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Der Rechnungshof nach der Wende

Knesebeckstr. 59 damals

Standort nach der Wende: Berlin, Knesebeckstr. 59

„Lernen Sie doch erstmal was Richtiges“

Nach der Wende fingen 30 ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzrevision der DDR am Rechnungshof von Berlin an. Ein Kulturschock: Bis dahin arbeiteten im Rechnungshof vor allem ältere Männer, die Neuen aus dem Osten waren überwiegend junge Frauen. Ein Interview mit 5 Mitarbeiterinnen, die aus der Finanzrevision der DDR kamen und jetzt ganz Berlin prüfen.

Vielleicht können Sie sich zunächst kurz vorstellen. Wann haben Sie in der Finanzrevision der DDR angefangen, wann sind Sie zum Rechnungshof gekommen?

Claudia Wittbusch: Ich bin Claudia Wittbusch*. Ich habe 1985 nach dem Studium bei der Finanzrevision der DDR angefangen. Zuvor hatte ich dort schon eine Art Praktikum gemacht und war dadurch motiviert worden. Nach der Wende war ich ein Jahr in der privaten Wirtschaft und habe dann im Oktober 1991 hier wieder angefangen.

Simone Hamann: Mein Name ist Simone Hamann*. Ich habe ein Jahr früher bei der Finanzrevision begonnen als meine Kollegin, 1984, und dann bis zur Wende dort gearbeitet. Dann habe ich ein Kind bekommen, sodass ich erst am 1.1.1991 beim Provisorischen Rechnungshof von Berlin angefangen habe, so hieß er ja damals.

Der Provisorische Rechnungshof war …

Simone Hamann: … nach der Vereinigung der Rechnungshof für die früheren Ost-Mitarbeiter. Es gab zwischen Ende 1990 und Januar 1991 zwei Rechnungshöfe im vereinigten Berlin, den Rechnungshof von Berlin und den Provisorischen Rechnungshof. Zwei Behörden mit einem Präsidenten, Ulrich Müller.

Katja Stein: Katja Stein*, ich bin hier die Dienstälteste. Ich habe 1983 bei der Finanzrevision angefangen. Das war nicht meine Wunschrichtung, aber ich bin dort hängengeblieben. Ab dem 3. Oktober 1990 war ich einer Art Warteschleife. Beim Provisorischen Rechnungshof in Berlin musste ich mich neu bewerben. Die ersten Kollegen haben Anfang November angefangen, ich am 16. November. Am 11. Januar 1991, wenn ich mich richtig erinnere, ist beides eins geworden. Dann sind wir in den Rechnungshof integriert worden.

Haben Sie denn in den wenigen Monaten im Provisorischen Rechnungshof noch richtig geprüft?

Katja Stein: Nein. Wir haben nicht geprüft, wir haben uns vorbereitet. Wir sollten im Herbst 1990 sofort den Dienst antreten, aber dann wusste man mit uns nicht so richtig was anzufangen. Deshalb haben wir über der Landeshaushaltsordnung gebrütet oder etwas Anderes gelesen.

Heike Möller: Ich bin Heike Möller*. Ich habe 1985 bei der Finanzrevision angefangen, war dort aber nicht sehr lange, weil ich Kinder bekam. Mein erster Arbeitstag dort war dann wieder der 1. Oktober 1990, der letzte Arbeitstag der 2. Oktober und dann war die Vereinigung. Dann war ich auch in der Warteschleife. Man wusste in der Zeit nicht so richtig, wo man sich bewerben sollte. Ich hatte erst eine Zusage von einem Finanzamt, kurze Zeit später kam dann aber auch eine Zusage vom Rechnungshof.

Yvonne Becker: Mein Name ist Yvonne Becker*. Ich habe 1988 bei der Finanzrevision angefangen und im April 1991 beim Rechnungshof. Zwischendurch bin ich ein halbes Jahr bei einem Wirtschaftsprüfer gewesen.

Damals arbeiteten kaum Frauen am Rechnungshof. Wie groß war der Kulturschock auf beiden Seiten, als Sie beim Rechnungshof angefangen haben?

Yvonne Becker: Ziemlich groß. Zu der Zeit war der Rechnungshof dominiert von Herren um oder oberhalb der 50 Jahre. Und dann kamen wir: rund 30 junge Frauen, zum Teil unter 30 Jahre alt. Ich weiß nicht einmal, ob überhaupt ein Ost-Mann mit uns an den Rechnungshof gekommen ist. Das Zutrauen der Herren in die prüferischen Fähigkeiten von uns Mitarbeiterinnen war doch eher verhalten.

Katja Stein: Bevor wir zum Rechnungshof gekommen sind, gab es dort nur einige wenige West-Frauen, die kurz vor der Wende angefangen hatten. Aber das waren meistens karriereorientiertere Frauen, die keine Kinder hatten.

Heike Möller: Ich weiß nicht, was die Männer gedacht haben, aber zumindest haben sie nicht gezeigt, dass wir unerwünscht waren. In meinem Bereich war auch eine Frau dabei. Letztlich war es ein angenehmes Betriebsklima.

