Rassismus ist keine Meinung! Rede der Senatorin Cansel Kiziltepe anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus

21. März 2024

Es gilt das gesprochene Wort
[Herr/Frau] Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

knapp 3,9 Millionen Menschen leben in Berlin. Knapp ein Viertel davon hat eine ausländische Staatsbürgerschaft. Knapp 40 Prozent der Berliner*innen haben eine Migrationsgeschichte. Das, meine Damen und Herren, ist das Profil unserer bundesdeutschen Hauptstadt und für viele Menschen ist es die gelebte Identität dieser wunderbaren Stadt.

Berlin, das ist Vielfalt und Freiheit, Berlin ist Sehnsuchtsort für junge Menschen aus aller Welt und trotzdem das Zuhause der Schrebergärten und Eckkneipen. Wir haben es geschafft, Berlin als weltoffene Metropole und Heimat aller Kulturen und Religionen zu etablieren.

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass in so vielen Parlamenten Deutschlands und Europas mittlerweile wieder Parteien sitzen, deren Mandatsträger*innen rassistische Narrative vorantreiben.

Auch in Deutschland gibt es insbesondere in einer Partei Mitglieder, die sich ein Deutschland nur für Biodeutsche wünschen und die leider längst damit begonnen haben, ihre kruden Gedanken gesamtgesellschaftlich zu verankern.
Im Dezember des letzten Jahres habe ich gemeinsam mit den Autor*innen die Zahlen des Berlin Monitors, einer Studie zur Verbreitung von rassistischen Ansichten in der Berliner Bevölkerung, vorgestellt.
Die Ergebnisse?

Ehrlich gesagt mehr als erschreckend, meine Damen und Herren.
Darin zeigt sich, dass die Zustimmung zu rassistischen Aussagen in den vergangenen Jahren enorm gewachsen ist. 20 Prozent der Berliner*innen weisen demnach ein geschlossen muslimfeindliches, rassistisches Verständnis auf – 15 Prozent vertreten antisemitische Ansichten.

Sehr geehrte Abgeordnete, leider ist auch das unser Berlin im Jahr 2024.
Wir haben uns in diesem Land lange Zeit für die Erinnerungskultur im Nachgang des zweiten Weltkriegs gerühmt. Doch wir müssen anerkennen, dass wir als Gesellschaft zu bequem waren. Zu viel als selbstverständlich angesehen haben und dass die große Mehrheit in zu vielen Fällen schweigsam an der Seitenlinie stand.

Nicht weit vor den Toren Berlins wurde noch 1990 Amadeu Antonio Opfer eines rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Mordanschlags. Amadeu Antonio kam aus Angola nach Deutschland, um hier ein besseres Leben und Arbeit zu finden. Er fand eine Frau, er fand Arbeit, doch er fand auch seinen Tod.
Seine Geschichte muss uns auch heute noch Mahnmal sein. Sie zeigt, dass der rassistische Hass einiger weniger bis zum Tod für die Betroffenen führen kann.

Dieser Mord bildet das äußerste Spektrum des Rassismus ab. Und dieser furchtbare, rassistische Mord ist kein Einzelfall. Er steht in einer Reihe mit weiteren rassistischen Anschlägen. Vom NSU und Hanau über die rechte Neuköllner Anschlagsserie, die bis in dieses Abgeordnetenhaus hineinragt, bis zu vielen kleinen Fällen von Alltagsrassismus.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns all diesen Formen des Rassismus mit verschiedenen Mitteln entgegenstellen. Denn auch die kleinste Form des Alltagsrassismus sät den Boden und sorgt für eine Normalisierung von Rassismus. Und diese Normalisierung, die können wir nicht akzeptieren!
Ich bin froh und stolz, dass Berlin als einziges Bundesland ein Landesantidiskriminierungsgesetz verabschiedet hat und wir im Zusammenhang mit der Landesantidiskriminierungsstelle eine eigene Ombudsstelle haben, die sich für die Unterstützung von Menschen, die Diskriminierung erfahren haben, einsetzt.

264 der 883 Hinweise, die die Ombudsstelle im Jahr 2023 gesammelt hat, gehen auf Rassismus-Erfahrungen zurück. Ich bin froh, dass sich das Parlament dafür ausgesprochen hat, die Finanzierung der Antidiskriminierungsprogramme signifikant zu stärken. Den ursprünglichen Förderbetrag von 15 Millionen Euro konnten wir im kommenden Doppelhaushalt auf fast 30 Millionen Euro aufwerten. Das ist ein großer Erfolg!
Wir haben damit die Möglichkeit, die starken zivilgesellschaftlichen Organisationen in ihrem Kampf gegen Rassismus zu stärken und die Fundamente für eine nachhaltige Antidiskriminierungspolitik in Berlin zu legen. Wir stehen für die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt.
Wir haben uns als Senat damit eine klare antirassistische Agenda gesetzt. Wir werden in Bündnissen und Projekten wie dem Forum Brückenbauer*innen und der Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus sowie den zahlreichen Zuwendungen im Bereich des Antirassismus den gesellschaftlichen Dialog weiter stärken. Mit der Initiative für ein Landesdemokratiefördergesetz verteidigen wir unsere Demokratie, indem wir den Kampf gegen verfassungsfeindliches, rechtes Gedankengut stärken und auf eine verlässliche Grundlage stellen.

