Interview mit Axel Sacharowitz

Gebäude mit Fernwärmeleitungen im Vordergrund

Im Rahmen unserer Interviewreihe zum Förderprogramm DigiRess gibt uns Axel Sacharowitz, Geschäftsführer der 3S Antriebe GmbH, Einblicke in das Projekt 3SmartFW, welches sich mit der Detektion und Lokalisierung von Leckagen in Fernwärmenetzen beschäftigt.

Portraitfoto von Axel Sacharowitz

Ihr DigiRess Projekt hat zum Ziel, Leckagen in Fernwärmenetzen frühzeitig zu erkennen und zu lokalisieren. Wie werden die Leckagen dann behoben und kann dabei auch die Digitalisierung unterstützen?

Grundsätzlich muss gesagt werden, dass Leckagen in Fernwärmenetzen teuer sind, weil beständig aufwendig aufbereitetes Wasser nachgespeist werden muss. Kosten treten hier nicht nur für das Wasser auf, sondern auch für Energie, da zusätzliches Wasser ins System gepumpt werden muss. Außerdem können Leckagen – wenn sie nicht rechtzeitig repariert werden – zu größeren Havarien im Netz führen, die bei über 100° heißem Wasser gefährlich sind. Um die Wärmeversorgung aufrecht zu erhalten, muss die Sektion, in der die Havarie aufgetreten ist, möglichst schnell vom Netz getrennt werden, damit der Druck im Netz erhalten bleibt.

Heute werden Fernwärmeleitungen mit Kunststoffmantel (zur Isolation) verlegt. Im Kunststoffmantel werden Kabel zur Leckageortung mitgeführt. Wenn Wasser austritt, gibt es einen Schluss zwischen den Kabeln. Dies kann durch entsprechende Logger ausgewertet werden, um die Leckagen zu erkennen und zu lokalisieren. Diese Systeme funktionieren grundsätzlich, sind allerdings störanfällig und relativ aufwendig. Früher wurden die Leitungen in Haubenkanälen verlegt – in diesen Systemen werden Leckagen durch Anrufe von Bürgern identifiziert, dass es aus einem Schacht „dampft“. Der genaue Leckageort muss dann immer noch gesucht werden. Ist dies erfolgt, muss die Leitung freigelegt werden und das betroffene Rohr repariert und sogar ausgetauscht werden. Grundsätzlich gilt, je kleiner die Leckage ist, desto weniger aufwendig ist die Reparatur und desto geringer ist das Risiko, dass noch mehr Wasser verloren geht, weil die Leckage sich vergrößert oder sogar zu einer Havarie führt.

Bei der Reparatur von Leckagen kann die Digitalisierung nur die Logistik der Baustelle unterstützen. Bei der frühzeitigen Detektierung und Lokalisierung kann die Digitalisierung sehr wohl unterstützen. Und dies ist auch Ziel des DigiRess Verbundprojekts. Mit Hilfe von Netz-Monitoring, Algorithmen und Automatisierungstechnik, wollen die Projektpartner 3S Antriebe GmbH (3SA) aus Berlin (Projektkoordinator), 3S Consult GmbH, Garbsen (3SC) sowie das Forschungsinstitut Fraunhofer IOSB (IOSB) ein digitales System zur Detektion und Lokalisierung von Leckagen in Fernwärmenetzen entwickeln. 3SC ist für die Simulationsplattform verantwortlich. Dazu hat 3SC einen Algorithmus entwickelt, der auf Basis des hydraulischen Netzmodells des Neuköllner Fernwärmenetzes die optimale Positionierung von Drucksensoren und automatisierten Armaturen bestimmt. Das sog. „Dual Model“ ist die wesentliche Innovation von 3SC. Im Dual Model werden:

  • die gemessenen Drücke als Druckrandbedingungen an die Messknoten übertragen
  • Als Reaktion auf das „Festhalten“ der Drücke entstehen (im Modell) externe Massenströme, die in Summe etwa der Leckagemenge entsprechen.
  • Der Algorithmus sucht nun den Ort im Netz, an dem eine angesetzte Leck-Entnahme zu einer Kompensation der externen Massenströme führt.

Das Ergebnis ist der Ort der Leckage, die für die Wasserverluste verantwortlich ist.

