Aufarbeitung - Berliner Jugendhilfe - Kentler Senatsverwaltung fördert weitere Forschung

Pressemitteilung vom 14.03.2019

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hat für die weitere wissenschaftliche Aufar-beitung des Wirkens von Helmut Kentler in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe einen Vertrag zur Forschungsförderung mit der Universität Hildesheim geschlossen. Grundlage dafür ist ein Aufarbeitungskonzept, das in den vergangenen Monaten von Prof. Dr. Meike Baader, Dr. Carolin Oppermann, Dr. Julia Schröder und Prof. Dr. Wolfgang Schröer erarbeitet wurde. Ziel des Forschungsprojekts ist es, durch die Aufarbeitung Betroffene in ihren Rechten zu stärken und zu untersuchen, welche organisationalen Strukturen und Verfahren Kentlers Wirken ermöglicht haben. Zudem sollen daraus auch Empfehlungen für die gegenwärtige Gestaltung der Kinder- und Jugendhilfe abgeleitet werden. Das Forschungsprojekt ist auf einen Zeitraum von insgesamt 16 Monaten angelegt und wird durch die Senatsverwaltung mit 84.000 Euro gefördert. Ein erster Zwischenbericht soll nach acht Monaten vorgelegt werden.

Nach derzeitigem Kenntnisstand hat Helmut Kentler, Professor für Sozialpädagogik und u.a. Abteilungsleiter im Pädagogischen Zentrum Berlin, ab Ende der 1960er Jahre den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Pflegeväter gezielt befördert. Von amtlicher Seite blieben die Vorgänge entweder unbemerkt, wurden bewusst ignoriert oder sogar beschönigt und gefördert. Kentler starb 2008. Ein erstes Gutachten zum sogenannten Kentler-Experiment wurde im Auftrag der Senatsverwaltung durch das Göttinger Institut für Demokratieforschung erstellt und 2016 veröffentlicht.

Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie: „Die wissenschaftliche Aufar-beitung muss weitergehen. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Es ist zutiefst erschütternd, was Kindern und Jugendlichen, die sich in staatlicher Obhut befanden, angetan wurde. Die Schwächsten der Gesellschaft wurden ihren Peinigern ausgeliefert – von Menschen, die sie schüt-zen sollten. Bisher wurde zur Geschichte der Pflegekinderhilfe und zu Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen in Pflegestellen nur wenig geforscht. Das Projekt der Universität Hildes-heim kann hier einen bedeutenden Beitrag leisten. Die wissenschaftliche Aufarbeitung ist dringend erforderlich, um daraus Lehren für die heutige Kinder- und Jugendhilfe zu ziehen.“

In der Vergangenheit haben sich Betroffene bei der Senatsverwaltung gemeldet. Mit ihnen hatten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität Hildesheim bereits in der Erstellung des Aufarbeitungskonzepts Kontakt. Ihre Unterstützung ist für die Aufarbeitung von großer Be-deutung. Das Team der Universität Hildesheim hat außerdem einen Experten-Workshop durchge-führt und zur Quellenlage, insbesondere der Frage der Erschließung von Akten in den Berliner Archivbeständen, recherchiert.

Das nun anschließende Forschungsprojekt sieht nach der Klärung der datenschutzrechtlichen und forschungsethischen Fragen folgende Arbeitsfelder vor:
- Beteiligung der Betroffenen und Interviews
- Erschließung der Akten bzw. Daten
- Aktenanalyse, Rekonstruktion vorliegender Fallakten, Entscheidungsverläufe der Pflegekin-derhilfe aus organisationsanalytischer Perspektive
- Zeitzeugen-Interviews (Personen, die in der Jugendhilfe, der Senatsverwaltung, in Jugend-ämtern oder der Fachöffentlichkeit arbeiteten oder aktiv waren)
- Dokumentenanalyse: Fachöffentlicher Diskurs (Zeitraum 1960er bis 2000er Jahre)
- Experten- und Expertinnen-Workshop
- Zwischenbericht nach acht Monaten, Abschlussbericht nach 16 Monaten.

Die Beteiligten haben sich verpflichtet, mit Ausnahme des Zwischenberichts nicht aus dem laufen-den Aufarbeitungsprozess zu berichten. Das Aufarbeitungskonzept kann online eingesehen wer-den: https://www.uni-hildesheim.de/jugendhilfe-berlin

Für die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung sind Aussagen und die Unterstützung von Be-troffenen von großer Bedeutung. Personen können sich in einem ersten Schritt schriftlich an das Forschungsteam der Universität Hildesheim wenden. Kontakt: aufarbeitung@uni-hildesheim.de
Schriftliche Kontaktaufnahmen können sowohl in anonymisierter Form als auch direkt oder über eine Person des Vertrauens erfolgen und werden in jedem Fall beantwortet. Alle Angaben werden vertraulich behandelt. Auf Wunsch kann in einem zweiten Schritt ein persönliches Gespräch mit dem Forschungsteam vereinbart werden.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie stellt Hilfen für Betroffene des sexuellen Missbrauchs zur Verfügung und bietet Unterstützung bei der Inanspruchnahme an. Betroffene können sich an die Senatsverwaltung wenden. Erstkontakt: Stefan Henn, Telefon (030) 90227-5321, Stefan.Henn@senbjf.berlin.de