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Abgeordnete, viele dieser Maßnahmen gehen auch auf gemeinsame Initiativen der demokratischen Fraktionen hier im Haus zurück. Demokratie lebt von der freien Meinungsäußerung, den Debatten und dem Streit um die besten Argumente. Wir gehen hier ja nicht immer zimperlich miteinander um, aber in einem, da bin ich mir bei allen Kolleg*innen der SPD, der CDU, von den Grünen und den Linken sicher, wir sind uns einig,

Rassismus – das ist keine Meinung!

Ich weiß Sie alle an meiner Seite im Kampf gegen rechte und rechtsextreme Parteien, die an den Grundfesten unserer Demokratie und an der Gleichbehandlung unserer Bürgerinnen und Bürger rütteln wollen. Und ich weiß, dass es für einige hier im Saal nur schwer auszuhalten ist, dass ich als eine Frau mit Migrationsgeschichte hier als Senatorin vor Ihnen stehe. Dann auch noch die Senatorin bin, die für die Bereiche Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung in unserer Stadt verantwortlich ist.

Ich bin eine deutsche Senatorin, eine Tochter von sogenannten Gastarbeiter*innen der ersten Generation aus der Türkei, die in den 60-er Jahren nach Deutschland gekommen sind.

Menschen, die eine Geschichte haben wie ich und so aussehen wie ich, sollen doch in den Fantasien von diesen Rechtsextremen deportiert werden, wenn sie sich deren Weltbild nicht anpassen. Das ist nicht nur Rassismus, das ist ein neuer Faschismus!

Der orientiert sich an der düsteren Vergangenheit Deutschlands, ein Rassismus, der von einem Bevölkerungsaustausch spricht, von Übervölkerung und einer jüdischen Weltherrschaft. Menschen mit einer Migrationsgeschichte wie ich, Geflüchtete und Asylbewerber*innen haben darin keinen Platz.
Und doch stehe ich hier, und doch sitzt dort der Kultursenator und die Justizsenatorin, denn, meine Damen und Herren, WIR sind hier und WIR bleiben hier, niemand wird uns vertreiben und in eine gepachtete Sonderwirtschaftszone in Nordafrika deportieren. Dafür werde ich mit ganzem Herzen kämpfen und das versichere ich auch allen Migrantinnen und Migranten in unserer Stadt.

Wir Antirassisten machen Berlin zu dem, was es ist, und wir gehen hier auch nicht weg!

Die Gewissheit, meine Damen und Herren, dass wir Parteien der demokratischen Mitte an die gleichen Rechte aller Menschen glauben und bereit sind diese zu verteidigen – das gibt mir Sicherheit und Zuversicht auch für die Zeiten, die jetzt kommen.

Ich will jedoch um eins bitten: Lassen Sie uns streiten, lassen Sie uns debattieren und prüfen – doch lassen Sie uns diese Gewissheit des Antirassismus wahren und sie nicht für den vermeintlich schnellen politischen Gewinn in Gefahr bringen!

May Ayim schrieb im Jahr 1992 in ihrem Gedicht „Deutschland im Herbst“:
es ist nicht wahr / daß es nicht wahr ist / so war es / erst zuerst dann wieder / so ist es / kristallnacht: im november 1938 / zerklirrten zuerst / fensterscheiben / dann / wieder und wieder / menschenknochen / von juden und schwarzen und / kranken und schwachen von / sinti und roma und / polen von lesben und / schwulen von und von / und von und von / und und / erst einige dann viele / immer mehr: / die hand erhoben und mitgemacht / beifall geklatscht / oder heimlich gegafft / wie die / und die / und der und der / und der und die / erst hin und wieder / dann wieder und wieder

May Ayim beschreibt hier die Kristallnacht, doch das Gedicht geht weiter und erzählt, wie sich das Phänomen des überschwappenden Rassismus in der deutschen Geschichte wiederholt – am Beispiel des Mordes an Amadeu Antonio.

Lasst uns Menschen sein, die aus der Geschichte gelernt haben. Menschen, die wissen, dass Rassismus, Ausgrenzung und soziale Ungleichheit in unserer Welt keinen Platz haben dürfen. Lasst uns Menschen sein, die einer rechten Partei das Handwerk legen, während sie noch nicht an der Macht ist und lasst uns die Gesellschaft sein, die sich auch im Kleinen und Alltäglichen immer wieder kraftvoll und mit lauter Stimme gegen Rassismus stellt. Wir müssen diese Auseinandersetzung führen und ich weiß, dass wir stark genug dafür sind.

Vielen Dank!