Drogeriemärkte müssten seit zwei Jahren ihren Kunden Rücknahmestationen für Elektroschrott anbieten, drücken sich aber zumeist davor. Die Deutsche Umwelthilfe führt hierzu mehrere Klagen, obwohl die Kommunen den Vollzug garantieren sollen.
Oder die Bioabfallverordnung: Hier ist mit keinem Wort die Vergärung von Bioabfällen zu Biogas – also zu Strom und Wärme – erwähnt, obwohl eine kaskadenartige Verwertung biogener Abfälle – wie allgemein bekannt – die beste und umweltschonendste Lösung wäre. All dies hemmt die Kreislaufwirtschaft.

Weniger ein Aussetzen oder gar die Schaffung von Regeln sollte also primär im Fokus stehen, vielmehr ein konsequenter Vollzug und eine Novellierung der bestehenden Gesetze.