Interview mit Dr.-Ing. Kai Lindow

Symbol für das Life cycle assessment concept

Dr.-Ing. Kai Lindow, Leiter des Geschäftsfeldes Virtuelle Produktentstehung am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK

Porträtfoto von Kai Lindow

Was wird sich durch diese Verordnung im Vergleich zur vorherigen Richtlinie aus Ihrer Sicht verändern?

Die neue ESPR wird die bisherige Ökodesign-Richtline aus dem Jahr 2009 ablösen. Das hat das Europäische Parlament im April dieses Jahres mit großer Mehrheit beschlossen, es gilt eine Übergangszeit von 18 Monaten. Dadurch rücken zukünftig nicht nur energieverbrauchsrelevante Produkte, wie beispielsweise Waschmaschinen und Kühlschränke, in den Fokus. Es sind fast alle Produkte betroffen. Wichtig zu wissen ist, dass es keine konkreten Anforderungen an Produkte oder Produktgruppen in der ESPR geben wird. Die ESPR wird Kriterien zur Produktregulierung beinhalten, die dann wiederum die Grundlage für nachgeordnete und produktspezifische Verordnungen bilden. Das muss man sich in etwa so vorstellen, dass die ESPR zum Beispiel die Kriterien Langlebigkeit, Materialeffizienz, Reparierbarkeit und CO2-Fußabdruck definiert, während in nachgeordneten Verordnungen dann konkrete Anforderungen an beispielsweise Kühlschränke zu diesen Kriterien beschrieben werden.

Weiterhin soll die neue ESPR den gesamten Produktlebenszyklus in Betracht ziehen. Das bedeutet u.a., dass beispielsweise der CO2-Fußabdruck tatsächlich von der Materialgewinnung über die Produktion und Nutzung bis hin zur Verwertung berücksichtigt werden muss. Zusätzlich werden mit der ESPR und den nachgeordneten Verordnungen neue Instrumente für Verbraucherinnen und Verbraucher definiert. So sollen ein Digitaler Produktpass, ein Ökodesign-Label und ein Reparierbarkeits-Index nachhaltigere Kaufentscheidungen ermöglichen.

Auf welche Sektoren bezieht sich die ESPR und sind durch die Verordnung auch KMU betroffen?

Die neue ESPR bezieht sich auf nahezu alle Produktgruppen, u.a. umfasst sie Möbel, Textilien und Schuhe sowie Produkte aus Eisen, Stahl und Aluminium. Hinzu kommen weitere Produkte wie beispielweise Reinigungsmittel, Zement und weitere Chemikalien. Die Europäische Kommission wird nun bis Ende März 2025 für diese Produktgruppen entsprechende Arbeitsgruppen und Arbeitspläne zur Umsetzung der produktspezifischen Verordnungen bilden. Auch KMU sind von der ESPR und den nachgeordneten Verordnungen betroffen. Unterstützung sollen KMU seitens der Kommission und seitens der Mitgliedstaaten erhalten. Aus Sicht der Kommission werden digitale Werkzeuge und Leitfäden zur Umsetzung zukünftig angeboten (z.B. für Life Cycle Assessment zur Bestimmung des CO2-Fußabdrucks oder Ausfüllhilfen für Digitale Produktpässe). Ferner stellt die Europäische Kommission eine finanzielle Unterstützung für KMU-Vertreterinnen und -Vertreter zur aktiven Teilnahme am Ökodesign-Forum bereit. Die Mitgliedstaaten sind angehalten, spezielle Angebote an KMU zur Partizipation und zur finanziellen Unterstützung zu entrichten. Darunter fallen beispielsweise das Schaffen von Vernetzungsmöglichkeiten, die Erleichterung des Zugangs zu Finanzmitteln, spezielle Schulungen für Management und Personal sowie Steuervergünstigungen.

Was können Unternehmen konkret tun, um auf die neuen Anforderungen zu reagieren?

Derzeit können Unternehmen sich in Arbeitsgruppen der EU engagieren und die spezifischen Verordnungen mitgestalten. Dies ist in der Regel sehr zeitintensiv. Für die meisten Unternehmen wird es daher eher wichtig sein, die aktuellen Entwicklungen aus der jeweiligen Produktgruppe zu verfolgen und ggf. über Konsultations-Prozesse mitzuwirken. Dazu sollten Unternehmen frühzeitig die Informationsangebote von Vereinen, Verbänden und auch von unabhängigen Beratungsstellen in Anspruch nehmen. Dadurch können sie in den kommenden 18 Monaten individuell nachverfolgen, was passiert und wie sie betroffen sind.

Auch wir von der Fraunhofer-Gesellschaft, speziell vom Fraunhofer IPK, bieten umfangreiche Unterstützung für Unternehmen (große und KMU) an. Wir entwickeln beispielsweise seit Jahren Lösungen für digitale Produktpässe. Dazu gehören neben technologischen Lösungen auch Umsetzungsleitfäden, Methoden, Richtlinien und Standards zur Nutzung der digitalen Produktpässe. Außerdem bieten wir kostenfreie Webinare und darüberhinausgehende Weiterbildungen zu diesen Themen an. Wir unterstützen Unternehmen darin, mit der ESPR und den nachgelagerten Verordnungen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern – und gleichzeitig nachhaltiger und kreislauffähiger zu werden.

Das Interview mit Dr.-Ing. Kai Lindow wurde im Juni 2024 geführt.