Aus den Erfahrungen mit der Ukraine-Fluchtbewegung lernen - Senatorin Katja Kipping zum geplanten Flüchtlingsgipfel mit Innenministerin Nancy Faeser
8. Februar 2023
Das Land Berlin hat im vergangenen Jahr so viele geflüchtete Menschen aufgenommen und versorgt wie noch nie zuvor. Knapp 95.000 Geflüchtete wurden 2022 in Berlin aufgenommen und erstversorgt, zurzeit gibt es über 32.000 Plätze in qualitätsgesicherten Unterkünften des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), das sind fast 50 Prozent mehr als zur Gründung des LAF vor sieben Jahren.
Zu den Erfahrungen des Jahres 2022 gehört auch Folgendes: Für Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine öffneten sich Fenster und Türen, die anderen Geflüchteten vorher verschlossen waren. Dies meint etwa den sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Jobcenterleistungen und eine erleichterte Anerkennung einiger Berufe. Damit haben wir positive Erfahrungen gemacht, und diese Erfahrungen sollten auf Asylsuchende ausgeweitet werden.
Berlin wird weiterhin Geflüchtete aufnehmen. Das ist unsere Verpflichtung und es ist ein Gebot der Menschlichkeit. Aus der Erfahrung des Jahres 2022 mit der Aufnahme der Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine plädiere ich für eine deutliche Entschlackung der rechtlichen Auflagen bei der Unterbringung von Geflüchteten. Um gute Unterkünfte und ein gutes Ankommen zu erleichtern, sollte der Bund den Ländern nicht nur finanziell zur Seite stehen, sondern wir sollten gemeinsam einige Regeln auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüfen.
Wenn Innenministerin Nancy Faeser nun einen Flüchtlingsgipfel einberuft, sollten wir alle pragmatisch und sachorientiert diskutieren, wo und wie wir die Unterbringung verbessern können und wie der Bund die Kommunen und Städte dabei unterstützen kann. Ich begrüße die Anregung des hessischen Integrationsministers Klose die Fragen der Erstaufnahme von Geflüchteten um die weiteren Schritte der Integration und Teilhabe zu erweitern.
Wir alle brauchen ein tragfähiges Gesamtkonzept, das die Aufgaben gerecht verteilt und den Geflüchteten möglichst schnell Perspektiven ermöglicht. Ich meine, wir sollten Folgendes anfassen und modernisieren:
- Die Wohnverpflichtung in Aufnahmeeinrichtungen sollte für Asylantragstellende noch stärker gelockert werden. Die Länder sollen damit eine größere Flexibilität für die Unterbringung von Anfang an erhalten.
- Es muss möglich werden, aus einer Stadt mit angespanntem Wohnungsmarkt wegzuziehen in eine Region mit höherem Leerstand und besseren Chancen auf Wohnung, einen Kita- und Schulplatz. Hierzu wäre die Wohnsitzauflage für Schutzberechtigte anzupassen.
- Die Kriterien für die Berechnung des Königsteiner Schlüssels, der bundesweit die Verteilung geflüchteter Menschen regelt, sollte neu justiert und überprüft werden. Bisher sind die Bevölkerungszahl und das Steueraufkommen der Bundesländer ausschlaggebend. Doch bei der Unterbringung geflüchteter Menschen ist die zur Verfügung stehende Fläche ein ebenso entscheidendes Kriterium, das künftig im bundesweiten Verteilsystem besser berücksichtigt werden sollte. Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg oder Bremen haben nun mal weniger Fläche zur Verfügung als Flächenländer.
- Wir brauchen dringend neue qualitätsgesicherte Unterkünfte. Dazu muss die Bundesregierung schnell konkrete Schritte und Maßnahmen benennen.
- Wir benötigen weiterhin die Unterstützung des Bundes bei der Suche nach geeigneten Immobilien, die wir für geflüchtete Menschen benötigen. Die Liste mit anfangs nur drei Liegenschaften, die Berlin im vergangenen Jahr vom Bund angeboten wurden, war leider kein besonders großer Wurf. Ein Gebäude wurde bereits seit Monaten genutzt, und in einem leerstehenden Hotel gab es theoretisch 50 Zimmer, die nur für ein Jahr zur Verfügung stehen und erstmal saniert werden müssten. Erst auf wiederholte Nachfragen kam es dann noch zu weiteren Angeboten. Hier wäre ich Finanzminister Christian Lindner als oberstem Dienstherr der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) sehr dankbar, wenn er seine Behörde noch stärker ermutigt, mit ihren freistehenden Gebäuden und wirklich nutzbaren Immobilien auf die Länder zuzugehen.
- Schlussendlich sollten wir das Arbeitsverbot für Asylantragstellende auf den Prüfstand stellen. Alle Asylsuchenden sollten unabhängig vom Herkunftsland von Beginn an arbeiten dürfen. Auf das Arbeitserlaubnisverfahren, das grade in der aktuellen Situation der hohen Zugangszahlen zu erheblichen Verzögerungen oder vielfach zum Verlust des Arbeitsangebots führt, sollte auch zur Entlastung der prüfenden Behörden verzichtet werden. Schneller Zugang zu Erwerbsarbeit erleichtert zugleich das Ankommen im neuen Zuhause.