Um den zu untersuchenden Netzbereich nicht zu komplex zu machen und um die Ergebnisse zu validieren, müssen Netzbereiche getrennt werden. Damit dieser Prozess automatisch erfolgt, sind Armaturenstellantriebe erforderlich. Herkömmliche Antriebe sind nicht für erdverlegte Armaturen konzipiert und benötigen darüber hinaus Kabelinfrastruktur für die Energieversorgung und die Kommunikation. Diese Infrastruktur ist – gerade im innerstädtischen Bereich – sehr kostenintensiv. 3SA liefert intelligente Armaturenstellantriebe für den Einsatz im Erdreich, die mit Akkuenergie versorgt werden können und über das Mobilfunknetz sicher mit der Leitwarte kommunizieren, so dass auf Kabelinfrastruktur komplett verzichtet werden kann. Außerdem können erforderliche Drucksensoren in das Antriebssystem integriert werden. Das Dual Model von 3SA benötigt Druckmessungen an den Armaturen.

Das IOSB wird eine Cloud-basierte Datenanalyseplattform entwickeln, welche die notwendigen Sensor-, Simulations- und Prozessdaten sammelt, aufbereitet und geeignet visualisiert (mit geeigneten Dashboards und geeigneten Kartendarstellungen).

Die KI- und modellbasierten Algorithmen ermöglichen die robuste Erkennung und vor allem die Lokalisierung von Leckagen. Notwendig sind dazu „nur“ eine ausreichende Anzahl von Drucksensoren sowie Netztrennstellen (mit 3S Antreiben ausgestattete Armaturen). Im Projekt wird anhand von Simulationen u.a. die Frage untersucht, welchen Einfluss zusätzliche Trennstellen und Drucksensoren auf die Ortungsgenauigkeit und die erzielbare Nachweisgrenze haben und wo diese für optimale Ergebnisse platziert sein müssen. Das neuartige Leckage-Erkennungssystem wird im Rahmen des Projektes in mindestens einer Pilotzone prototypisch implementiert und getestet.

Das Berliner Fernwärmenetz ist dieses Jahr offiziell rekommunalisiert worden. Hat dies Auswirkungen auf Ihr Projekt?

Nein, eigentlich nicht. Natürlich werden die Mitarbeiter vom neuen Eigentümer übernommen. Allerdings ist die Erfahrung, dass die Kommune als Eigentümer sich mehr um das Eigentum kümmert. Und insofern auch sinnvolle Investitionen in die Digitalisierung des Netzes durchführen – um das öffentliche Eigentum möglichst effizient instand zu halten.

Ist das von Ihnen entwickelte System auch auf andere Anwendungen (z.B. Wassernetze) übertragbar?

Ja. Armaturen werden auch in Wasserverteilnetzen und überall auf der Welt identisch betätigt. Wasserverluste in Wasserverteilnetzen sind mit fortschreitendem Klimawandel eine große Herausforderung. Das Dual Model in Verbindung mit automatisierten Armaturen kann grundsätzlich auch in Wasserverteilnetzen eingesetzt werden. Allerdings gibt es in Wassernetzen zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen. Wasserverteilnetze sind noch stärker vermascht. Außerdem gibt es in Wassernetzen auch reguläre entnahmen, z. B. wenn jemand den Wasserhahn öffnet. 3SC hat aber auch in Wassernetzen bereits sehr vielversprechende Simulationen durchgeführt.

Ihr DigiRess Projekt läuft Ende 2024 aus. Wie werden die Ergebnisse darüber hinaus genutzt und gibt es Ansätze für Folgeprojekte?

Die Projektpartner gehen davon aus, dass das Fernheizkraftwerk Neukölln das im Rahmen des Projektes implementierte System im täglichen Betrieb nutzt. Darüber hinaus haben die Partner begonnen, das System der Deutschen Fernwärmebranche vorzustellen. Z. B. sind Präsentationen in Köln und Bielefeld terminiert. Gleichwohl muss festgehalten werden, dass es sehr schwierig ist, eine solche Innovation ohne Praxisreferenz zu verkaufen. Diese Feststellung unterstreicht den Nutzen des DigiRess Programms.