Simone Hamann: Wir sind im Januar in den Prüfungsgebieten herzlich aufgenommen worden. Obwohl es damals schon beengt war, wurde dann einfach noch ein Schreibtisch mit in den Raum gestellt. Ich saß dann mit zwei netten älteren Damen zusammen, denen auch erstmal erklärt wurde, wie Marktwirtschaft funktioniert. Einige West-Kollegen haben uns an die Hand genommen, ich habe mich da sehr wohl gefühlt. Es gab auch Fortbildungen an der Verwaltungsakademie.

Yvonne Becker: Das war aber nicht überall so. Ich habe auch die Bemerkung gehört: Lernen Sie doch erstmal was Richtiges, bevor Sie hier anfangen zu prüfen. Dabei hatten wir ja studiert, und – wenn auch mit anderen Maßgaben – schon geprüft. So eine Bemerkung verletzte, man knabberte länger daran.

Katja Stein: Die ersten Wochen hier waren schon schwer. Wir hatten ja eine längere Arbeitszeit als die anderen. 42,75 Wochenstunden stand in den Ost-Verträgen, Gleitzeit hatten wir im Gegensatz zu den West-Kollegen auch nicht. Damals waren der 24. und 31. Dezember noch halbe Arbeitstage. Was zur Folge hatte, dass wir paar Ossis an Heiligabend und Silvester in das leere Gebäude kommen mussten, während die West-Kollegen dank Gleitzeit schon vorgearbeitet hatten und zu Hause saßen. Wir waren so ein bisschen vernachlässigt.

Claudia Wittbusch: Das Gehalt war ein Problem: Wir wurden nach dem Osttarif vergütet. Erst viel später wurde nach einer Gerichtsentscheidung nachgezahlt, weil wir im Westen gearbeitet haben und deshalb nach Westtarif hätten bezahlt werden müssen.

Yvonne Becker: Wir Mitarbeiterinnen aus dem ehemaligen Ost-Teil, die damals noch alle Angestellte waren, durften am Anfang eigentlich keine gleichwertigen Tätigkeiten ausüben, weil wir sonst einen Anspruch auf höhere Bezahlung gehabt hätten. Bei mir war es etwas anders, weil mein Kollege aus dem Westteil sehr krank war und deshalb häufig ausfiel und die Arbeit ja getan werden musste. Die gleichwertige Bezahlung kam trotzdem erst viel später.

Sind alle aus dem provisorischen Rechnungshof übernommen worden?

Claudia Wittbusch: Ja. Später, 1992, gab es noch einmal eine Überprüfung wegen Gauck, also auf Stasi-Mitarbeit. Zwei oder drei haben die Prüfung nicht überstanden.

Was hat sich seit Ihrer Anfangszeit am Rechnungshof verändert?

Yvonne Becker: Alles. Man kann den Rechnungshof von damals mit dem von heute überhaupt nicht vergleichen. Als ich anfing, gab es am Rechnungshof noch keinen einzigen Computer. Die Prüfer hatten nicht einmal eine Schreibmaschine, sie haben per Hand geschrieben oder ins Diktafon gesprochen und das der Kanzlei zum Abtippen gegeben. Wenn es dann durch den Zeichnungsgang ging und geändert wurde, musste man entweder den alten Text überkleben oder ein neues Diktat aufnehmen.

Heute wird auch viel systematischer geprüft. Damals gab es zwar auch eine Arbeitsplanung, aber im Vergleich wurde die locker gehandhabt. Man hat gesagt: Wir haben jetzt zehn Jahre lang diesen Haushaltstitel nicht geprüft, da gehen wir mal wieder hin. Heute schreibt man vor der Prüfung manchmal Vermerke über 30 Seiten, ob das Thema überhaupt einen prüferischen Ansatz bietet. Das liegt auch daran, dass Anfang der 90er Jahre Fehler in der Verwaltung viel offensichtlicher waren. In der Wendezeit konnte Berlin ja noch Geld en masse ausgeben – da war es für einen Rechnungshof relativ einfach, die Wunden zu finden, in die wir den Finger legen konnten.

Wenn Sie zurückblicken – war es richtig, zum Rechnungshof zu gehen?

Katja Stein: Für mich schon. Es hieß zwar immer, in der freien Wirtschaft kannst Du viel besser verdienen, aber die Sicherheit war mir eben auch wichtig.

Heike Möller: Für mich auch. Man ist hier einigermaßen frei in seiner Arbeit. Bei einer Prüfung kann man seine eigenen Prioritäten setzen und entscheiden, was man sich vertiefter ansieht.

Yvonne Becker: Ich hatte immer Glück, dass ich in Teams war, wo man gut kollegial miteinander arbeiten konnte, wo einer dem anderen geholfen hat und wo es ein gutes Arbeitsklima gab. Irgendwann war dieser Ost-West-Gegensatz ja Gottseidank komplett überwunden. Heute ist es völlig uninteressant, wo jemand wohnt und wo jemand herkommt. Inzwischen arbeiten hier Menschen aus aller Herren Länder. Ich finde diese Diversität, wie man jetzt so schön sagt, ganz toll.

* Die Namen der Prüferinnen wurden geändert.