Gebäude

In unmittelbarer Nähe zum Rathaus Schöneberg am John-F.Kennedy-Platz steht ein Gebäude, dessen ungewöhnliche Bauform auffällt. Geht man die wenigen Stufen der Freitreppe in der Salzburger Straße hinauf, fühlt man sich sofort in eine andere Zeit versetzt. Der aus Magdeburg stammende Architekt Paul Mebes (1872-1938) errichtete 1914 für die Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Nordstern-Versicherung einen „fünfgeschossigen Stahlbetonskelettbau ..“, dessen „Fassade mit Travertinplatten verkleidet ist.

Die einzelnen Geschosse sind „durch Gesimsbänder voneinander abgesetzt…Durch seine übersichtliche…Grundrissgestaltung“ ist „das Versicherungsgebäude auch in seinem Inneren zukunftsweisend“ gewesen.

Es ist ein architektonisches Meisterstück. Die gesamte Anlage kann noch heute als eine gelungene Synthese zwischen der Gediegenheit der Kaiserzeit und dem anbrechenden Fortschritt unserer technisierten Welt bezeichnet werden.

Für 900 Mitarbeiter schuf Paul Mebes komfortable Arbeitsplätze, die in ihrer durchdachten Gestaltung beispielhaft waren. Neben dem Aufsichtsrats-Sitzungssaal, den Beratungs-, Generaldirektoren und Direktoren-Zimmern gab es u.a. eigene Räume für die Chef-Mathematiker, Diktier- und Schreibmaschinenräume, viele Vorzimmer, einen Kasinoanbau, „…in dem man Geist und Witz, wie sie Architekt, Maler, Bildhauer, Tischler und Glaser nur aufzubieten vermögen, wie eine Dreingabe zur Frühstücksration sprudeln ließ…“, eine Geschirrkammer und einen Ruheraum.

Flur im 2. OG

Der Innenbereich – mit separaten Personal-und Publikumseingängen – sah für jede Versicherungssparte eine eigene Etage vor. Das kupferne Dach beherbergte das Archiv, im Kellergeschoss wurden die „…nicht mehr lebenden Akten untergebracht. …Die technischen Kommunikationsmittel…“, wie zum Beispiel „…ein weit verzweigtes Haustelephon, …zur Beförderung der Akten Aktenaufzüge, …eine einzigartige Rohrpostanlage, die in der Lage ist, vollständige Aktenfaszikel durch das ganze Haus zu befördern…“, zeigen Mebes moderne Arbeitsorganisation.

Die ungewöhnliche Sorgfalt und sein Streben nach Harmonie galt nicht nur dem Interieur, sondern erstreckte sich auch auf Lichtschalter, dem Ziffernblatt einer Normaluhr und sogar der Gestaltung der Türschilder, zu deren Beschriftung extra ein Kalligraph beauftragt wurde. Eine ausgeklügelte Frischluftbelüftung gehörte ebenso zur Ausstattung wie eine raffinierte Verkleidung der jederzeit zugänglichen Schwachstromanlage. Nicht teurer italienischer Marmor wurde von Mebes verwandt, sondern schlesischer. Zählt man die am Bau beteiligten Firmen zusammen, so kommt man auf stattliche 105, und sie alle waren aus Berlin.

Detail der Aussenfassade

Der 1. Weltkrieg und die nachfolgende Inflation dürften spurlos am Gebäude vorbeigezogen sein. Anders verhielt es sich beim 2. Weltkrieg: „Im Februar 1945 wurde es schwer beschädigt; im Mai brannte das halbe Haus ab“, ist dem Jubiläumsbuch der Nordsternversicherung von 1966 zu entnehmen.“ Paul Mebes, der 1938 im 66. Lebensjahr starb, erlebte nicht mehr, dass auch “sein” Nordsternhaus von den Kriegsfolgen nicht verschont blieb.

Aufgrund der unsicheren Situation West-Berlins wurde am 29. Dezember 1945 beschlossen, den Sitz der Nordstern sukzessive nach Köln zu verlegen.

Die Instandsetzung des Hauses zog sich über viele Jahre hin. Das schöne, aber beschädigte Kupferdach musste einem Ziegeldach weichen.

Seit den 1950er Jahren zogen andere Mieter ein, zum Beispiel das Bezirksamt Schöneberg, die Justizverwaltung und die Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit. Viele Jahre später verkaufte der Konzern sein Haus an das Land Berlin. Nach der Wiedervereinigung konnte das Bezirksamt Schöneberg eigene Räume beziehen, und die Justizverwaltung als oberste Justizbehörde des Landes Berlin übernahm nun das gesamte Gebäude.

Seit 2003 bewirtschaftet die Berliner Immobilienmanagement GmbH das unter Denkmalschutz stehende Haus in der Salzburger Straße

Das Nordsternhaus am Nordsternplatz – der kleine Platz entstand durch die Zurücknahme der Bauflucht des Gebäudes – gab dem Randbezirk Schöneberg damals so etwas wie einen städtebaulichen Schwerpunkt. Jahrzehnte später wurde Schöneberg wirklich ein Mittelpunkt wenigstens für West-Berlin. Das Rathaus war Sitz des Regierenden Bürgermeisters, und John F. Kennedy erklärte sich 1963 dort zum Berliner. Nach der Wiedervereinigung ist Schöneberg zwar nicht wieder Randbezirk geworden, aber eben auch nicht mehr Mittelpunkt geblieben.

Grundstück 11.436 qm
Bebaute Fläche ca. 5.500 qm
Fassade: Langensalzaer (Thüringen) Travertin und körniger schlesischer Marmor
Wandverkleidung Einfahrt: Veltener Terrakotta
Denkmalschutz seit 15.06.1989

Quellen:
Das Nordstern Haus, Paul Westheim, Sonderdruck Dekorative Kunst, München
Architekturführer, 5. Auflage, Dietrich Reimer Verlag Berlin